Die Inflation und die damit verbundenen Preissteigerungen stellen viele Menschen in Deutschland vor finanzielle Probleme. Der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sprach bereits von Jahren des Verzichts, die der Bevölkerung bevorstünden. Zwei Entlastungspakete hat die Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht, um die Auswirkungen der Teuerung zu mildern.
Jetzt, Anfang Juli, startet außerdem die Konzertierte Aktion. Mit der will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gemeinsam mit den Gewerkschaften, Arbeitgebenden und Wissenschaftlern etwas gegen den Preisdruck tun.
Doch was ist eine Konzertierte Aktion? Woher stammt die Idee? Und warum wird der Vorstoß nicht nur wohlwollend aufgenommen? Die wichtigsten Fragen klärt watson für euch.
Konzertiert bedeutet, dass etwas aufeinander abgestimmt ist. In diesem Fall die Schritte aller Beteiligten, die gemeinsam eine ökonomische Wende bringen wollen. Aus diesem Grund bespricht sich der Kanzler gemeinsam mit den Gewerkschaften, den Arbeitgebenden, der Bundesbank und Wissenschaftlern. Das Ziel: Dem Preisdruck etwas entgegensetzen.
Scholz macht sich große Sorgen über die steigenden Energiepreise, wie er im ARD-Sommerinterview sagte. "Wenn plötzlich die Heizrechnung um ein paar hundert Euro steigt, dann ist das eine Summe, die viele nicht wirklich bewältigen können. Das ist sozialer Sprengstoff."
Der Kanzler strebt einen längerfristigen Prozess an. Erste Ergebnisse der Gespräche solle es erst im Herbst geben – wenn das tatsächliche Ausmaß der Energie- und Preiskrise klarer wird. Nach dem ersten Auftakttreffen soll es eine Reihe weiterer Treffen geben, während denen über konkrete Vorgehensweise debattiert werden soll, meinte der Regierungssprecher Steffen Hebestreit.
Das drängendste Problem ist derzeit der Gaspreis. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte vor einer Preisexplosion bei Stadtwerken, falls Russland den Gashahn zudreht und große Versorger weiter in Not geraten. Eine Kettenreaktion mit weitreichenden negativen Folgen erscheint möglich.
Die größten Herausforderungen bei den Preisen insgesamt aber – so sagte es Scholz – folge erst im nächsten Jahr. In diesem Jahr werde die Belastung für Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen durch die Maßnahmen der Bundesregierung aufgefangen.
Die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, hat sich für eine Preisgarantie für einen Grundbedarf an Strom und Gas starkgemacht. Der Grundbedarf solle für jeden Erwachsenen und jedes Kind im Vorhinein festgelegt werden, forderte Fahimi bei der "Bild am Sonntag". Ähnliches forderte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warb ebenfalls für weitere Entlastungen. "Das haben wir noch nicht erlebt, vierfach höhere Preise, nicht nur an den Tankstellen, sondern auch vor allen Dingen für das Gas", sagte Steinmeier im ZDF. Man werde sich Instrumente überlegen müssen, wie man vor allem Geringverdienern das Leben erleichtere.
Es gab außerdem Berichte darüber, dass Olaf Scholz plane, Beschäftigte mit einer Einmalzahlung zu entlasten. Diese Berichte wies der Kanzler mittlerweile zurück – bei den Gewerkschaften hatte die vermeintliche Idee zu wenig Begeisterung geführt.
Die Grünen wiederum brachten als Vorschlag eine höhere Belastung für die Reichsten in Deutschland ins Spiel. Ein Vorschlag, der vor allem beim Koalitionspartner FDP zu Kopfschütteln führen dürfte: Mehr Schulden oder höhere Steuern wird es mit den Liberalen sicherlich nicht geben.
Das von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagene soziale Klimageld dürfte bei der Konzertierten Aktion wieder auf den Tisch kommen. Einmal im Jahr soll dem Vorschlag zufolge so ein Klimageld gezahlt werden – für Alleinstehende, die weniger als 4000 Euro brutto im Monat verdienen, und für Verheiratete mit zusammen weniger als 8000 Euro.
Viele Ideen also, über die die Beteiligten der Gesprächsrunde debattieren können. Das Konzept dieses Gesprächskreises stammt allerdings nicht von Scholz, sondern ist schon älter.
Das Vorbild stammt aus der Bundesrepublik der 1960er-Jahre. Vor dem Hintergrund der ersten schweren Wirtschaftskrise brachte der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) im Februar 1967 führende Vertreter von Bundesregierung, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften an einem "Tisch der gesellschaftlichen Vernunft" zusammen. Und wollte so, wie heute Kanzler Scholz, ein gemeinsames Vorgehen gegen die Krise finden.
Konkret ging es also darum, dass Gewerkschaften und Unternehmerverbände sich an den lohn- und preispolitischen Entscheidungen der Bundesregierung orientierten. So sollte der Rückgang der Konjunktur ausgehalten und eine Inflationsspirale vermieden werden. Mit seiner Idee, Lohnleitlinien einzuführen, konnte sich Schiller gegen die Gewerkschaften allerdings nicht durchsetzen. Die Arbeitgebenden sahen in der gemeinsamen Runde zudem ein Abwehrinstrument gegen die aus ihrer Sicht überzogenen Gewerkschaftsforderungen.
Mit der Entspannung seit den 1968er-Jahren – und dem Wiedererstarken der Wirtschaft – wollten auch die Arbeitnehmenden etwas von den steigenden Unternehmensgewinnen abhaben. Sie streikten. Die Folge: Lohn- und Gehaltserhöhungen auf breiter Front. Das inoffizielle Aus für die Konzertierte Aktion. Tatsächlich wurde die Zusammenarbeit 1977 beendet.
Es besteht die Sorge, dass die Konzertierte Aktion nicht das erreichen wird, was sich viele von ihr erhoffen. Die "Badische Zeitung" schreibt in einem Kommentar beispielsweise: "Die Gewerkschaften werden ihre Tarifforderungen nicht eindampfen, weil die Arbeitgeberseite nicht zusichern kann, ohne Preisaufschläge auszukommen." Denn weder stünden die Arbeitgeberverbände für alle Unternehmen, noch bestünden Kosten nur aus Löhnen. Andere Produktionsfaktoren – wie beispielsweise Energie – seien schwer zu beeinflussen.
Die "Neue Osnabrücker Zeitung" teilt die Sorge. In einem Kommentar schreibt sie: "Die "konzertierte Aktion" wird nur Antworten finden, wenn alle mitmachen und nicht nur an sich und die eigene Klientel denken." Vielmehr bräuchte es gezielte Entlastungen. Wenig hoffnungsvoll zeigt sich auch die Tageszeitung "Rheinpfalz", die in einem Kommentar darauf hinweist, dass auch die erste Auflage der konzertierten Gesprächsrunde kein Erfolgsmodell gewesen sei. Die "Frankfurter Rundschau" nennt den Gesprächskreis sogar ein Produkt der Ratlosigkeit. So würde die Verantwortung verwischt, die eigentlich die Regierung hätte.
Es bleibt also abzuwarten, inwiefern die Gesprächsrunde im 21. Jahrhundert von Erfolg gekrönt sein wird. Klar ist aber, dass gerade Gering- und Mittelverdienende entlastet werden müssen, wenn die Teuerung – mitsamt der gestiegenen Energiepreise – im kommenden Jahr besonders einschlägt.
(Mit Material von dpa)