Die Corona-Zahlen explodieren: Am Donnerstag hat das RKI erstmals seit Beginn der Pandemie über 50.000 Neuinfektionen registriert. Die Inzidenz steigt damit auf 249,1. Das sind alles Höchstwerte, die selbst im Dezember 2020 nicht erreicht wurden. Immer mehr Bundesländer weiten ihre Corona-Maßnahmen aus. Doch das reicht laut Experten noch lange nicht aus. Jetzt will die Ampel eingreifen und noch während der laufenden Koalitionsverhandlungen den Corona-Kurs in Deutschland neu bestimmen. Der Bundestag hat am Donnerstagvormittag über die entsprechenden Pläne debattiert.
Nach wochenlanger öffentlicher Zurückhaltung äußerte sich dabei auch der amtierende Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. "Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, die mit dem neuen Gesetz verbunden sind."
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Welche Maßnahmen die Ampelparteien ergreifen wollen und was im Winter zu erwarten ist, liest du hier:
Die voraussichtlichen Ampel-Partner wollen die epidemische Lage von nationaler Tragweite am 25. November auslaufen lassen – gegen den Willen der noch amtierenden Kanzlerin Angela Merkel und unter anderem von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Seit Tagen steigen die Corona-Infektionszahlen stark, am Donnerstag registrierte das Robert-Koch-Institut zwei Höchstwerte: Die Zahl der Neuinfektionen stieg um mehr als 10.000 auf 50.196, die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz lag bei 249.1. Die Ampel-Partner hatten erklärt, sie hielten die Pandemie-Notlage als Basis für Corona-Maßnahmen trotzdem nicht mehr für rechtssicher, weil viele Menschen geimpft sind.
Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt betonte während der Debatte im Bundestag am Donnerstag, dass dieses Gesetz auf Wunsch der Ministerpräsidentenkonferenz entstanden sei. "Wir diskutieren hier gemeinsam", sagte Göring-Eckardt, "um einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen."
Ersetzt werden soll diese epidemische Lage durch einen kleineren Katalog möglicher Maßnahmen, die die Länder ergreifen können. In dem 44-Seiten-Entwurf der voraussichtlichen Ampel-Partner sind Abstandsgebote, Maskenpflicht, Hygienevorgaben für Schulen oder Hochschulen als Möglichkeiten für die Länder weiter vorgesehen. Dazu zählen auch eine mögliche Pflicht zur Vorlage von Impf-, Genesenen- oder Testnachweis (2G oder 3G) etwa für Veranstaltungen oder Restaurants. Solche Maßnahmen sollen laut dem Entwurf nur noch bis zum 19. März 2022 zur Anwendung kommen können. Schon ab Ende November nicht mehr möglich sein sollen pauschale Schließungen von Schulen, Geschäften oder großflächige Verbote von Veranstaltungen.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz betont, dass die Maskenpflicht weiterhin durchgesetzt werden soll. Genau so verhalte es sich mit den Abstandsregeln – "Wir halten sie weiter für erforderlich". Und darüber hinaus müssten "viele, viele weitere Maßnahmen ergriffen werden, damit wir durch den Winter kommen", sagte Scholz zu dem Gesetzesentwurf am Donnerstag.
Eine davon seien die Auffrischungsimpfungen. Dazu sollen die Impfzentren wieder eröffnet werden, was durch den Bund finanziert werden soll, erklärt Scholz.
Außerdem sollen Mitarbeitende in Pflegeheimen neben Booster-Impfungen tägliche Tests erhalten – vor allem die Ungeimpften. Auch Besucher sollen sich folglich einem Test unterziehen.
Auf den Weg kommen soll 3G am Arbeitsplatz. Beschäftigte in Präsenz sollen grundsätzlich geimpft, genesen oder auf Corona getestet sein müssen. Derzeit erarbeitet das Bundesarbeitsministerium eine entsprechende Vorlage, die voraussichtlich im laufenden Gesetzgebungsverfahren dazukommen soll.
Am Donnerstag in einer Woche sollen die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes im Parlament und tags darauf im Bundesrat beschlossen werden. Außerdem sollen unter anderem die kostenlosen "Bürgertests" ab kommender Woche wieder eingeführt werden. Ein entsprechender Entwurf des geschäftsführenden Gesundheitsministers Jens Spahn war am Mittwoch bekannt geworden.
Das führt auch Olaf Scholz in seinem Statement während der Debatte im Bundestag aus. Er sei froh, dass sich darauf verständigt wurde, dass die Tests wieder kostenlos zur Verfügung stünden. "Ich bin froh, dass wir uns gemeinsam vorgearbeitet haben", sagt Scholz.
Kanzlerin Angela Merkel forderte am Mittwochabend schnellstmöglich eine neue Ministerpräsidentenkonferenz. "Wir brauchen hier wieder eine gesamtstaatliche Kraftanstrengung", sagte die CDU-Politikerin. "Das Coronavirus nimmt keine Rücksicht darauf, ob wir gerade eine geschäftsführende Regierung haben, ob wir gerade Koalitionsverhandlungen haben", betonte die Kanzlerin. Einige Länderchefs wie SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz hatten eine rasche Bund-Länder-Runde nicht als nötig angesehen. Die FDP im Bundestag hatte grundsätzlich die Notwendigkeit einheitlichen Handelns bestritten und auf die unterschiedliche Corona-Lage in den Ländern verwiesen.
Auch die Ampelparteien haben sich am Donnerstag im Bundestag für ein Treffen des Bundes mit den Ländern ausgesprochen. Das Gesetzespaket werde jetzt im Bundestag und zwischen den Parteien beraten. Scholz betont: "Ich fände es schön, wenn es über die Parteien hinaus getragen wird." Nächste Woche soll es ein neues Bund-Länder-Treffen geben – "die Kanzlerin und ich sind uns da einig", erklärte Olaf Scholz.
Die Grünen plädieren ebenfalls dafür, über die Parteigrenzen hinweg an einem Strang zu ziehen. Die Parteipolitik solle außen vor gelassen werden, "um wirksame Maßnahmen zu beschließen", sagte Katrin Göring-Eckardt in der Bundestagsdebatte um das Maßnahmen-Paket.
Neben der 3G-Forderung am Arbeitsplatz empfehlen die Ampel-Parteien in ihrem Gesetzesentwurf 2G für Gaststätten und Veranstaltungen. "Die Zutrittskriterien müssen aber auch überwacht werden", betonte Olaf Scholz am Donnerstag in der Bundestagsdebatte um das Maßnahmenpaket.
Während die einen seit Tagen immer lauter fordern, dem Anstieg der Zahlen im Grundsatz flächendeckend 2G in Deutschland entgegenzusetzen, lehnen andere dies ab. 2G bedeutet, dass Ungeimpften der Zugang zum Beispiel zu Veranstaltungen oder Gaststätten verwehrt wird. Die Regelungen in den Ländern sind hier sehr unterschiedlich. In Sachsen gilt seit Anfang der Woche 2G, Berlin zieht kommenden Montag nach, in Bayern wird es in weiten Bereichen angewandt. Anderswo reichen Tests, wobei auch hier die Bandbreite hoch ist: Während einige Länder für bestimmte Bereiche PCR-Tests verlangen, reicht bei anderen ein Schnelltest. Hierbei gibt es unterschiedliche Regelungen, wie lange vorher der Schnelltest maximal durchgeführt werden muss.
Ein Problem sind aber die Kontrollen der Corona-Zugangsregeln. Kommunalverbände ermahnen nun Gastronomen und Veranstalter. "Da sind also die Gastronomen und Veranstalter in der Pflicht und dürfen sich keinen schlanken Fuß machen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, der Deutschen Presse-Agentur. Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Richard Sager, kündigte in der "Rheinischen Post" (Donnerstag) verstärkte Überprüfungen an. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte in der ARD-Sendung "Maischberger": "Das muss ganz streng kontrolliert werden." Wenn beispielsweise ein Restaurant 2G nicht kontrolliere und dann auffalle, sollte das zu sechs Wochen Schließung führen.
Die jetzige Bundesregierung und auch die Ampel-Parteien lehnen sie ab. Eine große Mehrheit der Deutschen befürwortet aber eine Corona-Impfpflicht zumindest für bestimmte Berufsgruppen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprachen sich 44 Prozent sogar dafür aus, alle Menschen in Deutschland zur Immunisierung gegen das gefährliche Virus zu verpflichten. Weitere 24 Prozent wollen die Pflicht auf einzelne Berufsgruppen wie Pflegekräfte oder Krankenhauspersonal beschränken. Nur 27 Prozent sind generell gegen eine Impfpflicht.
Dennoch soll in den nächsten Wochen verstärkt auf die Auffrischungsimpfungen hingewiesen werden. Olaf Scholz betont am Donnerstag: "Nicht nachlassen bei dem Versuch, möglichst viele zu impfen." Deshalb müsse jetzt eine Kampagne gestartet werden. Sowohl Hausärzte als auch mobile Angebote seien vorhanden. Auch die Impfzentren müssten wieder eröffnet und mit Mitteln des Bundes finanziert werden. "Dass Millionen Bürgerinnen und Bürger eine Auffrischungsimpfung bekommen, das ist die Aufgabe der nächsten Wochen", fasst Scholz zusammen. Nach sechs Monaten solle jeder eine solche Impfung bekommen können. Wichtig sei auch, dass die Älteren besonders schnell geimpft würden.
(mit Material von dpa)