Die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft am Sonntag brachte zwei klare Sieger hervor: Die SPD widersetzte sich dem Bundestrend, die Grünen legten deutlich zu, Rot-Grün kommt auf eine stabile Mehrheit. Das war genau so erwartet worden – und zeichnete sich auch in den Prognosen und Hochrechnungen am Wahlabend ab.
Komplizierter waren dagegen die Wahlergebnisse der kleinen Parteien. Wer die Wahlberichterstattung im TV verfolgte, dachte lange, dass die AfD den Einzug in die Bürgerschaft verfehlen würde. Auf Twitter bejubelten schon Tausende, dass die AfD erstmals aus einem Parlament fliegen würde. Am Ende landete die Partei dann doch bei etwas mehr als fünf Prozent.
Anders herum ist es nun bei der FDP. Am Tag nach der Wahl ist klar, dass die Partei die Fünf-Prozent-Hürde verfehlte – obwohl sie in den Prognosen und Hochrechnungen am Wahlabend immer bei 5,0 Prozent landete.
Wie kann es sein, dass die Zahlen so widersprüchlich waren? Was hat das ungewöhnliche Hamburger Wahlsystem damit zu tun? Und was hat es mit der Auszählungspanne auf sich, die die FDP doch noch den Einzug in die Bürgerschaft kosten könnte? Das erklärt der Politikwissenschaftler Kamil Marcinkiewicz bei watson.
Schon die am Wahlabend zwischenzeitlich veröffentlichten Zahlen sorgten bei vielen für Verwirrung.
Wie kann das sein?
Insofern überrascht es ein wenig, dass am Ende – was den AfD-Einzug anbelangt – die Hochrechnungen des Statistischen Amts näher am Ergebnis liegen als die von ARD und ZDF.
Denn eigentlich sollte es umgekehrt sein:
Politikwissenschaftler Marcinkiewicz weist darauf hin, dass es sich um sehr geringe Unterschiede gehandelt habe. "Das ist vollkommen normal, dass es am Ende eine kleine Abweichung ergibt. Die kleinen Abweichungen werden aber brisant, wenn es mehrere Parteien gibt, die eher klein sind und für die ein Prozentpunkt Unterschied über den Einzug in die Bürgerschaft entscheidet." Bei FDP und AfD ist das der Fall.
Er habe zwar keine genauen Informationen über die Methode von ARD und ZDF, vermute aber, dass es sich bei der in diesem Fall höheren Genauigkeit des Statistischen Amts um einen Zufall handele, so der Experte weiter.
Bei der Auszählung gab es zudem eine Panne, wie der Wahlleiter inzwischen bestätigt hat. Im Wahlbezirk Langenhorn wurden die Ergebnisse von Grünen und FDP verwechselt: Die 22,4 Prozent der Ökopartei wurden versehentlich den Liberalen zugeschrieben, was jetzt wieder korrigiert wird. Das könnte die FDP nun im Nachgang doch noch unter die 5-Prozent-Hürde schieben.
Man müsse bei einem komplexen Wahlsystem jedoch immer mit solchen Vorfällen rechnen, sagt Marcinkiewicz. Es sei gut, dass die Panne schnell aufgedeckt worden sei. "Erforderlich ist aber auf jeden Fall eine bessere Kontrolle des Auszählungsprozesses. Das ist wichtig angesichts der immer größeren Polarisierung der deutschen Politik."
Der Experte erklärt auch, wie diese Kontrolle aussehen könnte: "Man kann zum Beispiel darüber nachdenken, die Vertreterinnen und Vertreter der Parteien als Beobachter bei der Auszählung zuzulassen. Die Mitglieder des Wahlvorstands haben dann einen Anreiz, sich gegenseitig zu kontrollieren und im Falle der Zweifel sofort intervenieren."
Die Prognosen, die ARD und ZDF um 18 Uhr veröffentlichten, basierten auf Nachwahlbefragungen, sogenannten Exit Polls. Diese hatten die AfD noch unter 5 Prozent gesehen.
Diese Nachwahlbefragungen haben eine Schwachstelle, erklärt Marcinkewiecz: "Die Exit Polls können wie andere Umfragen problematisch sein, wenn einige Befragte nicht die Wahrheit sagen wollen, zum Beispiel, weil sie Angst haben, dass ihre Parteipräferenzen von der Mehrheitsmeinung abweichen, Stichwort soziale Erwünschtheit. Es kann auch sein, dass Wähler einiger Parteien eher dazu tendieren, mit den Umfrageinstituten nicht zu sprechen als Wähler anderer Parteien."
Das Hamburger Wahlsystem ist etwas komplexer als viele andere. Wie in Bremen und Bayern nutzt es offene Landes- und Wahlkreislisten.
Das hat Vor- und Nachteile, wie Marcinkiewicz gegenüber watson ausführt: "Es macht die Auszählung extrem kompliziert und fehleranfällig, gibt aber den Wählern die Möglichkeit, auch die Kandidaten von unteren Listenplätzen in die Bürgerschaft zu wählen, wenn sie einen guten Wahlkampf machen. Die Bürgerinnen und Bürger können somit die Präferenzen der Parteien bezüglich der Kandidaten, die sich in der Listenplatzierung äußern, in Frage stellen."