
US.amerikanische Soldaten könnten doch länger als gedacht in Afghanistan bleiben.Bild: ap / David Goldman
watson antwortet
18.02.2021, 08:2518.02.2021, 13:20
Die USA haben den Taliban in Aussicht
gestellt, dass am 1. Mai dieses Jahres alle Nato-Truppen aus
Afghanistan abgezogen sind. Nun sieht allerdings alles danach aus,
dass Tausende Soldaten aus Deutschland und anderen Bündnisstaaten
über diesen Termin hinaus in dem Krisenland bleiben. Lässt sich eine
erneute Eskalation der Gewalt noch vermeiden? Die
Verteidigungsminister der Nato-Staaten beraten an diesem Donnerstag
bei einer Videokonferenz über die aktuellen Entwicklungen. Fragen und
Antworten dazu im Überblick:

Bild: watson
Warum wollen Deutschland und die anderen Nato-Staaten nun doch länger in Afghanistan bleiben?
Die derzeit noch rund 10.000
Soldaten aus den USA und den Partnerländern unterstützen in
Afghanistan die demokratisch gewählte Regierung, indem sie deren
Sicherheitskräfte ausbilden und beraten. Sollten die internationalen
Truppen vorschnell abgezogen oder stark reduziert werden, könnten die
militant-islamistischen Taliban trotz der angelaufenen
Friedensgespräche versucht sein, die Chance für eine gewaltsame
Machtübernahme zu nutzen.
Die Argumentation der Nato: Für die junge Demokratie in Afghanistan würde ein Abzug das Aus bedeuten. Zudem dürfte es zu
Rückschritte bei Frauenrechten und Meinungs- und Medienfreiheit
kommen und das Land könnte wieder ein Rückzugsort für internationale
Terroristen werden.

Ein Soldat der Bundeswehr sitzt auf dem Gelände des Police-Trainings-Camps (PTC) in Afghanistan in einem gepanzerten Fahrzeug.Bild: dpa / Maurizio Gambarini
Vor allem letzteres wäre für die Nato der Super-GAU, da sie den
Einsatz am Hindukusch vor knapp zwei Jahrzehnten mit der Begründung begonnen hat, dem von Afghanistan ausgehenden internationalen Terrorismus Ende bereiten zu wollen. Die damalige Taliban-Regierung unterstützte angeblich unter anderem die Al-Kaida-Gruppe, die für die Terroranschläge vom
11. September 2001 in den USA verantwortlich war.
Warum haben die USA den Taliban überhaupt einen Truppenabzug in Aussicht gestellt?
Donald Trump hatte sich in seiner Amtszeit als Präsident
vorgenommen, den längsten Militäreinsatz in der Geschichte der USA zu
beenden. Deswegen ließ er ein Abkommen aushandeln, das den Taliban
einen Abzug aller internationalen Truppen bis Ende April verspricht.
Im Gegenzug verpflichteten sich die Taliban, nicht zuzulassen, dass
Terrorgruppen wie Al-Kaida und die Terrormiliz Islamischer Staat (IS)
von ihrem Boden aus die Sicherheit der USA oder ihrer Verbündeten
gefährden. Zudem sollten Friedensgespräche mit der afghanischen
Regierung begonnen werden und die Taliban sagten unter anderem zu,
keine internationalen Truppen mehr anzugreifen.
Haben die Taliban das Abkommen bislang eingehalten?
Berichte des UN-Sicherheitsrats bemängeln, dass die Gruppe immer
noch enge Beziehungen zu Terrororganisationen wie Al-Kaida
unterhalte. Zudem klagen Diplomaten und führende Politiker, dass die
Taliban ihr Versprechen nicht eingehalten hätten, die Gewalt im Land
zu senken. Tatsächlich sieht aber zumindest der veröffentlichte Teil
des Abkommens eine solche allgemeine Gewaltreduzierung gar nicht vor.
Die Taliban selbst behaupten, all ihren Verpflichtungen nachzukommen.
Abgesehen von den Vorwürfen herrscht zwischen den afghanischen
Konfliktparteien immer noch großes Misstrauen. Nach einem ersten
Etappenerfolg sind die Friedensgespräche zum Stillstand gekommen.
Kabul wirft den Taliban vor, nicht an echten Verhandlungen
interessiert zu sein. Eine Waffenruhe lehnen die Taliban weiter ab –Waffengewalt ist Experten zufolge immer noch das größte Druckmittel
der Taliban bei den Verhandlungen.
Welche Auswirkungen hat der Machtwechsel in den USA?
Das ist noch unklar. Die Regierung des neuen US-Präsidenten Joe
Biden prüft derzeit den sogenannten Doha-Deal und will dann überlegen
wie es weitergeht. Als wahrscheinlich gilt, dass sie den Taliban
vorwirft, die Absprachen des Abkommens nicht eingehalten zu haben.
Danach könnte sie versuchen, einen Aufschub für das Datum des
Truppenabzugs auszuhandeln.

Friedensabkommen zwischen den USA und der Taliban unterzeichnet: Zalmay Khalilzad (2.v.l), US-Sondergesandter für Aussöhnung in Afghanistan, und Mullah Abdul Ghani Baradar (2.v.r), Leiter des politischen Büros der Taliban im Februar 2020.Bild: dpa / Hussein Sayed
Werden die Taliban das akzeptieren?
Die Taliban selbst stecken in einem Dilemma. Wenn man
optimistischen Diplomaten in Kabul glaubt, ist es durchaus denkbar,
dass die Taliban zu weiteren Gesprächen bereit sein könnten.
Allerdings ist unklar, ob die breite Masse ihrer Kämpfer große
Änderungen des Doha-Abkommens akzeptieren würde. Ihnen wurde der
darin vereinbarte Truppenabzug als "Sieg über eine Besatzungsmacht"
verkauft.
Welche Konsequenzen könnte ein Scheitern des Abkommens haben?
Im schlimmsten Fall kommt es zu einer Eskalation der Gewalt. Die
Taliban haben bereits angedroht, sich dann nicht mehr an ihr
Versprechen gebunden zu sehen, keine ausländischen Soldaten mehr
anzugreifen. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer
räumte am Mittwoch ein, dass ein Nato-Einsatz über das derzeit
zwischen USA und Taliban besprochene Datum hinaus zu einer
veränderten Sicherheitssituation und einer erhöhten Bedrohung der in
Afghanistan stationierten Soldaten führen dürfte. Darauf müsse man
sich nun vorbereiten.
Könnte das bedeuten, dass noch mehr deutsche Truppen nach Afghanistan geschickt werden müssen?
Theoretisch schon. Derzeit sind noch etwa 1100 deutsche Soldaten
im Land, das aktuelle Mandat erlaubt allerdings bis zu 1300.
Alternative zu einer Truppenaufstockung könnte sein, zusätzliche
Sicherungskräfte zu schicken, dafür aber andere Soldaten abzuziehen.
Die Ausbildung der afghanischen Streitkräfte ist derzeit wegen der
Corona-Pandemie ohnehin stark eingeschränkt. Bislang ließen 59
deutsche Soldaten in Afghanistan ihr Leben – die meisten davon fielen
in Gefechten oder bei Anschlägen.
(lau/dpa)
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