Das Gas ist knapp, die Versorgungslage in Gefahr. Angesichts der deutlich verringerten Gaslieferungen aus Russland sah sich die Bundesregierung dazu genötigt, die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausrufen. "Aktuell ist die Versorgungssicherheit gewährleistet, aber die Lage ist angespannt", teilte das Wirtschaftsministerium am Donnerstag mit.
Doch was bedeutet diese zweite Stufe des Notfallplans konkret? Wie soll es gelingen, die Versorgung zu sichern und den Energiehaushalt zurück ins Gleichgewicht zu bringen? Wirtschaftsminister Robert Habeck machte den Ernst der Lage bei einer Pressekonferenz am Donnerstag deutlich – und schwor Unternehmen wie Privatpersonen darauf ein, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
Der Notfallplan hat drei Stufen: Die jetzt ausgerufene Alarmstufe ist die zweite. Die dritte wäre die Notfallstufe. Laut dem Plan liegt bei der Alarmstufe eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt. Der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen.
Zahlreiche Politiker sind überzeugt, dass eine Erhöhung auf die nächste Stufe, die Notfallstufe, längst überfällig sei. So auch Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Er erwartet die zeitnahe Ausrufung der Notfallstufe Gas – also der nächsten Stufe, nach der Alarmstufe. "Sie ist längst überfällig. Wir brauchen zeitnah die Notfallstufe und gezielte Maßnahmen zum Einsparen von Gas gegen Entschädigung, unbürokratisches Umsteuern auf andere Energiequellen und weniger Vorschriften für erneuerbare Energien", ist der Freie-Wähler-Chef überzeugt.
Der drängendste Grund für den Alarm: Die um 60 Prozent reduzierten Lieferungen von russischem Gas durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 seit vergangener Woche. Aufgrund der Gas-Sanktionen vonseiten Russlands steigen die Preise am Gasmarkt zudem immens.
Wirtschaftsminister Habeck warf bei einer Pressekonferenz einen kritischen Blick auf das Energiemanagement Deutschlands in den vergangenen Jahrzehnten: "Ich muss an dieser Stelle sagen, dass wir in den letzten Jahren in Deutschland nicht gut genug waren." Es seien die Versäumnisse der letzten Dekade, die Deutschland jetzt in diese Bedrängnis geführt hätten.
Damit meint er nicht nur die politisch falsche Abhängigkeit von Russland, sondern auch die fehlende Bereitschaft, Alternativen zu schaffen. "Wie anders ständen wir da, wenn wir die letzten Jahre in der Energieeffizienz und im Ausbau der Erneuerbaren wirklich massiv vorangekommen wären, statt im Stillstand zu verharren?", fragt Habeck.
Die Lage sei derzeit "angespannt", die Versorgungssicherheit sei aber gewährleistet, betonte der Minister. Eine weitere Belastung der Lage auf dem Gasmarkt ist jedoch absehbar: Eine routinemäßige Wartung der Pipeline Nord Stream 1 ist ab 11. Juli geplant.
In den vergangenen Jahren wurde in diesen Zeiten auf die Gasspeicher zurückgegriffen, um den geringeren Gasimport auszugleichen. Noch sieht die Bundesnetzagentur aber keinen Handlungsbedarf. Die Speicher sind Habeck zufolge derzeit zu 58,7 Prozent gefüllt. "Was uns aber alarmieren muss, ist die Perspektive", so der Minister. Der Sommer verleite zu einem falschen Sicherheitsgefühl. "Doch der Winter wird kommen."
Derzeit seien Preissteigerungen bereits beim Verbraucher angekommen, so Habeck. Dies erfolge in vielen Fällen über die Anpassung von Abschlagszahlungen für das kommende Jahr. Die Preisweitergabe erfolge je nach Stadtgebiet und Haushalt schon jetzt.
Die Gasversorger hatten in den vergangenen Tagen vor einer voreiligen Ausrufung der Alarmstufe gewarnt. Als Grund nennen sie die Gefahr, dass diese zu "großen Verwerfungen am Markt führen". Daher müsse das sorgfältig vorbereitet werden, erklärte der Vorstand des Branchenverbands Zukunft Gas, Timm Kehler.
Tatsächlich drohen weitere deutliche Preiserhöhungen infolge der Ausrufung der Alarmstufe. "Die Preise werden weiter erhöht. Und zwar regulär und unabwendbar", so Habeck. Wichtigster Grund ist eine Mitte Mai beschlossene Gesetzesänderung.
Im Energiesicherungsgesetz wurde eine Preisanpassungsklausel eingefügt. Sie erlaubt es Versorgern, hohe Einkaufspreise für Erdgas auch bei langfristigen Verträgen direkt, sofort und auch in Form sprunghafter Erhöhungen an ihre Kunden weiterzureichen. So hätten "alle hiervon betroffenen Energieversorgungsunternehmen entlang der Lieferkette das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen", heißt es im Gesetz. Die Grundlage für die Klausel ist mit der Alarmstufe geschaffen worden.
Aufgrund der aktuellen Lage und dem fehlenden russischen Gas machen Versorgungsbetriebe laut Habeck aktuell Minusgeschäfte. "Sollte dieses Minus so groß werden, dass die Unternehmen diese nicht mehr tragen können, droht der gesamte Markt umzufallen", so Habeck. Dies könne dann nur durch die Preisanpassungsklausel verhindert werden.
Dieses "Schwert" sei aber "so scharf, dass es mit großem Bedacht" eingesetzt werden müsse. Diese Karte möchte Habeck noch nicht ziehen. Einerseits, weil die Bundesregierung den Markt weiter beobachten wolle. Bei Inkrafttreten der Klausel würden sich die Preise nämlich auch für Verbraucher immens erhöhen. Analysten rechnen mit einer Vervierfachung bis Versechsfachung. Wann genau es dazu kommt, ist noch ungewiss.
Die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte rächen sich laut Habeck in der aktuellen Krisensituation. "Sie müssen jetzt aufgeholt werden." Dafür sei man nun gezwungen, Maßnahmen zu treffen, die "wirklich weh tun". Mit der Alarmstufe ebnet der Bund auch den Weg dafür, Kohlekraftwerke zur Verstromung einzusetzen und so Gas zu sparen. "Das ist schmerzlich, Kohlekraftwerke sind einfach Gift fürs Klima", sagte Habeck. "Aber für eine Übergangszeit müssen wir es tun, um Gas einzusparen und über den Winter zu kommen."
Das entsprechende Gesetz soll am Freitag erstmals im Bundestag beraten werden, der Bundesrat stimmt am 8. Juli ab. Nun müsse die Energieeffizienz schnellstmöglich gesteigert und der Ausbau erneuerbare Energien vorangetrieben werden.
Zur Bewältigung der Energiekrise ist es laut Habeck notwendig, auch gemeinsam mit anderen europäischen Ländern zu agieren. "Wir sind besser auf einem gemeinsamen Markt", so Habeck. Wichtig sei etwa in Sachen Energieversorgung, gemeinsame Leitungen und Infrastruktur zu entwickeln und Barrieren aufzuheben.
Grundstein zur kurzfristigen Überwindung dieser Energiekrise sei jedoch die Reduzierung des Gasverbrauchs. Hierfür müssten alle zusammenarbeiten.
Jeder kann beitragen, die Energiekrise gemeinsam so gut wie möglich zu bewältigen. Dafür appelliert auch Wirtschaftsminister Habeck an Verbraucher und Unternehmen: "Alle – sowohl in der Industrie, in öffentlichen Einrichtungen wie in den Privathaushalten – sollten den Gasverbrauch möglichst weiter reduzieren, damit wir über den Winter kommen", sagte Habeck am Donnerstag.
Der Minister hat Privathaushalte und Unternehmen aufgefordert, etwa Heizungsanlagen zu warten. "Es macht Sinn, die Heizung vernünftig einzustellen", sagte Habeck. Dadurch seien Einsparungen von 15 Prozent möglich. "Wir sind also jetzt gehalten, die Gasverbräuche zu reduzieren."
"Wir müssen jetzt die Vorsorge treffen, um im Winter vorbereitet zu sein", ist Habeck überzeugt. Selbst "belächelte", kleine Schritte würden in der Summe einen kleinen, aber überaus wichtigen Unterschied machen.
(mit Material von dpa)