Präsident Wladimir Putin verkündete die weltweit erste Zulassung für einen Corona-Impfstoff – Experten sind skeptisch.Bild: ap / Alexei Druzhinin
watson antwortet
11.08.2020, 18:2712.08.2020, 11:25
Vor einigen Tagen hatte Russland angekündigt,
demnächst einen ersten Impfstoff gegen Corona zulassen zu wollen. Am
Dienstag gab der russische Präsident Wladimir Putin nun genau dies
bekannt. Schon bald sollen die ersten Ärzte und Lehrer geimpft
werden. Grundsätzlich sehen Experten eine Impfung als wirksamstes
Mittel zur Bekämpfung der Corona-Pandemie an.
Kann der russische
Impfstoff das leisten? Was wissen wir über das Mittel und wie weit sind andere Impfstoffe in ihrer Entwicklung bisher? Ihr habt Fragen – watson hat die Antworten.
Bild: watson
Was ist über den Impfstoff bekannt?
Insgesamt wenig. Der Wirkstoff ist unter dem Namen "Gam-COVID-Vac
Lyo" in einer Datenbank für klinische Studien registriert. Nach
Angaben von Präsident Putin soll er unter dem Namen "Sputnik-V"
vermarktet werden. Bei dem Impfstoff handelt es sich um einen
sogenannten Vektorimpfstoff. Dabei wird ein harmloses Virus – hier
Adenoviren – als Transporter genutzt, um genetische Informationen für
ein Eiweiß des Sars-CoV-2-Virus in den Körper zu schleusen. Ziel ist
es, das Immunsystem dazu zu bringen, Antikörper gegen das Eiweiß zu
bilden und andere Abwehrreaktionen hervorzurufen. Bei Kontakt mit
Sars-CoV-2 ist der Körper dann vorbereitet und kann die Infektion
besser eindämmen.
Das staatliche Gamaleja-Institut für Epidemiologie und
Mikrobiologie in Moskau, das den Impfstoff entwickelt hat, hatte
bereits im Mai von erfolgreichen Tests mit dem Wirkstoff gesprochen.
Anfang August teilte der Gesundheitsminister Michail Muraschko der
Staatsagentur Tass zufolge schließlich mit, diese klinischen Tests
seien abgeschlossen. Die Ergebnisse wurden allerdings noch nicht für
eine unabhängige Bewertung veröffentlicht.
Wie verläuft die Prüfung eines Impfstoffs üblicherweise?
Bei der Entwicklung eines Impfstoffes setzt die Forschung auf ein
stufenweises Vorgehen: Zunächst werden Impfstoffkandidaten in Zell-
und Tierversuchen auf Sicherheit und Wirksamkeit getestet. Bei
positiven Ergebnissen dieser präklinischen Untersuchungen können die
Impfstoffe an Menschen getestet werden. In der Regel durchläuft ein
Kandidat drei Phasen der klinischen Prüfung, bevor er zugelassen
werden kann. Darin werden Verträglichkeit, Sicherheit, Wirksamkeit
und Anwendungsschemata getestet und nach und nach immer mehr
Probanden eingeschlossen.
Seltene Nebenwirkungen könnten insbesondere in der
Phase-III-Prüfung mit mehreren Tausend Probanden erkannt werden,
erläuterte Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts im
hessischen Langen. Von einer abgeschlossenen Phase-III-Studie mit dem
russischen Impfstoff ist nichts bekannt, laut Gesundheitsminister
Muraschko soll diese Testphase unabhängig von der Zulassung anlaufen.
Ein sehr ungewöhnliches Prozedere.
Wie reagieren unabhängige Experten auf die Ankündigungen Russlands?
Ohne konkrete Daten ist es auch für Fachkollegen schwer, die
Qualität und Wirksamkeit des Impfstoffes einzuschätzen. Insgesamt
sind die Reaktionen verhalten. "Ich sehe die Zulassung sehr, sehr
zurückhaltend", sagt etwa der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. "Gerade wenn
Impfstoffe aus nicht ganz so freien Systemen kommen, ist eine
unabhängige Begutachtung besonders wichtig. Sonst kann da jede Firma
irgendwas erzählen."
"Hochriskantes Experiment am Menschen"
Ärztepräsident Klaus Reinhardt kritisierte das Vorgehen
Russlands. "Die Zulassung eines Impfstoffs ohne die entscheidende
dritte Testreihe halte ich für ein hochriskantes Experiment am
Menschen", sagte er der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Mittwoch).
Es dränge sich der Eindruck auf, dass es sich um eine populistische
Maßnahme handele, so der Präsident der Bundesärztekammer. "Es ist
unverantwortlich, ganze Bevölkerungsgruppen bereits in diesem Stadium
der Entwicklung zu impfen."
Wer ist hierzulande für die Zulassung zuständig?
Damit ein Impfstoff in Deutschland auf den Markt kommen kann,
benötigt er eine behördliche Zulassung. Für eine nationale Zulassung
ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zuständig. Alternativ kann eine
zentrale europäische Zulassung durch die EU-Kommission erteilt
werden. Sie wird unter Mitwirkung des PEI von der Europäischen
Arzneimittelagentur EMA koordiniert.
Was muss ein Impfstoff können, um erfolgreich vor einer Infektion zu schützen?
Eine Impfung soll den Körper dazu anregen, Antikörper gegen
Bestandteile des Erregers zu bilden. Diese können das Virus bei einem
späteren Kontakt direkt bekämpfen. Gleichzeitig werden im Idealfall
Gedächtniszellen gebildet, die auch nach längerer Zeit noch
blitzschnell auf einen Erreger reagieren und passende Antikörper
produzieren können. Schließlich spielen sogenannte T-Zellen bei der
Immunantwort eine wichtige Rolle.
Am Institut für Tropenmedizin in Tübingen wurden Probanden bereits mit einem Corona-Impfstoff in der 1. Phase der klinischen Studie geimpft. Bild: www.imago-images.de / ULMER
Ob ein Impfstoff gegen Corona diese schützenden Reaktionen des
Körpers hervorrufen kann und wie lange diese gegebenenfalls bestehen
bleiben, ist bisher offen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass auch
zunächst erfolgversprechende Impfstoffkandidaten in späteren
Untersuchungen nicht den gewünschten Schutz hervorrufen. Ein
Impfstoff kann aber auch schon dann wertvoll sein, wenn er zwar nicht
die Ansteckung, aber zumindest schwere Krankheitsverläufe verhindert.
Grundsätzlich gehen Experten davon aus, dass es nicht einen Impfstoff
gegen Corona geben wird, sondern mehrere.
Wie weit ist die Entwicklung anderer Impfstoff-Kandidaten?
Derzeit laufen weltweit mehr als 170 Impfstoffprojekte, aber nur
sechs befinden sich nach Angaben der WHO in der fortgeschrittenen
Phase III der klinischen Prüfung. Aus Deutschland mischt das Mainzer
Unternehmen Biontech ganz vorne mit, das seinen Kandidaten in einer
kombinierten Phase-II/III-Studie zunächst in den USA prüft. Am
Dienstag teilte das Unternehmen mit, bei erfolgreicher Prüfung im
Oktober den Antrag auf eine Marktzulassung stellen zu wollen. Auch
beim Unternehmen Curevac aus Tübingen laufen Testreihen.
Wann rechnen Experten mit einer Zulassung von umfassend geprüften Impfstoffen?
Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres – dies ist der
Zeitrahmen, den viele Experten nennen. Immer vorausgesetzt, die
klinische Prüfung verläuft erfolgreich, wie PEI-Präsident Klaus
Cichutek kürzlich dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte.
Erfolgt aufgrund einer positiven Bewertung die Zulassung, muss der
Impfstoff in möglichst großen Mengen produziert werden. Unter diesen
Annahmen könnten "wir Mitte 2021 über einen Impfstoff verfügen, der
auf breiter Basis eingesetzt werden kann", sagte WHO-Chefforscherin
Soumya Swaminathan kürzlich der Deutschen Presse-Agentur.
(lau/dpa)
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