Der Schweizer Historiker Daniele Ganser füllt mit seinen Auftritten derzeit Hallen in Deutschland und Österreich. Er nennt sich selbst "Friedensforscher" und gibt vor, den Menschen in seinen Vorträgen die wichtigen Fragen unserer Zeit zu beantworten.
Auf Youtube hat Ganser fast 300.000 Abonnent:innen und nahezu 100.000 folgen seinen Tweets. Seine Zuhörer:innen haben häufig das Vertrauen in die klassischen Medien und Institutionen verloren, sie suchen nach anderen Erklärungsansätzen – und Ganser liefert. Egal ob Verschwörungstheorien, alternative Fakten oder einfache Antworten.
Der Historiker ist daher extrem umstritten. So ist in einem seiner Youtube-Videos die Antwort auf die Frage, ob Deutschland sich im Krieg mit Russland befindet, eindeutig ein "Ja". Deutschland werde mit Hitler und dem Nationalsozialismus "niedergedrückt", behauptet er außerdem. Ganser bezeichnet dies in einem seiner Vorträge 2017 als "psychologische Kriegsführung".
Solche und ähnliche Aussagen bringen ihm viele Fans, aber auch massive Kritik ein.
So schrieb die Soziologin, Publizistin und linke Politikerin Jutta Ditfurth 2019 in ihrem Buch "Haltung und Widerstand. Eine epische Schlacht um Werte und Weltbilder" über eben diese Aussage Gansers, er bediene damit "Schuldabwehr-Antisemitismus" und nationalistisches Gedankengut.
Watson hat die wichtigsten Fakten über den Historiker zusammengestellt.
Ganser studierte unter anderem in Basel und an der London School of Economics (LSE) Alte und Neue Geschichte, Philosophie und Englisch mit einem Fokus auf Internationale Beziehungen. In seiner Dissertation an der Universität Basel 2002 beschäftigte er sich mit den "Nato-Geheimarmeen in Europa".
Ganser hat seine Doktorarbeit 2022 mit dem Untertitel "Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung" als Buch veröffentlicht, auf der Verlagswebseite steht über den Inhalt: "Ein durch die Nato und die militärischen Geheimdienste koordiniertes Netzwerk von Geheimarmeen war bis zum Auseinanderfall der Sowjetunion in mehreren westeuropäischen Ländern in schwere Verbrechen verwickelt, darunter Mord, Folter, Staatsstreich und Terror."
In der Wissenschaft waren und sind Gansers Arbeit und seine angewandten Methoden umstritten.
Als Ganser zum fünften Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 einen Artikel im Schweizer "Tages Anzeiger" veröffentlicht, in dem er die offizielle Version zu den Terroranschlägen anzweifelt, verliert er seinen Lehrauftrag an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH).
"Ich konnte nicht akzeptieren, dass jemand, der wissenschaftlich in meinem Institut arbeitete, solch unsinnige Verschwörungstheorien verbreitet", sagte sein damaliger Chef Kurt Spillmann, Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung, wie die Zeitung "Welt" 2018 schrieb.
2018 verliert Ganser nach einem kontroversen Auftritt in der Diskussionssendung "Arena" im Schweizer Fernsehen auch seinen letzten Lehrauftrag an der Hochschule St. Gallen. Der Vorwurf: Er arbeite nicht wissenschaftlich. "Er publiziert nicht in Zeitschriften mit wissenschaftlicher Qualitätskontrolle. Er stellt seine Methoden nicht zur Diskussion. Und er mischt seriöse und unseriöse Quellen", schrieb dazu die "Aargauer Zeitung".
Seine Theorien legen meist konspirative Verstrickungen von Geheimdiensten, der Nato und den USA nahe, wie aus den Titeln seiner Bücher wie "Imperium USA – Die skrupellose Weltmacht" oder "Illegale Kriege – Wie die Nato-Länder die UNO sabotieren" abzulesen ist.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 stellen ein starkes Leitmotiv für Gansers "kritische Forschung" dar, er unterstellt den USA eine Beteiligung an den Anschlägen und das Gebäude WTC7 selbst gesprengt zu haben.
Auf Daniele Gansers erfolgreichem Youtube-Kanal reicht die Bandbreite der Themen vom Kennedy-Mord 1963 über eine Reihe gescheiterter Putsche und illegaler Kriege (Vietnam 1964, Serbien 1999) und Corona bis hin zum Krieg in der Ukraine.
Viele Wissenschaftler:innen, Antisemitismusbeauftragte und Politiker:innen warnen explizit vor Gansers Vorträgen und sehen sie als populärwissenschaftlich getarnte Verschwörungstheorien.
Kommunal- und auch Landespolitiker setzen sich gegen seine Auftritte ein. Nach Absagen in Nürnberg und Dortmund protestiert nun auch der Kreisvorsitzende der CDU in Kiel, Tobias von der Heide:
Die deutsch-israelische Gesellschaft in Aachen veröffentlichte am 9. Februar 2023 einen offenen Brief anlässlich eines geplanten Auftritts Ende März:
Kritisiert wird Ganser auch vom Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume. Er bezeichnet ihn gegenüber dem Portal "T-Online" als "antiwestlichen Verschwörungsunternehmer, der mit der Verbreitung von Verschwörungsmythen seit Jahren Geld verdient."
Grundsätzlich sind nicht die Fragen, die Ganser stellt, problematisch – wenn auch mit bevorzugt populistischem Dreh ("Können wir den Medien vertrauen?"). Die Art, wie er seine Vorträge gestaltet, ähnelt in ihrer Harmlosigkeit der "Sendung mit der Maus": Komplexe Sachverhalte werden anschaulich und einfach, für jedermann verständlich, erklärt. Das Problem sind dabei weniger verdrehte Fakten, als die Wahrheiten, die der Historiker gezielt unter den Tisch fallen lässt.
So schreibt Michael Butter, Professor an der Universität Tübingen mit Forschungsschwerpunkt "Verschwörungstheorien in Geschichte und Gegenwart", im Schweizer Magazin "Republik" zu Gansers Methode: "Tatsächlich aber stellt Ganser Suggestivfragen, reißt Zitate und Bildquellen aus dem Zusammenhang und verschweigt alles, was nicht in sein Argument passt."
Ganser inszeniert sich bei seinen Auftritten oft und gerne als Opfer der "Mainstreammedien".
Er sieht sich in der Tradition der berühmten Geschwister Scholl. So sagte er dem Blog "Nachdenkseiten" 2017 in einem Interview: "Friedensforscher und auch Friedensaktivisten, die sich aktiv gegen Gewalt und Kriegspropaganda aussprachen, wurden immer wieder angegriffen. Hans und Sophie Scholl von der Friedensbewegung Weiße Rose wurden enthauptet."
Die "Neue Zürcher Zeitung" attestiert Ganser das Potential einer Einstiegsdroge: "Wären Verschwörungstheoretiker Drogen, wäre Ganser das Marihuana". Denn er geht in seiner Positionierung subversiv und durchaus klug vor, und das macht ihn gefährlich. Bei der Wahl seiner Gesprächspartner:innen oder seines Publikums scheint er zudem nicht zimperlich zu sein.
So schreibt der Kulturwissenschaftler Butter in seinem Gastbeitrag für "Republik":
Der frühere Wehrsportgruppe-Angehörige Gundolf Köhler war für das am 26. September 1980 in München verübte Oktoberfestattentat mitverantwortlich. Es war der bislang schlimmste Terrorakt in der Geschichte der BRD.