Bald ist es soweit. Die Briten verlassen die EU. Bild: imago images / ZUMA Press
watson antwortet
31.01.2020, 10:4431.01.2020, 14:20
Nach 17.197 Tagen geht heute ein historisches
Kapitel zu Ende.
47 Jahre und ein Monat war Großbritannien nach dem
Beitritt 1973 Mitglied in der Europäischen Union und deren Vorläufer.
Jetzt schwimmt sich das Vereinigte Königreich frei, kappt die Bande
mit Brüssel. Am Freitagabend um Mitternacht Brüsseler Zeit ist der "B-Day".
Auf den letzten Metern wurde es noch einmal feierlich.
Die Abgeordneten würdigten zum Abschied ihre britischen Kollegen – und
die Brexit-Partei plant Jubelfeiern für Freitag. Aber für die meisten Europäer
bleibt der Brexit erst einmal ziemlich abstrakt. Und wie geht es eigentlich danach weiter?
Wir beantworten euch die dringlichsten Fragen.
Bild: watson
Was ändert sich am 1. Februar im Alltag?
Nichts, sagt die EU-Kommission. Denn unmittelbar nach dem
Austritt beginnt eine Übergangsphase bis 31. Dezember.
Die Brüsseler Behörde versichert:
"Bis zu diesem Zeitpunkt ergeben sich für die Bürgerinnen und Bürger, Verbraucher, Unternehmen, Investoren, Studenten und Forscher in der EU und im Vereinigten Königreich keine Änderungen."
Man kann reisen wie bisher, ohne Roaming-Gebühren beim
Handy. Man kann ohne Sorge Waren von britischen Webseiten bestellen.
Oder wie bisher mit EU-Stipendien in Großbritannien studieren.
Was passiert, nach dem Ende der Übergangsphase?
Das weiß noch keiner so genau, denn viele Fragen sind noch offen zwischen der EU und Großbritannien und sollen im kommenden Jahr geklärt werden.
Wenn keine Einigung zustande kommt, kann die Übergangsphase des Brexit laut Auswärtigem Amt einmalig um zwei Jahre verlängert werden. Die Entscheidung hierzu muss bis zum 1.7.2020 fallen. Dann würde die bestehende Regelung noch bis zum 31.12.2022 gelten.
Außerdem ist es immer noch möglich, dass die EU und Großbritannien sich nicht über die künftige Zusammenarbeit einigen und kein Abkommen zustande kommt. Dann tritt Großbritannien ohne Abkommen aus, wie Gabriel Felbermayr vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel im Interview mit watson erklärt.
Was brauche ich, wenn ich nach Großbritannien reisen will?
Bisher konnte man nach Großbritannien mit dem Reisepass und Personalausweis einreisen.
Nach Information der britischen Regierung wird das auch noch bis zum Ende der Übergangsphase am 31.12.2020 möglich sein. Wichtig ist, dass der Reisepass bzw. der Personalausweis noch für die gesamte Dauer des Aufenthalts gültig ist.
Was ändert sich für Großbritannien?
Übergangsphase heißt: Großbritannien ist zwar raus und offiziell
Drittstaat, hält sich aber bis Jahresende an alle EU-Regeln und zahlt
in den EU-Haushalt ein. Alle EU-Programme laufen in Großbritannien
weiter. Nur darf das Land in Brüssel nicht mehr mitreden. Es hat
keine Vertretung mehr in der EU-Kommission, bei Ministerräten, bei
EU-Gipfeln oder im EU-Parlament. Dort verlieren am 1. Februar 73
britische Abgeordnete ihr Mandat. 27 freiwerdende Sitze gehen an
Nachrücker aus 14 EU-Staaten, die bisher gemessen an der Bevölkerung
zu schwach vertreten waren. 46 Sitze werden in einer Reserve geparkt.
Wie stark trifft der Brexit die EU?
Die Europäische Union verliert eine Atommacht und ein ständiges
Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Von den bisher rund 512 Millionen
Einwohnern der EU bleiben nur gut 446 Millionen übrig. Das
Bruttoinlandsprodukt der EU von 15,3 Billionen Euro 2018 schrumpft um
rund 15 Prozent. Weil Großbritannien einer der wichtigsten
Beitragszahler war, fehlen in den Jahren ab 2021 rechnerisch bis zu
14 Milliarden Euro pro Jahr im EU-Haushalt. Auch deutsche
Steuerzahler sollen einen Teil der Lücke stopfen.
Wer muss jetzt aufpassen?
Ein tiefer Einschnitt ist der Brexit vor allem für die 3,2
Millionen EU-Bürger in Großbritannien und die 1,2 Millionen Briten in
der EU. Der Austrittsvertrag sichert ihnen zu, dass sie und ihre
engsten Angehörigen weiter leben können wie bisher. Doch müssen sich
EU-Bürger in Großbritannien bis Ende des Jahres registrieren lassen,
sonst könnten sie das Aufenthaltsrecht doch verlieren.
Nach Angabe des britischen Innenministeriums haben sich bisher 2,5 Millionen EU-Bürger registriert, um ihr Aufenthaltsrecht zu behalten.
Auch einige
EU-Staaten haben Registrierungspflichten. Bis zum Jahresende könnte
man übrigens auch noch nach EU-Regeln nach Großbritannien ziehen,
denn das Land gehört in der Übergangsfrist zum Binnenmarkt und muss
Freizügigkeit akzeptieren. Kommen darf in der Regel, wer einen Job
oder genug Geld für den eigenen Lebensunterhalt hat.
Briten in Deutschland
Nicki Schneider ist Englischlehrerin aus Oldenburg. Sie ist in Großbritannien geboren, lebt aber seit 1986 in Deutschland. Über den Ausgang des Referendums war sie geschockt: "Das Referendum war so knapp, gerade viele ältere Leute haben gewählt und die haben sich vielleicht gedacht: Jetzt bekommen wir das Empire, die Macht, wieder."
Direkt am tag nach dem Brexit-Referendum 2016 hat Nicki Schneider die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt und erzählt, "Viele von meinen Landsleuten haben dasselbe gemacht." Ihren englischen Pass hat sie behalten. Zur Sicherheit: "Wir reisen jedes Jahr nach England. Und wir wissen nicht, ob man irgendwann ein Visum für England braucht."
Wer muss sich Sorgen machen?
Für die Zeit nach der elfmonatigen Übergangsfrist ist nur wenig geregelt. Wird es künftig Zölle geben? Wie intensiv werden Waren an den Grenzen kontrolliert? Wer darf wo in der Nordsee wie viel Fisch fangen? Ändert sich künftig doch etwas beim Reisen? Dürfen EU-Bürger weiter in Großbritannien arbeiten? Wie geht es weiter mit dem Studentenaustausch? Darf die Polizei auch künftig Verbrecherdaten austauschen?
All das und noch viel mehr ist ungeklärt und soll nun in Windeseile vor dem Jahresende vertraglich festgezurrt werden. "Wir haben sehr wenig Zeit, die ganzen Verhandlungen fertigzubekommen", warnt Brexit-Experte Fabian Zuleeg vom European Policy Centre in Brüssel. "Elf Monate sind einfach ein unmöglicher Zeitplan." Nicht nur Wirtschaftsverbände sind deshalb unruhig. Ohne Vertrag zum künftigen Verhältnis droht doch noch der Sturz ins Ungewisse.
Was ist schon vertraglich geregelt?
Ganz so wie der lange gefürchtete Chaos-Brexit ohne
Austrittsvertrag wäre es aber nicht, denn dieser enthält schon einige
auf Dauer angelegte Klauseln. Die wichtigste ist die Vereinbarung für
eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem
EU-Mitglied Irland. So ist bereits festgelegt, dass in Nordirland in
jedem Fall für die nächsten Jahre einige Regeln des EU-Binnenmarkts
und besondere Zollregeln gelten.
Im Übrigen klärt der mehr als 500
Seiten starke Vertrag, wie viel Großbritannien noch für offene
Rechnungen an die EU zahlen muss. Es gibt diverse Übergangsregeln.
Und abgemacht ist auch: Parmaschinken, bayerisches Bier und andere
regionale Esswaren bleiben in Großbritannien geschützt - ebenso wie
"walisisches Lamm" und vieles mehr in der EU.
Was muss jetzt als erstes geklärt werden?
Oberste Priorität in den Verhandlungen der nächsten Monate ist
für beide Seiten ein Handelsabkommen. Das Motto heißt: keine Zölle,
keine Kontingente, kein Dumping. Die EU will den britischen Zugang
zum Binnenmarkt nur in dem Maß gewähren, in dem Großbritannien auch
künftig gemeinsame Standards einhält, seien es nun Umwelt-, Sozial-,
Steuer- oder Warenstandards.
Die britische Regierung will jedoch
möglichst ihre eigenen Regeln setzen – aus ihrer Sicht ist das ja der
Hauptvorteil des Brexits. In dieser Gemengelage hält die EU-Seite bis
Jahresende bestenfalls ein Rumpf- oder Rahmenabkommen für möglich.
Die Alternative, die Übergangsfrist zu verlängern, lehnt der
britische Premier Boris Johnson bisher ab.
Wie geht es ab 1. Februar weiter?
Am 3. Februar will die EU-Kommission einen Vorschlag zur
Verhandlungslinie machen, die die 27 bleibenden EU-Staaten zunächst
beraten und dann am 25. Februar billigen wollen. Kurz darauf können
die Verhandlungen starten. Im Juni will die EU Zwischenbilanz ziehen.
Vor dem 1. Juli müsste auch über die etwaige Verlängerung der
Übergangsfrist entschieden werden. Das Abkommen muss aus EU-Sicht bis
spätestens November stehen, damit Zeit zur Ratifizierung bleibt.
EU-Diplomaten fürchten bereits ein neues Brexit-Drama zum
Jahresende.
(dpa/lj/lw)
Russlands Präsident Putin ist mit zahlreichen Problemen konfrontiert, die er sich mit dem Einmarsch in der Ukraine vor zweieinhalb Jahren selbst eingebrockt hat. Westliche Sanktionen bremsen die Wirtschaft, Embargos sorgen für Materialengpässe und in der Bevölkerung schwindet die Unterstützung für den brutalen Angriff auf den Nachbarn.