Noch vor Prozessbeginn versammelten sich am vergangenen Montag in Minneapolis einige Demonstranten, um für die Verurteilung von Derek Chauvin zu demonstrieren. Bild: www.imago-images.de / Imagespace
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Darum geht es beim Prozess um den Tod von George Floyd
"I can't breathe", auf Deutsch: "Ich kann nicht atmen". Diese Worte gingen im vergangenen Frühsommer um die Welt und lösten eine Protestbewegung aus, die auch hier in Deutschland zehntausende Menschen auf die Straßen brachte.Es waren die letzten Worte eines Mannes, der acht Minuten und 15 Sekunden lang um sein Leben bettelte – vergeblich. Der Polizist Derek Chauvin blieb in der US-amerikanischen Großstadt Minneapolis auf dem Nacken von George Floyd knien, allen Bitten und Mahnungen der umstehenden Passanten zum Trotz. Auf dem Bürgersteig verlor George Floyd bereits das Bewusstsein, im Krankenhaus wurde er schließlich für tot erklärt.
Die Gutachten der Gerichtsmediziner, die Floyds Körper anschließend untersuchten, benennen den Polizeieinsatz klar als Todesursache: Floyd war erstickt. Ein weißer Polizist, der für den Tod eines Schwarzen verantwortlich ist – wieder einmal. Eine Nachricht, die in den USA zum Alltag vieler Afroamerikaner gehört und zu Verbitterung und Hass führt. Denn von der Justiz fühlen sich Schwarze US-Amerikaner häufig ebenfalls verraten. Oft gingen beschuldigte Polizisten in der Vergangenheit aus den anschließenden Verfahren mit einem Freispruch oder einem sehr milden Urteilen aus dem Gerichtssaal.
Dieses Mal soll es anders sein: Am 8. März begann der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder George Floyds, Derek Chauvin – und die ganze Welt schaut auf das Verfahren. Es geht um viel mehr als den Tod eines einzelnen Mannes. Das Justizsystem der USA steht auf dem Prüfstand. Watson beantwortet euch die wichtigsten Fragen zum Prozess um den Tod von George Floyd.
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Was wird verhandelt?
Die Anklage lautet "Second degree murder" – was ungefähr mit Totschlag im deutschen Strafrecht vergleichbar ist. Der Unterschied zum Tatbestand des Mordes ist, dass der Täter nicht "aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken" (§ 211, Absatz 2, Strafgesetzbuch) einen Menschen getötet hat.
Beim Polizisten Chauvin wird davon ausgegangen, dass er nicht aus Vorsatz gehandelt, aber Floyds Tod in Kauf genommen hat. Ihm drohen daher "nur" bis zu 40 Jahre Haft – das Strafmaß, das in den USA auf Totschlag steht. Wäre er wegen Mordes angeklagt, hätte ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe drohen können, die in den USA anders als in Deutschland bedeutet, dass der Verurteilte im Gefängnis stirbt – sollte er nicht vorher begnadigt werden.
Wer ist angeklagt?
Derek Chauvin ist der Polizist, der minutenlang auf George Floyds Nacken kniete, bis dieser daran starb. Davon gehen zumindest die Ermittler aus. Die Anwälte Chauvins geben an, dass bei der Autopsie von Floyds Körper das Opiat Fentanyl festgestellt wurde. Sie argumentieren, dass Floyd nicht unmittelbar durch die Gewalteinwirkung von Chauvin gestorben sein müsse, sondern Drogen eine Rolle gespielt hätten. Außerdem wurde Floyds Körper positiv auf das Coronavirus getestet – ein weiterer Befund, der der Verteidigung in die Hände spielen könnte.
Derek Chauvin galt vor dem Tod von George Floyd als hochdekorierter, wagemutiger Polizeibeamter, der in einige brenzlige Situationen und Schießereien verwickelt war. Dabei soll Chauvin laut Augenzeugen mehrfach äußerst brutal vorgegangen sein. Einige seiner Einsätze wurden im Nachhinein untersucht. Dass er ein Problem mit übertriebener Gewaltanwendung hatte, wussten auch seine Vorgesetzten: Über Chauvin waren bereits vor Floyds Tod 22 Beschwerden eingereicht worden, mehrfach wurden Disziplinarverfahren gegen ihn angestrengt.
Laut US-amerikanischen Medienberichten arbeitete Chauvin neben seinem Job als Polizist auch als Sicherheitsmitarbeiter in demselben Club, in dem auch George Floyd arbeitete. Auch dort wird berichtet, dass Chauvin äußerst aggressiv bei Konflikten vorgegangen sei: Statt bei Schlägereien und Rangeleien dazwischenzugehen, setzte er Pfefferspray gegen die gesamte Menschenmenge ein. Insbesondere gegenüber Afroamerikanern soll er brutal gewesen sein. Ob Floyd und Chauvin sich in ihrer Tätigkeit als Securitys vor Floyds Tötung Ende Mai 2020 beruflich begegnet sind, ist unbekannt. Sollte es zu einem früheren Zusammentreffen gekommen sein, könnte das dem Tötungsdelikt einen persönlichen Aspekt hinzufügen.
Wer entscheidet?
In den USA entscheidet in Strafprozessen neben dem zuständigen Richter auch eine Jury aus Geschworenen. Die Auswahl der zwölf Geschworenen erweist sich allerdings als schwierig. In der Vergangenheit waren Gerichtsverhandlungen, bei denen eine weiße Jury weiße Polizeibeamte freisprach, die Schwarze Verdächtige ermordet oder verletzt hatten, oft in der Kritik. Das Verfahren muss lupenrein geführt werden, um gerade Afroamerikanern Vertrauen in die Justiz zurückzugeben.
In einem komplexen Auswahlverfahren wurden mögliche Jurymitglieder daher vorab darauf getestet, ob sie bereits vorgefertigte Meinungen zu dem Fall haben. Anklage und Verteidigung können während des Prozesses Geschworene befragen und notfalls aussortieren, sollten sie für ungeeignet befunden werden. Die Staatsanwaltschaft trägt derweil Sorge, dass Schwarze Geschworene nicht unterrepräsentiert sind.
Warum ist der Prozess so wichtig?
In der Vergangenheit waren Gerichtsprozesse selbst Gegenstand von Kritik durch Bürgerrechtler in den USA. Polizei und Justiz stehen im Verdacht, rassistisch geprägt zu sein und deutlich entschiedener gegen Schwarze Verdächtige und Angeklagte vorzugehen als gegen weiße. Manche Aktivisten haben nach dem Tod George Floyds sogar gefordert, die Polizei (in ihrer derzeitigen Form) abzuschaffen.
Der Prozess gegen Derek Chauvin hat daher hohen Symbolcharakter. Hat die US-Justiz aus der Vergangenheit gelernt und reagiert sie auf die Kritik – oder bestätigt sie die Vorurteile gegenüber der Justiz? Auf der anderen Seite muss sich das Gericht an rechtsstaatliche Maßstäbe halten und dem Angeklagten einen fairen Prozess bereiten, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass Chauvin zum Bauernopfer wird.
Ähnlich wie beim NSU-Prozess in Deutschland sind daher alle Augen auf den Gerichtssaal gerichtet. Unter den Augen der weltweiten Öffentlichkeit müssen die Verantwortlichen dafür sorgen, dass der Prozess korrekt geführt wird und keine Angriffsfläche für Kritik am Justizsystem liefert, um die gesellschaftliche Spaltung in den USA nicht zu vertiefen.
Wie geht es weiter?
Aktuell streiten Anklage und Verteidigung noch über die genauen Anklagepunkte und über Verfahrensfragen. Auch die Auswahl der Geschworenen wurde vom 8. auf den 9. März verschoben. Es ist daher noch unklar, wann der Prozess wirklich beginnen kann. Die Hauptverhandlung wird von Richter Peter A. Cahill für April geplant, Ende März werden die Eröffnungsplädoyers erwartet.
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