Die Ampelregierung steckt in einer Krise, mal wieder. Diesmal geht es um 60 Milliarden Euro, die seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Umwidmung der Coronahilfen in den Klima- und Transformationsfonds im Haushalt fehlen. Für das Jahr 2024 konnten sich die Koalitionäre auf keinen neuen Haushalt einigen. Die Diskussionen laufen. Darüber hinaus bleiben die sich überlagernden Krisen: Krieg in der Ukraine, Klima, Krieg im Nahen Osten, Rechtsruck.
Beim SPD-Parteitag in Berlin geht es der Kanzlerpartei darum, Antworten zu finden. Einen Weg auszumachen, wie sich die Partei in Zukunft positionieren soll. Mit den Leitanträgen, die zur Abstimmung stehen, dürften die Sozialdemokrat:innen ein Stück nach links rücken. Am ersten Tag wurde außerdem die Parteispitze, bestehend aus Saskia Esken, Lars Klingbeil und Kevin Kühnert im Amt bestätigt.
Und auch der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz bekommt seine Redezeit. Und wird dabei ungewohnt emotional. Eine Eigenart, die Scholz sonst eher selten attestiert wird. Hinter verschlossenen Türen, heißt es, sei der Kanzler öfter so nahbar – und sogar witzig. Vier Minuten und 43 Sekunden dauert der Applaus der Genoss:innen zum Ende der Rede. Doch in der Aussprache, zu der sich 40 Parteimitglieder zu Wort melden, gibt es nicht nur Bauchpinselei.
Schon zu Beginn der Rede wird Scholz mit lautem Applaus und Pfiffen begrüßt. Die Partei feiert ihren Kanzler wie einen Rockstar. Es sei ein gutes Zeichen, das von diesem Parteitag ausgehe, meint der. Die SPD sei in sich geeint, auch wenn die aktuellen Umfragewerte der Partei schlecht aussehen und die Zeiten schwierig seien. Diese Geschlossenheit sei die Grundlage für den Erfolg der Partei, sie sei es gewesen, weshalb die SPD die Bundestagswahl gewinnen konnte.
Dass die Geschlossenheit auch und gerade in Krisenzeiten wichtig ist, hört man an diesem Wochenende auch innerhalb der Partei immer wieder. Man habe aus dem Umgang mit Andrea Nahles und dem drohenden Zerfall der Partei gelernt, heißt es dann. Gerade in Krisenzeiten brauche es eine geschlossene SPD, meint Scholz.
Dann skizziert der Kanzler die Krisen der Zeit: Als die Ampel ins Amt kam, tobte in Deutschland noch Corona, hunderte Menschen starben täglich. Wenig später überfiel Russland die Ukraine. Eine harte Probe für die SPD, die sich selbst schon immer als Friedenspartei verstanden hätte. Doch klar sei auch: Es sei nicht hinnehmbar, dass ein großes Land aggressiv bestimmen will, was in einem kleinen Nachbarland passiere. Kleine Länder dürften sich nicht vor ihren großen Nachbarn fürchten müssen. Daher sei es notwendig, die Ukraine zu unterstützen und auch Waffen in ein Kriegsgebiet zu schicken.
Diese Unterstützung müsse auch in den kommenden Jahren leistbar sein, deshalb müsse der Staat in eine Lage versetzt werden, in der er das stemmen kann. Er wolle dafür kämpfen, dass das Recht auf Asyl gewahrt bleibe, dazu gehöre aber auch, dass jene, die kein Bleiberecht haben, zurückgeführt werden.
Gleichzeitig sei es wichtig, dass das Land nun mit einem modernen Einwanderungsrecht offen wird für Zuwanderung. Scholz bringt sogar seine eigene Vision dessen zum Ausdurck. Er wünsche sich, sagt er, dass Einbürgerungsfeiern veranstaltet würden, zu denen die ganze Familie in ihren besten Klamotten kommt – und zum Schluss wird die Nationalhymne gespielt.
Deutschland stehe eng an der Seite Israels, stellt Scholz klar. Es sei richtig und wichtig, dass es einen Staat gibt, in dem sich Jüdinnen und Juden sicher fühlten – klar sei aber auch, dass sich das Recht auf Selbstverteidigung und der Krieg an das Völkerrecht halten müssten. Daher sei es wichtig, dass Deutschland humanitäre Hilfe im Gaza leiste. Es sei nicht in Ordnung, dass der Antisemitismus in Deutschland wieder laut würde – genauso wenig sei Islamfeindlichkeit zu akzeptieren, sagt Scholz.
Die aktuelle Haushaltskrise sei eine schwere Aufgabe, gibt Scholz zu. Gerade, wenn man nicht so handeln könne, wie man es selbst gerne hätte, sondern sich mit anderen einigen müsse. "Das wird uns gelingen", stellt Scholz klar. Was es mit ihm nicht geben werde, sei ein Abbau des Sozialstaates.
Klar sei darüber hinaus, dass nun die Zeit der Investitionen ist. Anders ließe sich Transformation nicht gestalten; und Klima, Welt und Menschen nicht gerettet werden. Um den Rechten zu begegnen, müsse außerdem auf den Zusammenhalt der Menschen gesetzt werden, stellt Scholz klar. Die SPD dürfe niemanden damit durchkommen lassen, dass nur weil es jemandem selbst schlecht geht, rechte Parteien und Meinungen unterstützt würden.
Die Partei belohnt Scholz dafür mit einem langen Applaus. "Liebe Genossen und Genossen, wir haben eine Geschichte und wir haben eine Verantwortung für die Demokratie", fährt Scholz fort. Jede:r habe das Recht auf eine Zukunft und die SPD müsse sich darum kümmern, dass es Zuversicht gibt.
Natürlich werde in schweren Zeiten auch viel gestritten. Und das sei ein Problem. "Denn wenn die Zeiten schwierig sind und es darum geht, Zuversicht zu vermitteln, ist das keine gute Idee", räumt Scholz ein. Er hätte den vielen Ampelkrach nicht gebraucht. Was das Land nun aber brauche, seien Menschen, die weiterhin ihre Arbeit machen – auch wenn die Zeiten schwierig sind. Die Partei ist offensichtlich begeistert von der Klarheit ihres Kanzlers. Der Applaus braucht fast fünf Minuten, ehe er wieder abflaut.
Doch in der folgenden Aussprache gibt es auch kritische Töne.
So geht etwa Juso-Chef Philipp Türmer hart mit dem Kanzler ins Gericht. Angetreten sei der Kanzler 2021 mit dem Versprechen des Respekts. "Und trotzdem ist das Land aktuell gespaltener denn je", prangert Türmer an. Olaf Scholz sei "der Chef der Regierung und nicht der Paartherapeut von Christian [Lindner] und Robert [Habeck]."
Das Land brauche keinen Moderator, sondern einen Entscheider. Deshalb bestelle Türmer nun Führung vom Kanzler – und erwarte, dass Scholz endlich liefere. Dass so viele Menschen wie nie auf die Tafel angewiesen seien, weil sie nicht wüssten, von was sie ihren Einkauf bezahlen sollen, sei ein "Armutszeugnis" für eine sozialdemokratisch geführte Regierung. "Wir brauchen einen Kanzler, der an ihrer Seite steht und das Versprechen der Sozialdemokratie auf ein besseres Leben erneuert", fordert Türmer. Zu häufig würde den Konservativen die Bühne überlassen, kritisiert er.
Die Haushaltskrise werde nicht dadurch gelöst, dass die SPD während der Kanzler-Rede aufsteht, meint Türmer. Es reiche nicht, solide zu regieren, wenn die Antworten nicht groß genug seien für die Probleme dieser Zeit. Scholz müsse nun endlich seinen Kurs ändern – vom Moderator, hin zum Kämpfer für sozialdemokratische Ideale.
Auch Nina Gaedike hat einiges am Kurs des Kanzlers auszusetzen. Die SPD stehe zusammen und sei geeint, aber das geschehe nicht automatisch, macht sie deutlich. "Und auch dann nicht automatisch, nur weil du Olaf, als unser Kanzler vorpreschst", fügt sie an. Sie spielt auf das Interview im "Spiegel" an, in dem Scholz erklärt hat, schneller abschieben zu wollen. Scholz habe erklärt, die ganze Partei in all ihren Gliederungen stehe hinter ihm. "Lass dir sagen, du irrst dich", sagt Gaedike. Ein sozialdemokratischer Kanzler, der den Fokus auf Abschiebungen lege, während das nichts an der Lage der Kommunen ändere "ich glaub es hackt, ich kann es nicht fassen."
Worum es gehe, sei die soziale Krise zu bekämpfen. Scholz solle endlich aufwachen und für das Kämpfen, für das er angetreten ist, macht sie deutlich.