Donald Trumps letzte Wochen im Amt sind ein Stresstest für viele, denen die US-amerikanische Demokratie am Herzen liegt. Der noch amtierende Präsident hat auch zwei Monate nach der Wahl seine Niederlage nicht anerkannt. Er versucht seit Wochen mit all seiner Macht gegen das Wahlergebnis vorzugehen – indem er an seine über 88 Millionen Followern auf Twitter ständig Verschwörungserzählungen weitergibt und massiven Druck auf die Menschen ausübt, die in den US-Bundesstaaten für die Durchführung der Wahl zuständig sind. Und er soll sich bei einem Treffen im Weißen Haus sogar über die Möglichkeit informiert haben, das Kriegsrecht zu verhängen.
Jetzt haben alle zehn ehemaligen noch lebenden US-Verteidigungsminister den Präsidenten aufgefordert, endlich aufzuhören.
Die zehn Ex-Verteidigungsminister haben die Regierung des abgewählten Präsidenten Donald Trump vor einem Einsatz des Militärs im Streit um den Wahlausgang gewarnt. Entsprechende "Bemühungen" würden das Land auf "gefährliches, rechtswidriges und verfassungswidriges Gebiet" führen, heißt es in einem Meinungsartikel der Ex-Minister für die "Washington Post". Sie forderten eine Anerkennung des Wahlsiegs von Joe Biden von den Demokraten. Unter den Ex-Ministern sind sowohl Demokraten als auch Republikaner; mit James Mattis und Mark Esper schlossen sich auch zwei frühere Verteidigungsminister der Trump-Regierung dem Aufruf an.
Die friedliche Machtübergabe sei ein "Markenzeichen unserer Demokratie", heißt es in dem am Sonntag veröffentlichten Artikel. Abgesehen von der Wahl Abraham Lincolns im Jahr 1860, in deren Folge ein blutiger Bürgerkrieg mit über 600.000 Toten in den Vereinigten Staaten ausbrach, sei der Übergang im Präsidentenamt immer friedlich erfolgt. "Dieses Jahr sollte keine Ausnahme sein." Sollten Regierungsvertreter dennoch versuchen, das Militär einzusetzen, drohten ihnen schwere politische und juristische Konsequenzen.
Die früheren Verteidigungsminister riefen dazu auf, den Streit um die Präsidentschaftswahlergebnisse beizulegen und den Sieg Bidens anzuerkennen. Die Gerichte hätten alle Klagen des Trump-Lagers wegen angeblichen Wahlbetrugs zurückgewiesen, schrieben sie zur Begründung.
Bei einem Treffen mit Trump im Weißen Haus im Dezember war den Berichten mehrerer US-Medien zufolge ein Einsatz der Armee ins Spiel gebracht worden, um das Wahlergebnis noch einmal zu kippen. Ein Großteil der Berater des Präsidenten wies den Vorstoß demnach aber entschieden zurück. Trump widersprach später den Berichten von "New York Times", CNN und "Wall Street Journal". Mit Blick auf die Berichte über eine diskutierte Verhängung des Kriegsrechts twitterte er, dies seien "Fake News".
An dem Treffen nahm demnach auch Trumps ehemaliger Sicherheitsberater Michael Flynn teil. Flynn hatte bereits zuvor in einem Interview mit dem Sender "Newsmax" gesagt, Trump könnte das Militär in umstrittenen US-Bundesstaaten einsetzen und "im Grunde unsere Wahl wiederholen lassen".
Trump prangert seit November vermeintlichen massiven Wahlbetrug an, ohne dafür irgendwelche Belege zu präsentieren.
Präsident Trump und seine Verbündeten haben in ihrem Kampf gegen die Wahlniederlage bisher keinen wirklichen Erfolg zu verzeichnen. In den Rechtsstreitigkeiten um die Wahl haben sie dutzende Niederlagen vor Gerichten erlitten. Mehrere Vertreter von Trumps Republikanern haben Bidens Sieg inzwischen mehr oder weniger deutlich anerkannt, unter ihnen sogar der jahrelange Trump-Getreue Mitch McConnell, Mehrheitsführer der Republikaner im Senat. Trotzdem zieht nach wie vor ein erheblicher Teil der Partei Bidens Sieg in Zweifel.
Auch mehrere hochrangige Armeevertreter hatten in den vergangenen Tagen deutlich gemacht, dass sie einen Einsatz des Militärs wegen Trumps Manipulationsvorwürfen nicht zustimmen würden. Nach einer Studie des Brennan Center for Justice müsste außerdem der Kongress zustimmen, bevor der Präsident das Kriegsrecht verhängen könnte.
Für Autorin und Historikerin Annika Brockschmidt ist der offene Brief der Ex-Verteidigungsminister trotzdem "absolut angebracht". Brockschmidt, die 2021 ein Buch über die religiöse Rechte in den USA veröffentlichen wird, sagt gegenüber watson:
Für Politologe Thomas Jäger, der an der Universität Köln den Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik innehat, haben die Ex-Verteidigungsminister all denjenigen im Militär den Rücken gestärkt, die sich einem eventuellen Befehl Trumps widersetzen würden - und denjenigen, die ihn ausführen würden, mit Strafen gedroht. Für Jäger zeigt sich darin, dass er trotz allem noch einen Konsens in der US-Politik gibt, wenn es ums Militär geht. Watson gegenüber erklärt Jäger:
Es gibt ein Ereignis aus dem Juni 2020, das viele nennen, die jetzt vor einem Einsatz des Militärs durch Trump nennen: Damals – wenige Tage, nachdem ein Polizist den Afroamerikaner George Floyd getötet hatte und hunderttausende bei Anti-Rassismus-Proteste in den USA auf die Straße gingen – ging die Nationalgarde mit Tränengas gegen Demonstranten nahe dem Weißen Haus vor, um einen Platz zu räumen. Kurz zuvor hatte Trump mit einem solchen Einsatz gedroht. Trump ging über den geräumten Platz, um mit einer Bibel in der Hand vor einer Kirche zu posieren. Die Episode zeigt aus der Sicht vieler Beobachter, wie wenig Skrupel Trump dabei hat, Gewalt auch gegen die eigenen Bürger einsetzen zu lassen.
Dass Trump nun das Militär einsetzen könnte, um im Amt zu bleiben, hält Politologe Jäger für "sehr unwahrscheinlich". Es gebe keine rechtliche Grundlage, meint Jäger gegenüber watson und erklärt das so:
Jäger ergänzt aber:
Trump lebe "in seiner ganz eigenen Parallelwelt". Jäger weiter:
Die Historikerin Brockschmidt treibt vor allem die Gefahr um, dass Teile des Militärs sich auf Trumps Seite schlagen. Sie glaube zwar nicht, dass die Mehrheit des Militärs auf Trumps Seite steht, erklärt Brockschmidt gegenüber watson. Sie ergänzt aber:
Im US-Bundesstaat Georgia finden am Dienstag die Stichwahlen um zwei entscheidende Senatssitze statt. Sollten in beiden die demokratischen Kandidaten gewinnen, würden Trumps Republikaner die Mehrheit im US-Senat verlieren. Das würde dem gewählten US-Präsidenten Biden das Regieren erleichtern. In der anderen Kongresskammer, dem Repräsentantenhaus, haben die Demokraten seit 2019 die Mehrheit.
(mit Material von afp)