Rachid Khenissi von den Jusos kritisiert die WM in Katar heftig.null / Fionn Große
WM 2022
18.11.2022, 14:5818.11.2022, 18:38
Am Sonntag startet die wohl umstrittenste Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten. Ein Großsportereignis im Wüstenemirat Katar. Ein Land, das weder für Menschen- und Frauenrechte noch für die Akzeptanz sexueller Minderheiten bekannt ist. Tausende Menschen sind bei den Bauarbeiten im Vorfeld der Sportveranstaltung gestorben.
Normalerweise bedeuten große Fußballmeisterschaften Spaß und Gemeinschaft: Public Viewings sind ein fester Bestandteil. Dass die WM nun erstmalig im Winter stattfindet, könnte neben all der politischen und gesellschaftlichen Kritik ein weiterer Dämpfer sein.
Wie bewerten junge Politiker:innen die WM? Und werden sie selbst die Spiele verfolgen? Watson hat bei den Jugendorganisationen der Parteien nachgefragt.
Timon Dzienus (GJ): "Eine WM der Schande"
Die Grüne Jugend (GJ), stellt Bundessprecher Timon Dzienus klar, verurteilt die WM-Vergabe nach Katar aufs Schärfste. Als Gründe für die Kritik nennt er die Menschenrechtslage, sowie die Korruptionsvorwürfe gegen den Wüstenstaat. "Katar bekam den Zuschlag für die WM nur durch massive Korruption in Millionenhöhe", sagt Dzienus.
Timon Dzienus ist einer der beiden Bundessprecher der Grünen Jugend.Bild: dpa / Lino Mirgeler
Er kritisiert auch den Umgang mit sexuellen Minderheiten. Dzienus führt aus:
"Die homophoben Äußerungen des katarischen WM-Botschafters vor kurzem waren zum Beispiel total inakzeptabel, gleichzeitig verbietet die Fifa Trikots mit einer Menschenrechtsbotschaft. Das ist ziemlich unfassbar!"
Es dürfe außerdem nicht vergessen werden, wie viel Leid die WM bereits verursacht habe, mahnt der GJ-Sprecher an. Er spricht von der Ausbeutung der Arbeiter:innen, von den zahlreichen Toten. "Dieses Turnier ist kein verspätetes Sommermärchen, es ist eine WM der Schande", sagt er.
Mit Niclas Füllkrug ist auch ein Spieler von Dzienus Lieblingsverein, dem SV Werder Bremen, im WM Kader.Bild: dpa / Tom Weller
Obwohl er Fußballfan sei – sein Lieblingsverein ist der SV Werder Bremen – wird er die WM nicht verfolgen. Das könne und wolle er nicht. Dzienus stellt aber auch klar:
"Wir sollten den Umgang mit der WM aber weniger auf einer persönlichen, sondern eher auf einer politischen Ebene diskutieren: Wie können wir in Zukunft verhindern, dass solche sportlichen Events zum Reinwaschen von Autokratien und Diktaturen genutzt werden?"
Er nimmt hier Politik und Sportverbände wie die Fifa in die Pflicht, klare Vorgaben zu machen und Ausbeutung zu stoppen. Dass die WM auch in vielen Umfragen ablehnend betrachtet wird, überrascht den jungen Grünen nicht. Er sagt: "Niemand hat Lust auf eine vermeintlich schöne WM-Fassade, die auf Leid und Ausbeutung aufgebaut wurde."
Die WM in Katar müsse ein Anlass dafür sein, künftig dafür zu sorgen, dass internationale Sportevents demokratisiert würden.
Rachid Khenissi (Jusos): "Ist moderne Sklaverei"
Für Rachid Khenissi ist klar: Katar betreibt moderne Sklaverei. Khenissi ist Mitglied im Bundesvorstand der Jungsozialist:innen (Jusos).
Seinen Standpunkt erklärt er so:
"Die WM findet in einem Land statt, das zehn Mal mehr Gastarbeiter:innen als Einwohner:innen beherbergt. Diese Gastarbeiter:innen müssen unter inakzeptablen und teils tödlichen Arbeitsbedingung schuften – das ist moderne Sklaverei."
Hinzu käme ein "absolut veraltetes Weltbild", gerade mit Blick auf sexuelle Minderheiten. "All das ist unvereinbar mit Fußball", findet Khenissi. Denn: Fußball sollte ein Zeichen für Frieden und Völkerverständigung setzen, sagt Khenissi. Bei der WM in Katar tue er das aber nicht.
Wie Dzienus von der Grünen Jugend will auch Khenissi die WM nicht verfolgen. Auch wenn es ihn als fußballbegeisterten Menschen sehr schmerze. Er sagt: "Aber jede Zuschauerin und jeder Zuschauer für diese WM bedeuten Geld und Aufmerksamkeit für menschenverachtende Politik!"
Wichtig sei es außerdem festzustellen, dass die WM gegen die Regeln der Fifa verstoße: Die verböten Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung und politischen oder sonstigen Anschauungen. Katar allerdings stecke voller Diskriminierung, stellt der Juso klar. Und weil queere Rechte Menschenrechte seien, und damit für den Jugendverband der SPD unanfechtbar, "zeigen wir Katar und der Fifa die Rote Karte."
Er stellt außerdem klar: Insbesondere die Bundesregierung muss eine klare Kante gegen die Weltmeisterschaft zeigen. Jeder Besuch der Spiele trage zum Sportswashing bei und lenke von den massiven Menschenrechtsverletzungen in Katar ab.
Franziska Brandmann (Julis): "Schwerer Fehler"
Die Bundesvorsitzende der "Jungen Liberalen" (Julis), Franziska Brandmann, hält es für einen schweren Fehler, dass die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar stattfinden wird. Dabei sei es inzwischen belegt, dass es im Zuge der Vergabe der Weltmeisterschaft zu Korruption kam. Anders lässt es sich ihr zufolge nicht erklären, warum die Fußball-Weltmeisterschaft an Katar vergeben wurde.
An ein Land, in dem Gastarbeiter in den letzten Jahren unter menschenunwürdigen Bedingungen Fußballstadien bauen mussten und dabei ausgebeutet wurden; in dem die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist; in dem Homosexualität unter Strafe steht und Frauen unterdrückt werden.
Franziska Brandmann ist die Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen (Julis).Bild: dpa / Swen Pförtner
Laut Brandmann ist es bekannt, dass autokratische Staaten Großevents wie eine Fußball-Weltmeisterschaft gern nutzen, um darzustellen, wie geschätzt sie international sind. Sie fährt fort:
"Wer meint, Fußball sei doch nur ein Sport, dem sage ich: Die Entscheidung, in welchem Land die Weltmeisterschaft ausgetragen wird, ist in der Realität auch eine politische. Und sie wurde falsch getroffen."
Sie selber werde das Turnier nicht verfolgen – wie viele ihrer Freunde auch. Dabei liebe sie Fußball und sei ein großer Fan von Weltmeisterschaften. Sie sagt dazu:
"Korrupten Fifa-Funktionären mag es egal gewesen sein, wo die Weltmeisterschaft stattfindet – unter welchen Menschenrechtsbedingungen. Für mich und viele Fans ist es das nicht."
Auch die "fußballverrückten" Freunde von Franziska Brandmann werden die Weltmeisterschaft boykottieren. Bild: IMAGO/Sportfoto Rudel
Laut Brandmann haben sich die Julis ein Alternativprogramm überlegt: Parallel zum Deutschlandspiel gegen Spanien am 27. November werden sie auf "Twitch" einen Livestream aus ihrem Streamingstudio senden und dort über die Situation in Katar und vieles andere sprechen.
Der Fußball lebe von seinen Fans – und die Fifa zeige aktuell, dass sie sich um diese nicht schert. Für Brandmann ist klar: Katar muss das letzte sportliche Großereignis in einer Autokratie gewesen sein.
Lena Reinhardt (Solid): "Menschenverachtende Zustände"
Die Linksjugend Solid, stellt Bundessprecherin Lena Reinhardt klar, findet die Kritik an der WM in Katar mehr als angemessen. Als Begründung nennt auch sie die menschenverachtenden Zustände, Kriminalisierung von Homosexualität, Frauenfeindlichkeit und Ausbeutung.
Reinhardt fährt fort: "Doch damit nicht genug: Der Bau des Stadions kostete Tausende Gastarbeitende das Leben – die Zahlen reichen von circa 6.500 bis weit über 15.000."
Lena Reinhardt ist eine der Bundessprecherin der Linksjugend Solid.Bild: Leo Weigel
Sie selbst wird die WM nicht verfolgen – sie und die Linksjugend rufen sogar aktiv zum Boykott des Turniers
Reinhardt sagt:
"Für uns sind die Zustände in Katar absolut nicht vertretbar und wir fordern deshalb sowohl die Nationalmannschaft auf, nicht zur Endrunde nach Katar zu reisen, als auch alle Bürger:innen, die WM und alles mit ihr Zusammenhängende nicht zu unterstützen."
Dass der große Knall von Seiten der Politik bisher ausbleibe, ist aus Sicht von Reinhardt fatal. Sie sagt: "Deutsche Politiker:innen versuchen zwar, durch minimale Kritik ihr Image zu bewahren, aber aktive Forderungen und Boykottaufrufe blieben bisher weitestgehend aus." Die Bundessprecherin sieht darin die Duldung der "menschenverachtende Zustände". Für die Linksjugend bedeute das: Noch lauter sein und den Boykott vehement einfordern.
Reinhardt sehe die Fifa und die Vergabe der Weltmeisterschaften schon lange kritisch – nicht erst seit Katar.