Das 9-Euro-Ticket hat es in den Sommermonaten vielen Menschen ermöglicht, günstig den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) wurden insgesamt mehr als 52 Millionen verkauft. Die CO2-Einsparungen durch das 9-Euro-Ticket liegen bei knapp 1,8 Millionen Tonnen. Doch trotz dieser beeindruckenden Zahlen ist klar: Das 9-Euro-Ticket wird so nicht weitergeführt.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing kündigte am Mittwoch an, dass es eine Folgelösung geben werde. Er habe Bundesfinanzminister Christian Lindner davon überzeugen können, wie dieser selbst auf Twitter zugab.
Doch wie geht es jetzt konkret weiter? Und welche Folgelösung für das 9-Euro-Ticket ist die sinnvollste? Watson hat bei dem Politikwissenschaftler und Verkehrsexperten Andreas Knie nachgefragt.
Dass es keine Nachfolge oder direkte Alternative gibt, wird von vielen Seiten kritisiert. Auch Andreas Knie meint: "Man hätte das 9-Euro-Ticket zumindest um ein bis zwei Monate kurzfristig verlängern müssen, damit man Zeit hat, eine langfristige Lösung zu finden. Jetzt gehen die Menschen wieder zurück in ihre alten Routinen."
Einen Grund dafür sieht der Verkehrsexperte unter anderem darin, dass die Politik und die Verkehrsbranche von der Attraktivität des Tickets überrascht wurden. "Man war nicht vorbereitet und wurde vom eigenen Erfolg überrollt. Die Politik wollte etwas anstoßen und nun hat man es über die Sommerpause versäumt, diesen ersten Schritt in die Verkehrswende in eine langfristige Maßnahme zu überführen. Das ist tragisch", urteilt Knie.
Die meisten Ideen beziehen sich auf die Höhe des Preises eines künftigen Monatstickets: Von neun bis 69 Euro sind verschiedene Vorschläge gemacht worden. Die SPD hat ein bundesweites 49-Euro-Ticket ins Spiel gebracht, die Grünen wollen dies um ein regionales Monatsticket für 29 Euro ergänzen. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) wiederum hatte sich für ein 69-Euro-Ticket ausgesprochen.
Einige Bundesländer sind bereits mit eigenen Ideen und Initiativen vorgeprescht – zuletzt Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die ein 9-Euro-Ticket für die Hauptstadt über den August hinaus ins Spiel gebracht hat. Von Organisationen wie Greenpeace und Campact wurde etwa auch ein Jahresticket für 365 Euro vorgeschlagen.
Aus Sicht der Kund:innen, ist ein monatliches Ticket zum Preis von 29 Euro die sinnvollste Lösung, wie Verkehrsexperte Andreas Knie erklärt. "Empirische Forschungen haben ergeben: 29 Euro sind die Grenze, alles darüber wird als teuer empfunden", sagt er.
29 Euro pro Monat seien auch 365 Euro pro Jahr vorzuziehen, obwohl die Tickets auf den einzelnen Tag gerechnet fast gleich günstig sind.
Andreas Knie erklärt, wieso das so ist:
Das größte Hindernis ist die Finanzierungsfrage. Hier schieben sich Bund und Länder seit Wochen die Verantwortung zu. Aus Sicht der Länder ist klar: Einfach ein weiteres billiges ÖPNV-Ticket darf es nicht geben. Auch das Grundangebot im Nahverkehr muss verbessert werden: mehr Infrastruktur, mehr Personal, mehr Fahrzeuge. Sie fordern deshalb, dass die Regierung die sogenannten Regionalisierungsmittel deutlich aufstockt, mit der der Bund den ÖPNV in den Ländern und Kommunen mitfinanziert.
Zusätzlich zu der bislang schon geforderten Erhöhung um 1,5 Milliarden Euro pro Jahr, wollen die Verkehrsministerinnen und -minister mit Verweis auf die hohen Energiepreise für die Jahre 2022 und 2023 jeweils weitere 1,65 Milliarden Euro. Andernfalls müssten die Unternehmen die Preise im ÖPNV bald erhöhen – anstatt eines günstigeren Angebots für Busse und Bahnen würde alles also nochmal teurer werden.
Die Verantwortung, die Verkehrswende mit Maßnahmen wie dem 9-Euro-Ticket umzusetzen, liegt bei der Politik. Doch auch die Verkehrsbranche hätte mehr tun können, um dieses Vorhaben zu unterstützen, kritisiert Politikwissenschaftler Andreas Knie gegenüber watson. Die Branche hätte diesen Sommer gezeigt, dass sie kein Interesse an mehr Fahrgästen habe: "Die Branche hat die Chance, die ihr gegeben wurde, aktiv nach vorne zu kommen, nicht genutzt."
Weiter erklärt der Experte:
Für die Klimabilanz Deutschlands ist ein günstiges Ticketmodell extrem wichtig, das hat bereits das 9-Euro-Ticket gezeigt. Mobilitätsexperte Andreas Knie betont: "Wir haben die Pariser Klimaverträge unterschrieben und wir müssen einen extrem hohen Anteil an CO₂-Einsparungen im öffentlichen Verkehr schaffen, und zwar 38 Prozent bis 2030. Mit dem 29-Euro-Ticket wären wir auf der richtigen Spur."
Sicher ist auch: Kurzfristige Lösungen wie ein extrem günstiges Ticket, das aber nur drei Monate gilt, führen langfristig nicht dazu, dass Menschen vom Auto auf öffentliche Verkehrsmitteln umsteigen. "Entscheidungen der Verkehrsmittelwahl dauern sechs bis zwölf Monate. Bis man von der Kenntnis des Angebots ins tatsächliche Handeln kommt, braucht es diese Zeit. Das 29-Euro-Ticketangebot müsste mindestens ein Jahr gelten und es müsste dauerhaft eine verlässliche Perspektive sein", sagt Experte Andreas Knie.
Wichtig sei nicht nur der günstige Preis, sondern auch die Einheitlichkeit. Mit dem Ende des 9-Euro-Tickets beginne für die Fahrgäste auch wieder ein kaum zu durchblickender Tarifdschungel. Andreas Knie fasst zusammen: "Als Gelegenheitskunde kann man den Tarifdschungel kaum durchschauen. Nutzen, ohne nachzudenken: Das ist die Erfolgsformel in der Verkehrspolitik."
(mit Material von dpa)