Joe Biden bei seiner Abschlussrede auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten. Bild: ap / Andrew Harnik
USA
Joe Bidens Wahlkampf lebt von der Abgrenzung zu Trump. Und wenn es nach ihm geht, gibt es bei der US-Wahl nicht viel zu überlegen. Die wichtigste Rede seiner politischen Karriere gibt einen Vorgeschmack, wie es sich anfühlen könnte, wenn er im Weißen Haus spricht.
21.08.2020, 16:0321.08.2020, 16:51
Wenn es ernst ist und sich ein US-Präsident an das
Volk wendet, steht er ganz allein vor der Kamera. Im Hintergrund
stehen dann Flaggen, es gibt kein Blitzlichtgewitter, keine wedelnden
Fähnchen, keinen Applaus. Als Joe Biden ans Rednerpult tritt, ist die
Szenerie ähnlich. Doch er steht auf einer Bühne, nicht im
Weißen Haus. Joe Biden äußert sich am Ende des Parteitags der Demokraten als
frisch gekürter Präsidentschaftskandidat und stellt die Amerikaner
vor die Wahl: zwischen mehr Wut, mehr Angst, mehr Spaltung und
Veränderung, Einheit, Hoffnung.
Die Wahl zwischen ihm und Donald Trump.
Biden hat mehr als 30 Jahre auf diesen Moment hingearbeitet. Für die
Wahl 1988 unternahm er den ersten Anlauf, Präsidentschaftskandidat zu
werden. 2008 folgte der zweite – am Ende wurde er Vize von Barack
Obama. Mittlerweile ist Biden 77 Jahre alt und die Demokraten haben
entschieden, dass er der beste Kandidat ist, um am 3. November die
Wiederwahl des republikanischen Amtsinhabers zu verhindern.
Wegen der Corona-Pandemie steht Biden bei seiner Nominierungsrede
nicht wie sonst üblich vor einer jubelnden Masse an Menschen, sondern
allein im Scheinwerferlicht. Drumherum ist es dunkel. Das Bild
spiegelt Bidens Worte wider: "Der gegenwärtige Präsident hat Amerika
viel zu lange in Dunkelheit gehüllt", sagt er. "Wir können den Weg
wählen, wütender, weniger hoffnungsvoll und noch gespaltener zu
werden. Ein Weg des Schattens und des Misstrauens. Oder wir können
einen anderen Weg wählen und zusammen die Chance wahrnehmen, neu zu
beginnen, zu einen. Ein Weg der Hoffnung und des Lichtes."
Biden will der anständige Gegenpart zu Trump sein
Die Kontraste, die Biden durch seine Rede führen, sind die logische
Fortsetzung des Gegensatzes zwischen Biden und Trump (74), den
die Demokraten während ihres weitgehend virtuellen Parteitags seit
Montag konsequent erzählt haben. Mit der Stimme von Ex-Präsidenten
wie Barack Obama oder Bill Clinton, ehemaligen Rivalen Bidens wie dem
linken Senator Bernie Sanders bishin zu einfachen Bürgern.
Biden habe einen moralischen Kompass, er sei anständig, ehrlich,
empathisch und selbstlos – diese Worte fielen immer wieder. Trump
dagegen lüge, handele nur in seinem eigenen Interesse und sei eine
Gefahr für die Demokratie. Bidens Wahlkampf lebt von der Abgrenzung
zu Trump. Die Demokraten präsentierten ihn nicht nur als Politiker,
der Brücken zwischen den Parteien schlagen kann, sondern vor allem
als Menschen. Joe, der liebevolle Familienvater und Ehemann, der
schwere Schicksalsschläge erlebt hat. Der Kümmerer, der einem
13-Jährigen dazu verhilft, vor einer Kamera zu sprechen. Der Junge
hat beim Parteitag der Demokraten seinen großen Auftritt. Er stottert – Biden tat es auch.
Sie sollen es richten: Joe Biden und seine Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala HarrisBild: reuters / CARLOS BARRIA
Den Präsidenten nennt er nicht beim Namen
Viele hatten Biden zeitweise schon als Präsidentschaftskandidaten
abgeschrieben. Mehrfach hatte er bei Auftritten das Bild eines alten
Mannes abgegeben, der teils fahrig und unsouverän wirkte und
bisweilen sogar Wähler unwirsch anging. Es spielte Trump in die
Hände, der Biden nur "Slow" oder "Sleepy Joe" nennt, den langsamen
und verschlafenen Joe, der nicht auf der Höhe sei. Von all dem war am
Donnerstagabend (Ortszeit) in der Halle in seinem Wohnort Wilmington
nichts zu spüren. Biden war fokussiert, sprach besonnen und
entschlossen. Er gab sich staatsmännisch – auch, als er seinen
Rivalen im Weißen Haus angriff. Er nannte ihn nicht beim Namen.
"Unser derzeitiger Präsident hat in seiner grundlegendsten Pflicht gegenüber der Nation versagt. Er hat uns nicht beschützt. Er hat Amerika nicht beschützt."
Trumps Krisenmanagement stand schon in den vergangenen Tagen am
Pranger, Biden setzte die Kritik des Parteitags mit deutlichen Worten
fort. "Unser derzeitiger Präsident hat in seiner grundlegendsten
Pflicht gegenüber der Nation versagt. Er hat uns nicht beschützt. Er
hat Amerika nicht beschützt", sagt Biden und meint die
Corona-Pandemie, die in den USA mehr als 170.000 Menschenleben
gekostet hat. "Das ist unverzeihlich."
Trump habe noch immer keinen Plan, obwohl die USA mehr Tote und
Infektionen zu beklagen hätten als jedes andere Land der Welt, sagt
der Demokrat. "Er wartet immer noch auf ein Wunder. Nun, ich habe
Neuigkeiten für ihn: Es wird kein Wunder geschehen." Biden sagte den
Wählern zu: "Der erste Schritt, den ich als Präsident machen werde,
wird sein, dass ich das Virus unter Kontrolle bekomme, das so viele
Leben ruiniert hat."
Biden verspricht, dass seine Generation den Rassismus beseitigt
Biden will noch mit einem anderen Versprechen den Nerv der Menschen
treffen. Seit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem
brutalen Polizeieinsatz steht das Thema Rassismus im Wahlkampf ganz
oben auf der Agenda. "Werden wir die Generation sein, die endlich den
Schandfleck des Rassismus aus unserem nationalen Charakter beseitigt?
Ich glaube, wir sind bereit dazu", sagt Biden. "Amerikas Geschichte
lehrt uns, dass wir in unseren dunkelsten Momenten die größten
Fortschritte gemacht haben."
Der 77-Jährige war nach Floyds Tod zunehmend unter Druck geraten,
eine nicht-weiße Frau zu seiner Vize-Kandidatin zu machen – und traf
die historische Entscheidung. Kamala Harris könnte damit die erste
Frau und Schwarze auf dem Vizepräsidentenposten werden. "Sie weiß um
alle Hindernisse, die so vielen in unserem Land in den Weg geworfen
werden", sagt Biden. Die 55-Jährige sagte bei ihrer Nominierung am
Vortag: "Es gibt keine Impfung gegen Rassismus. Wir müssen die Arbeit
machen."
Die Umfragen sind mit Vorsicht zu genießen
In Umfragen sieht es derzeit gut aus für Trumps Herausforderer – auch
wenn man die Erhebungen wegen des komplizierten Wahlsystems mit
Vorsicht genießen muss. Eines wird an ihnen aber klar: Nicht alle
Wähler sind so elektrisiert von Biden wie eine Krankenschwester aus
New York, die beim Parteitag voller Enthusiasmus "It's Joe Time" in
die Kamera rief.
Für die Mehrheit der Wähler, die Biden unterstützen wollen, ist es
eine Entscheidung gegen Trump. Anders sieht es bei dem Republikaner
aus, der nicht nur auf seine treue Basis, sondern auf die "stille
Mehrheit" in der Bevölkerung setzt. Die Demokraten hoffen ihrerseits
in den Reihen der Republikaner auf "stille Biden-Wähler".
"Wir wissen über diesen Präsidenten, dass er in vier weiteren Jahren
das sein wird, was er in den letzten vier Jahren war", sagt Biden.
Die Amerikaner seien doch gute und anständige Leute. "Um Gottes
willen! Das sind die Vereinigten Staaten von Amerika", sagt er nahezu
flehend. Die Wahl werde Leben verändern und Amerikas Zukunft für eine
lange Zeit bestimmen. "Möge die Geschichte sagen können, dass das
Ende dieses Kapitels der amerikanischen Finsternis heute Abend hier
begann", sagt Biden in die Stille hinein.
Nach seiner Rede ist er nicht mehr allein. Mit Ehefrau
Jill, Vize-Kandidatin Harris und ihrem Ehemann Doug Emhoff verlässt
Biden die Halle in Richtung Parkplatz. Autolichter blinken, Feuerwerk
steigt auf. Und die Menschen jubeln.
(se/dpa)
Die erste und einzige Debatte der beiden Vizepräsidentschaftskandidaten ist Geschichte. Historiker und USA-Experte Ronald D. Gerste lobt den Auftritt von J.D. Vance und Tim Walz und macht einen Vergleich mit John F. Kennedy.
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