Der Boden ist übersäht mit zerschellten Glasflaschen, Stühle fliegen durch die Luft. Ein Trupp von meist durchtrainierten russischen Hooligans macht Jagd auf eine viel größere Anzahl englischer Fans, darunter auch Hools. Zwischendrin: Normale Fans, Touristen und überforderte Polizisten. Diese Szenen aus der französischen Küstenstadt Marseille waren der Auftakt vieler Ausschreitungen bei der EM 2016. Sie markierten die gewalttätige Seite des Fußballs.
Zwei Jahre später hat nun das nächste große Turnier begonnen: Die Fußball-WM in Russland. Das Land hat eine große, gut organisierte und überaus gewalttätige Hooligan-Szene. In Frankreich randalierten beispielsweise Hooligans der verfeindeten Hool-Gruppierungen von Spartak Moskau, ZSKA Moskau und Zenit St. Petersburg gemeinsam.
Werden die Engländer in Russland auf Rache aus sein? Und wiederholen sich Szenen wie aus Marseille nun bei der Weltmeisterschaft?
Die russischen Sicherheitsbehörden wollen eine neue Gewalteskalation unter allen Umständen verhindern. Die WM ist ein Prestigeprojekt der Regierung. Das Turnier soll auf keinen Fall gestört werden.
Darauf wurde bereits bei der Spieltagsplanung geachtet: England beispielsweise spielt in der Vorrunde nicht in St. Petersburg oder Moskau – Städten mit großen und aktiven Hooligan-Gruppen. Teams mit vielen, teilweise verfeindeten Hooligans, spielen nicht an aufeinanderfolgenden Tagen in der selben Stadt.
Von englischer Seite wird auch keine große Vergeltungsaktion erwartet.
Auch die deutschen Behörden arbeiten an einem möglichst reibungslosen WM-Ablauf mit. Zumindest in Einzelfällen will die Polizei ihren russischen Kollegen Erkenntnisse aus der Datei "Gewalttäter Sport" übermitteln. Für polizeibekannte Hooligans könnte das zur Folge haben, dass sie gar nicht nach Russland einreisen können. Das erklärte das Bundesinnenministerium in seiner Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag.
In Nordrhein-Westfalen hat die Polizei mehreren Hooligans sogar schon die Ausreise während der WM verboten. Insgesamt wurden dort über 100 sogenannte "Gefährderansprachen" bei bekannten Hooligans durchgeführt. ("Rheinische Post")
Der Fanforscher Robert Claus sagt:
Robert Claus kennt sich aus in der Hooliganszene. Im vergangenen Jahr ist sein Buch "Hooligans – Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik" erschienen.
Auch dass sich Hooligangruppen an den Stadträndern der Spielorte zu sogenannten "Acker-Matches" treffen, also zu arrangierten Schlägereien auf Wiesen, Feldern und Waldlichtungen, hält Claus für wahrscheinlich.
Verabredete Schlägereien mit russischen Gruppen trauen sich jedoch längst nicht alle Hooligans zu. Der schweizer Hooligan erklärt:
Doch trotz der abschreckenden Wirkung der russischen Hooligans auf der einen und des strikten Sicherheitsapparats auf der anderen Seite ist die WM für viele deutsche Hooligans ein spannendes Event, wie Robert Claus erklärt:
Hooligans treffen jedoch nicht nur während der WM aufeinander. Gerade rechtsextreme Hools aus Deutschland und Russland arbeiten auch abseits solcher Großevents zusammen. Diese Zusammenarbeit birgt noch weitaus größere Gefahren für die Öffentlichkeit, als verabredete Schlägereien am Stadtrand.
Die Vorstellung, dass Hooligans aus verschiedenen Städten und Ländern stets verfeindet sind, ist nämlich ein "Fehleindruck", wie Robert Claus erklärt. Er sagt:
Zwar gebe es Szenen, "die sich auf den Tod nicht riechen können". Dortmund und Schalke etwa. Andere Hooligangruppen verabreden sich hingegen zu Schlägereien – um anschließend gemeinsam zu grillen. Der Kampf ist dort nicht vom Hass aufeinander, sondern von einem sportlichen Gedanken getrieben.
Das Interesse an Gewalt ist aber nicht das einzige verbindende Element zwischen Hooligans aus Deutschland und Russland. Bei einigen spielt auch die gemeinsame politische Orientierung eine wichtige Rolle.
Teile der Hooliganszene in Deutschland – und weite Teile der russischen Szene – sind stramm rechtsextrem. Sie eint der Glaube an die Überlegenheit der "weißen Europäer", der Hass auf Zuwanderung und die Verachtung der Demokratie.
Deutlich sichtbar wird die enge Vernetzung internationaler Neonazis und rechtsextremer Hooligans etwa beim jährlich stattfindenden "Kampf der Nibelungen". Das Kampfsport-Event, dessen Name an die germanische Nibelungensage angelehnt ist, wird von deutschen Neonazis organisiert. Offizieller Veranstalter ist der Dortmunder Rechtsextremist Alexander Deptolla. Alles verläuft konspirativ, der Veranstaltungsort wird vorab nicht öffentlich bekannt gegeben. Als 2017 etwa 500 Menschen in einer Schützenhalle im kleinen Ort Kirchhundem im Sauerland zusammenkamen, hatten nicht einmal die Behörden vorher etwas davon mitbekommen. ("Frankfurter Rundschau")
Anders 2018: Erstmals fand der "Kampf der Nibelungen" nicht heimlich statt. Die Veranstaltung war im April Teil des Neonazi-Festivals "Schild und Schwert" im sächsischen Ostritz.
Auf der Matte standen dort rechtsextreme Kampfsportler unter anderem aus Deutschland, Frankreich, Russland und den USA. Dabei geht es nicht nur um Sport und Unterhaltung, sondern auch darum, sich für den "politischen Kampf" zu stählen.
Unterstützt wird der "Kampf der Nibelungen" vom Modelabel "White Rex" des russischen Neonazis, Hooligans und Geschäftsmanns Denis Nikitin. Bereits seit mehreren Jahren ist Nikitin eng mit der rechten Szene in Deutschland verbunden. Gemeinsam mit Kölner und Dortmunder Hooligans hat er sich hier geprügelt.
Nikitins Modelabel "White Rex" macht nicht nur Kleidung für die rechtsextreme Hooligan-Szene, sondern veranstaltet auch eigene Kampfsport-Turniere. So wie russische Kämpfer beim "Kampf der Nibelungen" antreten, kämpfen auch deutsche Neonazis bei Nikitins Events in Russland.
Einer von ihnen ist der Dortmunder Neonazi, Hooligan und MMA-Kämpfer Timo K. Unter dem Pseudonym "Fritz" nahm er 2013 an der Veranstaltung "White Rex Pro – The Birth of a Nation" in Moskau teil. Noch ein Jahr zuvor bekundete er mit einem Banner im Dortmunder Westfalenstadion seine "Solidarität mit dem NWDO", der verbotenen Neonazi-Gruppe "Nationaler Widerstand Dortmund". Auch der "Nibelungen"-Veranstalter Alexander Deptolla war Teil dieser rechtsextremen Kameradschaft.
Neonazistische Kampfsport-Events wie den "Kampf der Nibelungen" hält Robert Claus für sehr gefährlich. Er sagt:
Viele der Kämpfer, die bei rechtsextremen Events in den Ring steigen, oder sich "auf dem Acker" mit anderen Hooligans prügeln, trainieren sonst in gänzlich unpolitischen Kampfsportstudios. Der Dortmunder Timo K. trat auch bei Wettkämpfen außerhalb der rechten Szene an. Berührungsängste mit rechtsextremen Kämpfern, oder gar eine strikte Distanzierung von ihnen, gibt es nur in Teilen der Kampfsport-Szene.
Dadurch gelingt es gewaltbereiten und international vernetzten rechtsextremen Hooligans, zu Vorbildern für junge Nachwuchs-Kampfsportler zu werden.
Es wird spannend sein zu sehen, ob sie auch die Weltmeisterschaft in Russland als Bühne nutzen wollen. Ausreichend vernetzt dafür sind sie.
(Mitarbeit: Toni Lukic)