Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Dienstag die Welt überrascht – indem er angekündigt hat, einen Impfstoff gegen das Coronavirus Sars-CoV2 zuzulassen. Die Reaktionen auf die Zulassung sind bisher überwiegend skeptisch. Experten sprechen seit Monaten davon, dass ein verlässlicher und sicherer Impfstoff frühestens Ende des Jahres oder Anfang des kommenden Jahres verfügbar sein wird.
Was wissen wir bisher über den Impfstoff, der jetzt in Russland angewendet werden soll? Was bedeutet das für die Menschen in Deutschland? Und was bezweckt Putin eigentlich mit seinem Vorstoß? Die wichtigsten Antworten im Überblick.
Was wissen wir über den Impfstoff, der in Russland zugelassen werden soll?
Relativ wenig. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen zulässig ist, schreibt am Mittwoch in einem Statement zwar, dass ein Impfstoffprojekt des russischen Gamaleya-Instituts auf der Liste der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Corona-Impfstoffprojekten auftaucht – und dass der Impfstoff laut Meldungen aus Russland aufgrund "limitierter klinischer Prüfungen" zugelassen worden sei. Die Adenovirusvektoren des Stoffes – also die Viruspartikel, mit denen das genetische Material des Coronavirus in die menschlichen Zellen transportiert wird, um den Körper dagegen zu impfen – sind laut PEI grundsätzlich geeignet. Das Problem: Bisher ist laut PEI kaum etwas zu den Ergebnissen klinischer Prüfungen bekannt. Mit diesen Prüfungen soll überprüft werden, ob der Impfstoff tatsächlich eine Antwort des Immunsystems auslöst und ob er gefährliche Nebenwirkungen hat.
Welche Risiken birgt der Impfstoff?
PEI-Präsident Klaus Cichutek sieht den russischen Impfstoff-Vorstoß kritisch. Cichutek bemängelt in einem YouTube-Statement auf dem Kanal des PEI "geringe Transparenz" und "nach bisherigen Informationen fehlende Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten aus Prüfungen an mehreren tausend Probanden". Die Zulassung sei daher "mit Vorsicht zu betrachten". Das PEI warnt laut Cichutek vor "zu großer Eile" bei der Impfstoffzulassung. Es brauche auch während der Pandemie die übliche Sorgfalt bei Impfstoffen. Stoffe sollten nur dann auf den Markt kommen, wenn ihr gezeigter Nutzen deutlich größer sei als mögliche Risiken. Die Prüfungen an mehreren Tausend oder Zehntausend Menschen seien besonders wichtig, um mögliche Nebenwirkungen einer Impfung zu entdecken. In einem am Mittwoch veröffentlichten Statement schreibt das PEI aber auch, dass die russische Regierung die nötigen Tests vielleicht erst später durchführt – und sich die von Präsident Putin angekündigte Zulassung fürs Erste nur auf eine begrenzte Personengruppe bezieht.
Was heißt das für Deutschland?
An dem in Russland zugelassenen Impfstoff hat inzwischen schon die Regierung des brasilianischen Bundesstaats Paraná bekundet – und der israelische Gesundheitsminister hat erklärt, die Regierung sei zumindest grundsätzlich an dem Stoff interessiert. In Deutschland dürfte der russische Impfstoff auf absehbare Zeit nicht auf den Markt kommen. In der gesamten EU müssen Impfstoffe vor einer Zulassung mehrere lange und aufwendige Prüf-Phasen zu Sicherheit und Wirksamkeit durchlaufen haben, bevor sie Menschen verabreicht werden.
Was verspricht sich Putin davon, einen Impfstoff so früh auf den Markt zu bringen?
Laut Stefan Melle, Geschäftsführer der demokratischen NGO Deutsch-Russischer Austausch (DRA), verfolgt Putin mit dem Impfstoff vor allem drei Ziele. Zum einen wolle der russische Präsident den Ruf seiner Führung international, aber auch im eigenen Land verbessern. Melle meint im Gespräch mit watson: "Er kann dann sagen: 'Wir haben es vor den anderen geschafft.'" Zweitens will Putin laut Melle mit der Impfstoff-Zulassung den realen Problemen begegnen, die ihm das Coronavirus bereitet: In Russland wurden inzwischen knapp 900.000 SARS-CoV2-Infektionen festgestellt, offiziell sind über 15.000 Menschen mit oder an der Krankheit Covid-19 gestorben. Und die Zahlen, sagt Melle, seien höchstwahrscheinlich "künstlich klein gehalten".
"Anfangs hat Putin in der Bewältigung der Pandemie eine schlechte Figur abgegeben", sagt Melle. Er habe die Risiken für die russische Bevölkerung zunächst kleingeredet – und die Verantwortung für den Kampf dagegen auf die Gouverneure der Regionen Russlands abgewälzt. Russische Bürger dürfen wegen der noch immer hohen Coronavirus-Infektionsraten weiterhin nicht in viele Länder der Welt reisen – was laut Melle für viele Menschen in Russland ihren Eindruck bestätigt, dass das Land in einer Krise steckt und abgeschnitten ist. Drittens will Putin Russland laut Melle mit der schnellen Impfstoff-Zulassung als wichtigen Player in der Medizinbranche darstellen. "Er will damit wirtschaftlich Punkte sammeln", sagt Melle. Putin habe Biotechnologie und Medizintechnologie schon vor Jahren zu Schlüsselbranchen für die Zukunft Russlands erklärt.
Kann Putin das auf die Füße fallen?
Stefan Melle glaubt: Ja – auch, wenn die Fallhöhe für Putin nicht besonders hoch sei. Im Ausland sei das Image Russlands ohnehin schon "denkbar schlecht", es könne nur besser werden. Schon vor Monaten hatte Russland medizinische Ausrüstung unter anderem nach Italien und in die USA geliefert – bis Zweifel an der Qualität laut wurden. Unter anderem gingen in einem Krankenhaus in Sankt Petersburg Beatmungsmaschinen in Flammen auf, sechs Covid-19-Patienten starben. Geräte des gleichen Modells waren zuvor auch nach New York geliefert worden. Laut Melle steckt hinter der schnellen Impfstoff-Zulassung dasselbe Muster. "Das ist wieder der Versuch, dreist auf Risiko zu setzen und vielleicht damit durchzukommen", sagt Russland-Experte Melle. Am Ende komme bei einem solchem Vorgehen aber nichts Nachhaltiges für Russland heraus.
US-Wahl: J.D. Vance reagiert im Duell der Vize-Kandidaten trotzig auf Faktencheck
Das Duell der Vize-Präsidentschaftskandidaten in der Nacht zu Mittwoch hat gleich durch mehrere Erkenntnisse überrascht. Tim Walz von den Demokraten und Republikaner J.D. Vance traten dabei unter deutlich gegensätzlichen Vorzeichen an. Die Debatte zwischen den "Running Mates" von Donald Trump und Kamala Harris könnte das letzte Duell im US-Wahlkampf gewesen sein.