In den letzten Zügen des US-Wahlkampfs sind Präsident Donald Trump und sein demokratischer Herausforderer Joe Biden in die Schlussoffensive gegangen - gegenseitige Angriffe inklusive. Biden versuchte vor der Abstimmung am Dienstag mit dem Obama-Faktor zu punkten: Er trat am Samstag zwei Mal mit dem früheren Präsidenten im besonders umkämpften Bundesstaat Michigan auf.
Trump sprach vier Mal vor Anhängern in Pennsylvania, einem anderen wichtigen "Swing State". Am Sonntag will Biden dort auftreten, Trump wird in Iowa, North Carolina und Michigan erwartet.
Der republikanische Amtsinhaber liegt in Umfragen sowohl landesweit als auch in mehreren potenziell entscheidenden Bundesstaaten hinter Biden. Seine Wiederwahl ist dennoch keineswegs ausgeschlossen, zumal aufgrund des Wahlsystems auch der Kandidat mit den meisten Stimmen unterliegen kann. Beide Seiten haben die diesjährige Abstimmung zur Schicksalswahl erklärt und warnen vor dem jeweiligen Gegner als künftigen Präsidenten. Dutzende Millionen Amerikaner haben bereits gewählt und ihre Stimme per Brief oder im Wahllokal abgegeben.
Biden versuchte am Samstag in Flint in Michigan, den Verdruss vieler Landsleute über die vergangenen vier Jahre mit Trump für sich zu nutzen. "Wir sind fertig mit dem Chaos, den Tweets, der Wut, dem Hass, dem Versagen, der Weigerung, jegliche Verantwortung zu übernehmen." Amerikaner wegen ihres Geschlechts, ihrer Ethnie oder Herkunft gegeneinander aufzubringen sei falsch, sagte Biden bei seinem anderen Auftritt in Detroit. "Jeder weiß, wer Donald Trump ist, lasst uns zeigen, wer wir sind." Er wiederholte sein Versprechen, im Falle seiner Wahl allen Amerikaner zu dienen. "Um Gottes willen, bitte wählt!", appellierte Biden fast flehend. "Es ist Zeit aufzustehen, uns unsere Demokratie zurückzuholen."
Am Dienstag gehe es um alles, sagte Ex-Präsident Barack Obama, dessen Stellvertreter Biden bis 2017 gewesen war. "Ihr könnt Wandel wählen." Mit Biden und seiner Vizekandidatin Kamala Harris werde es nicht so anstrengend werden wie mit Trump, versprach Obama. Man werde sich nicht mehr so viel streiten müssen. Er lobte Biden für sein Verantwortungsbewusstsein und seine Güte. Biden lägen die Amerikaner wirklich am Herzen.
Michigan gehört zu den strategisch immens wichtigen "Swing States", bei denen nicht schon im Vorfeld feststeht, ob aus Tradition der Kandidat der Republikaner oder der Demokraten siegen wird. Auch Pennsylvania ist so ein "Battleground State". Genau wie in Michigan konnte sich Trump dort 2016 ganz knapp durchsetzen - dieses Jahr sehen Umfragen Biden knapp in Führung.
Trump stimmte seine Anhänger darauf ein, dass sie möglicherweise mehrere Wochen auf ein Wahlergebnis warten müssten. Er machte damit auch seinem Ärger darüber Luft, dass seine Republikaner eine Fristverlängerung bei der Briefwahl in Pennsylvania nicht mit juristischen Mitteln verhindern konnten. Briefwahlunterlagen mit fristgerechtem Poststempel müssen somit noch gezählt werden, auch wenn sie drei Tage nach dem Wahltermin eintreffen.
Zum Wahlausgang sagte Trump bei seinem Auftritt in Newton: "Der 3. November wird kommen und gehen und wir werden es nicht wissen. Und ihr werdet chaotisches Durcheinander in unserem Land haben." Bei der Stimmenauszählung könnten "sehr schlimme Dinge" und etwas "Gefährliches" passieren, warnte er. Genauere Erläuterungen dazu und Belege für seine Behauptung blieb Trump schuldig.
Der Präsident macht seit Monaten Stimmung gegen die Briefwahl, die erfahrungsgemäß mehr demokratische Wähler als Anhänger der Republikaner zur Stimmabgabe nutzen. Trump behauptet, es gebe massives Betrugspotenzial bei der Briefwahl. Belege dafür hat er nicht vorgelegt. Er pocht darauf, dass noch in der Wahlnacht feststehen müsse, wer gewonnen habe.
Bei den meisten vergangenen Wahlen stellte sich der Sieger tatsächlich noch in der Wahlnacht heraus. Dieses Jahr wird aber mit möglichen Verzögerungen gerechnet, weil wegen der Corona-Pandemie deutlich mehr Menschen per Briefwahl abstimmen.
Mehr als 90 Millionen Amerikaner haben bereits die Möglichkeit genutzt, vor dem offiziellen Wahltermin am 3. November per Brief oder in vorab geöffneten Wahllokalen abzustimmen. Das entspricht laut dem "U.S. Elections Project" rund zwei Dritteln aller Wähler von 2016.
Der US-Präsident wird nicht direkt von den Bürgern gewählt, sondern von Wahlleuten. Deren Stimmen fallen komplett dem Sieger des Bundesstaats zu, der diese Wahlleute entsendet - egal wie knapp das Ergebnis dort ausgefallen ist. Für den Einzug ins Weiße Haus sind 270 Stimmen von Wahlleuten nötig. 2016 hatte Trump zwar landesweit weniger Stimmen als Hillary Clinton geholt, aber mehr Wahlleute für sich gewonnen.
Biden will sich in der Wahlnacht von seinem Wohnort Wilmington im Bundesstaat Delaware aus an die Nation wenden, wie sein Wahlkampfteam am Samstag ankündigte. Trump wird die Wahlnacht nach eigenen Worten wohl in Washington "zwischen dem Weißen Haus und dem (Trump-)Hotel" verbringen, weil die Hauptstadtverwaltung für die Nutzung seines dortigen Hotels "Grenzen gesetzt" habe. In Washington sind derzeit Veranstaltungen mit maximal 50 Personen erlaubt. Es ist ungewöhnlich, dass amtierende Präsidenten in der Wahlnacht im Weißen Haus sind.
(hau/dpa)