SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wurde am Sonntag von seiner Partei beim digitalen Parteitag bestätigt. Bild: www.imago-images.de / Florian Gaertner/photothek.de
Vor Ort
SPD-Parteitag: "Bei Olaf kannst du keine Rede wie bei Michelle Obama erwarten, aber das, was er abliefert, ist Kanzler-Material"
Die CDU hatte die Messlatte im Januar hochgesetzt. Beim ersten großen digitalen Bundesparteitag lief alles wie am Schnürchen. Mit professionell produzierten Einspielern und einem reibungslosen Ablauf gelang es der größten Volkspartei einen sehenswerten Parteitag zu produzieren, bei dem Generalsekretär Paul Ziemiak ungeahnte Qualitäten als Moderator abrufen konnte.
Am Sonntag war nun die SPD an der Reihe. Im Gegensatz zur Union musste hier kein Kanzlerkandidat oder Parteivorsitzender gewählt werden. Die waren mit Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans und Olaf Scholz bereits klar. Stattdessen war der Parteitag vielmehr ein Gradmesser für die Zustimmung des Führungs-Trios innerhalb der Partei und die Einstimmung für den Bundestagswahlkampf.
Die SPD startet mit Breitseite gegen den Koalitionspartner
Den Auftakt machte Generalsekretär Lars Klingbeil. Ein Tag nach dem 76. Jahrestag des Kriegsendes des Zweiten Weltkriegs in Europa erinnerte er an die antifaschistische Tradition der SPD und an Verfolgte des Nazi-Regimes wie Sophie Scholl. Er spannte den Bogen zu Hans-Georg Maaßen und drückte dessen Gegenkandidaten der SPD, Olympia-Sieger Frank Ullrich, in Thüringen die Daumen.
Klingbeil schoss sich anschließend auf den Koalitionspartner ein und ging die Union hart an. Er nannte Armin Laschet "hasenfüßig" und die Union "kaputt" und "inhaltlich leer". Für Deutschland sei es gut, wenn diese Politiker keine Verantwortung mehr tragen. Der SPD-Generalsekretär hatte schon zuvor gegenüber watson scharfe Kritik an der Nominierung von Hans-Georg Maaßen als Bundestagskandidat der CDU geübt.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil eröffnete den Parteitag am Sonntag.bild: screenshot / phönix
"Ich hätte mir gewünscht, er hätte auch klargemacht, dass wir in Sachen Umwelt mehr zu bieten haben als die Grünen."
Heißt es aus Kreisen der Delegierten beim SPD-Parteitag gegenüber watson
Kritik an Lars Klingbeil
Klingbeil stand vor dem Parteitag scharf in der Kritik, es als Generalsekretär verpasst zu haben, seine Partei rechtzeitig in den Bundestagswahlkampf zu führen.Auch seine diesjährige Parteitagsrede rief nicht nur Beifall hervor. Parteiintern wurde kritisiert, dass Klingbeil mit der Union den falschen Gegner ausgesucht habe.
Aus Kreisen der Delegierten heißt es gegenüber watson: "Ich glaube, es ist wichtig klarzumachen, dass es einen Unterschied zwischen SPD und Union gibt. Aber ich hätte mir gewünscht, er hätte auch klargemacht, dass wir in Sachen Umwelt mehr zu bieten haben als die Grünen."
Das Thema Nachhaltigkeit nahmen am Sonntag die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans in ihrer Rede auf. "Ökologie und soziale Verantwortung gehen nur zusammen", erklärte Walter-Borjans und machte damit den eigenen Anspruch klar, einen alternativen Ansatz in Sachen Klimaschutz zu verfolgen, der die SPD von den Grünen abhebt.
Lounge-Panorama: Generalsekretär Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und die Parteichefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken (v. l. n. r.) hatten auf der Bühne bequeme Sessel. Rechts davon hatte ein DJ stilecht seine Turntables aufgebaut.Bild: Getty Images Europe / Pool
Der Schatten großer Kanzler
Und natürlich durfte bei einem SPD-Parteitag auch Willy Brandt nicht fehlen. Der Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer verglich den aktuellen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz mit dem legendären SPD-Kanzler. Der habe ebenfalls schlechte Umfrageergebnisse gehabt und wurde trotzdem Kanzler. Armin Laschet sei keine Angela Merkel und Annalena Baerbock eben auch nicht, so der Tenor. Auch mit Helmut Schmidt wurde Olaf Scholz verglichen, beide waren Erste Bürgermeister von Hamburg gewesen.
Dass die Partei zur Zeit der großen SPD-Kanzler mindestens zweitstärkste Kraft war, verschwieg der SPD-Abgeordnete Schäfer. Und nicht nur er. Der Parteitag war insgesamt geführt, als wäre die SPD noch Volks- und Arbeiterpartei und zweitstärkste Kraft. Letzteres ist sie aktuell noch im Bundestag, aber nicht in den Umfragen, bei denen sie weit hinter Union und Grünen und beinahe auf Augenhöhe mit AfD und FDP liegt.
"Wir müssen mal richtig Tempo machen."
Juso-Chefin Jessica Rosenthal im Interview mit Phoenix
Dass der SPD vorgeworfen wird, schon länger keine Antworten mehr auf die drängenden Fragen der Zeit und ein wenig den Anschluss verloren zu haben an die Nöte und Bedürfnisse, insbesondere junger Menschen, schwebte über diesem Parteitag. Ausgesprochen wurde es nicht oder selten, obwohl es durchaus eine lebhafte Aussprache der Redner gab, die dafür sorgte, dass sich die Programmpunkte um einige Minuten verschoben.
Insbesondere das Thema Klima und der Antrag der Jusos, die Patente auf Corona-Impfstoffe auszusetzen, sorgte für Diskussionen. Dass das Klimaziel im Wahlprogramm erst nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor wenigen Wochen auf eine Klimaneutralität bis 2045 festgesetzt wurde, konterkarierte die vielen Bekundungen der Redner, Umweltschutz mehr Priorität verleihen zu wollen.
Juso-Chefin Jessica Rosenthal thematisierte die mangelnde Nachhaltigkeit im Parteiprogramm und übte Kritik im Interview mit dem Nachrichtensender Phoenix. "Wir müssen mal richtig Tempo machen", so Rosenthal hinsichtlich klimaverträglichem Umbau der Wirtschaft. "Es ist keine Option, ein wenig auf die Bremse zu treten. Wir müssen den menschengemachten Klimawandel aufhalten", resümierte die Juso-Chefin.
Auch ansonsten kam die heftigste Kritik mal wieder von den Jusos. SPD-Bundestagskandidatin Carmen Wegge aus Bayern kritisierte zusätzlich, dass dem Wahlprogramm die Perspektive der Jugend fehle. Sie warnte vor der drohenden Jugendarbeitslosigkeit, die aufgrund der Corona-Pandemie und der damit zusammenhängenden Auswirkungen auf die Wirtschaft drohe. Im Großen und Ganzen wurde das Wahlprogramm und dessen Zustandekommen jedoch gelobt. Viele verschiedene Teile der Partei seien in die Ausarbeitung involviert gewesen. Insbesondere die sogenannten "Debatten-Camps", die als Konsequenz der letzten Wahlergebnisse und des Unmuts über die Involvierung der SPD in die große Koalition entstanden sind, seien sehr produktiv gewesen für die Ausarbeitung der eigenen Agenda.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz während den Proben zum Parteitag. Bild: www.imago-images.de / Florian Gaertner/photothek.de
"Bei Olaf kannst du jetzt keine Rede wie bei Michelle Obama erwarten, aber das, was er da abgeliefert hat, ist Kanzler-Material."
Heißt es aus Kreisen der Delegierten beim SPD-Parteitag gegenüber watson
Olaf Scholz spricht von vier Zukunftsmissionen
Der Höhepunkt des Parteitages bildete die Rede von Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Viel wurde sich erhofft an Mobilisierung und Motivation für den kommenden Bundestagswahlkampf der SPD. Nachdem die Partei mit über 99 Prozent für das gemeinsame Wahlprogramm gestimmt hatte und mit einiger Verzögerung, kam schließlich auch der Kanzlerkandidat zu Wort, der zuvor hinter den Kulissen auf seinen großen Moment gewartet hatte.
Und er enttäuschte nicht. Olaf Scholz zeigte sich ungewöhnlich persönlich in seiner Rede, erzählte von Besuchen bei Corona-Patienten und den Auswirkungen der Pandemie, die den Alltag aller Menschen betreffe sowie von seiner Zeit als Anwalt, während der er sich für Arbeitnehmerrechte starkgemacht hatte. Dann erklärte Scholz, was er tun will, wenn er Kanzler wird und wurde ungewöhnlich konkret: Ein Mindestlohn von 12 Euro will Scholz gleich im ersten Jahr einführen. Ebenso kündigte Scholz einen bundesweiten Mietenstopp in Ballungsräumen an und ein klares Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel.
Scholz präsentierte sich klar, direkt und verbindlich. Richtig emotional wurde es nicht, aber der Kanzlerkandidat der SPD trat im besten Sinne präsidial auf mit einer Rede, die sich offensichtlich auch an außenstehende Zuschauer richtete. Er sprach von vier wichtigen Zukunftsmissionen, Mobilität, Klima, Digitales und Gesundheit, die er anpacken wolle und einer Politik des Respekts, für die er sich einsetzen will.
Und auch bei seiner Partei kam er damit an. "Bei Olaf kannst du jetzt keine Rede wie bei Michelle Obama erwarten, aber das, was er da abgeliefert hat, ist Kanzler-Material", heißt es aus Kreisen der Delegierten beim SPD-Parteitag gegenüber watson. Ob das ausreicht, um ihn auch wirklich ins Kanzleramt zu befördern, wird sich im Herbst zeigen. Bis dahin hat seine Partei noch gut vier Monate Zeit, um die Stimmung im Land zu drehen.
CSU: Markus Söder empört mit Minister-Vorschlag für nächste Bundesregierung
Anfang des Jahres führte Günther Felßner noch als Vorsitzender des Bayerischen Bauernverbands die Proteste der Landwirte gegen die Ampel-Regierung in Berlin an. Mit gelber Warnweste stand er an der Spitze von Traktor-Kolonnen und protestierte unter anderem gegen die Politik von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne).