Das Ziel ist klar: Angesichts Tausender todkranker Menschen auf den Wartelisten sollen in Deutschland dauerhaft mehr Organe gespendet werden. Doch wie soll das gelingen?
Nach monatelangen Diskussionen will der Bundestag am Donnerstag die Grundsatzfrage klären, ob dafür ein radikaler Neustart kommen soll, wie ihn eine Abgeordnetengruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will. Oder ob mehr Nachdruck im bestehenden Rahmen reicht.
Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Mehr als 9000 Menschen in Deutschland warten auf Organe. Für sie geht es um Leben und Tod. Und jeder kann ja in diese Situation kommen. Doch nur 40 Prozent haben laut einer Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse einen Spendeausweis, auf dem man Ja oder Nein ankreuzen kann. Dabei haben 84 Prozent generell eine positive Einstellung dazu.
Obwohl die Kassen regelmäßig Vordrucke durch die Republik schicken, schieben viele eine Festlegung immer wieder vor sich her. Und ohne ausdrücklich erklärtes Ja dürfen keine Organe entnommen werden.
Für Organspenden muss der Tod zweifelsfrei sein: Dafür müssen zwei Fachärzte unabhängig voneinander den vollständigen und unumkehrbaren Ausfall des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bestätigen. Manche machen sich Sorgen, dass der Tod zu früh festgestellt werden könnte.
Auch Organspendeskandale 2012 verunsicherten viele Leute. Es ging um Manipulationen bei Wartezeiten für Transplantationen. Und generell verhindert eine Spende, dass Angehörige im letzten Moment dabei sein können. Hirntote sind noch warm, das Herz schlägt.
Alarmiert hat Ärzte und Politik der Tiefstand von 797 Spendern im Jahr 2017. Womöglich auch angesichts der anziehenden Debatte gingen die Zahlen dann aber herauf – im vergangenen Jahr überließen 955 Menschen nach dem Tod Organe für andere Patienten, etwas weniger als 2018.
Jedoch waren es 2012 noch 1200 gewesen. Jeder Spender schenkte zuletzt im Schnitt mehr als drei Schwerkranken neue Lebenschancen.
Das Prinzip der ausdrücklich nötigen Zustimmung umkehren will eine Abgeordnetengruppe um Spahn und den SPD-Experten Karl Lauterbach. Sie streben die "doppelte Widerspruchslösung" an, bei der automatisch jeder Spender wäre – außer man widerspricht ausdrücklich. Das soll man jederzeit tun und es in einem neuen Register speichern lassen können.
Vor einer Transplantation müsste ein Arzt dort abfragen, ob es eine Erklärung gibt. Ist das nicht der Fall und liegt auch sonst kein schriftliches Nein vor, ist der nächste Angehörige zu fragen. Aber nicht wie bisher nach einer eigenen Entscheidung – sondern nur, ob er einen schriftlichen Widerspruch oder sonstigen Willen kennt.
Dazugehören soll eine große Informationskampagne für die neue Regelung. Außerdem soll jeder ab 16 Jahren dreimal direkt mit Informationen angeschrieben werden. Kommen Minderjährige als Spender infrage, soll eine Organentnahme nur zulässig sein, wenn die Eltern zugestimmt haben. Bei Menschen, die die Tragweite einer solchen Entscheidung nicht erkennen können - etwa wegen einer geistigen Behinderung - sollen Organspenden grundsätzlich tabu sein.
Eine andere Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und die Linke-Vorsitzende Katja Kipping warnt vor einem tiefen Eingriff in die Selbstbestimmung. Sie schlägt daher vor, alle Bürger direkter anzusprechen.
Wer ab 16 Jahren einen Personalausweis beantragt, ihn nach zehn Jahren verlängert oder sich einen Pass besorgt, soll auf dem Amt Info-Material bekommen. Beim Abholen soll man sich auch schon direkt vor Ort in ein neues Online-Register eintragen können – mit Ja oder Nein, Änderungen jederzeit möglich. Auch in Ausländerbehörden soll es so etwas geben. Selbst beraten sollen die Ämter aber nicht.
Für die Aufklärung sollen auch Hausärzte eine größere Rolle spielen. Sie sollen Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre über Organspenden informieren und zum Eintragen ins Register ermuntern – aber ergebnisoffen und mit dem Hinweis, dass es weiter keine Pflicht zu einer Erklärung gibt. Grundwissen über Organspenden soll auch Teil der Erste-Hilfe-Kurse vor einer Führerscheinprüfung werden.
Beide Entwürfe sehen Übergangszeiten für Vorbereitungen vor. Die Neuregelungen der Gruppe um Baerbock sollen zwei Jahre nach der Verkündung eines Gesetzes in Kraft treten. Die Widerspruchslösung der Gruppe um Spahn soll ab 1. Oktober 2022 greifen.
Die bundesweit rund 1300 Kliniken, die Organe entnehmen, sollen mehr Geld und Zeit dafür bekommen. Eine Gesetzesänderung dafür ist aber erst im vergangenen Jahr in Kraft getreten. Eigens für Transplantationen beauftragte Mitarbeiter sollen nun mehr Freiräume haben. Kliniken werden für den Prozess von Organspenden besser vergütet. Ein neuer Bereitschaftsdienst mit mobilen Ärzteteams soll gewährleisten, dass die Voraussetzungen des Hirntods überall festgestellt werden können.
Befürworter der Widerspruchslösung verweisen etwa auf Spanien, das auf viel höhere Spenderzahlen kommt. Dort werden aber auch Spenden nach Herztod einbezogen, wie die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärt.
In Frankreich, Belgien, Österreich, Tschechien und Polen gilt ebenfalls die Widerspruchslösung. In Norwegen werden in der Praxis Angehörige vor einer Entnahme gefragt, ob sich der Verstorbene dagegen ausgesprochen hat. In Schweden muss der Verstorbene in der Regel vor dem Tod zugestimmt haben. Sonst werden Angehörige gefragt.
(ll/dpa)