Die Bilder von einem Neonazi-Festival im thüringischen Themar haben im vergangenen Jahr schockiert: Hitlergrüße, Sieg-Heil-Rufe und volksverhetzende Botschaften auf den T-Shirts von Besuchern.
Am vergangenen Wochenende gab es dann erneut ein Neonazi-Festival, diesmal in der sächsischen Kleinstadt Ostritz, nur durch den Grenzfluss Neiße vom benachbarten Polen getrennt. Wieder musste die Polizei wegen verbotenen Symbolen auf T-Shirts eingreifen. Und wieder war das Festival nicht etwa als kommerzielle Veranstaltung angemeldet, wie "Rock am Ring" oder "Wacken", sondern als politische Versammlung.
Diese Fragen beantwortet Jan Raabe. Der Sozialpädagoge, Autor und Rechtsrockexperte, arbeitet unter anderem für den Bielefelder Verein "Argumente & Kultur gegen rechts", wo er die rechtsextreme Szene beobachtet und analysiert.
Zumindest die großen Neonazi-Festivals scheinen sich in der vergangenen Zeit zu häufen. Wie viele rechtsextreme Konzerte gab es in den vergangenen Jahren in Deutschland?
Es gab im letzten Jahr mindestens 300 Veranstaltungen der
extremen Rechten, bei denen Musik eine wichtige Rolle gespielt hat. Das sind
teilweise kleinere Kameradschaftsabende, wo nur einer zur Gitarre greift, das
sind aber auch richtige Konzerte. Festivals mit Zeltplatz und Rahmenprogramm
wie am vergangenen Wochenende gab es jedoch bislang fast keine. Es gab schon mal
Versuche, etwa von der NPD-Zeitung "Deutsche Stimme", so etwas zu etablieren;
aber das richtige Musikfestivals von Neonazis veranstaltet werden, ist
eigentlich eine neuere Entwicklung.
Worum geht es den Veranstaltern dieser Konzerte und Festivals?
Es geht zum einen darum, der Szene einen Raum für gemeinschaftliche Erlebnisse und zur ideologischen Selbstvergewisserung zu bieten. Das heißt, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammenkommen und das Gefühl bekommen: "Wir sind viele!" Und das nicht nur im Internet, sondern lebendig und mit 'nem Bier in der Hand – und wenn es hart auf hart kommt, auch mit dem erhobenen Arm zum Hitlergruß.
Wie finanziert sich die Szene?
Mit so einem Festival werden natürlich Einnahmen gemacht.
Unserer Einschätzung nach bleibt auch nach den Ausgaben einiges hängen. Wie
hoch die Einnahmen sind, lässt sich von außen schwer einschätzen, aber bei
derart großen Festivals rechnet man damit, dass mehrere zehntausend Euro
übrig bleiben könnten.
Wohin fließen die Einnahmen aus solchen Konzerten und Festivals?
Das
meiste wird bei den Veranstaltern hängen bleiben. Was sich erstmal harmlos
anhört, ist es aber gar nicht. Denn diese Veranstalter sind
knallharte Neonazis, die durch diese Gewinne die Möglichkeit haben, zu
Vollzeitpolitikern zu werden und nicht mehr finanziell abhängig zu sein.
Es gibt außerdem auch Fälle, wo deutlich geworden ist, dass
von solchen Einnahmen zum Beispiel Musikanlagen für Demonstrationen gekauft
wurden, oder Gelder in extrem rechte Organisationen geflossen sind.
Gibt es Hinweise, dass durch die Konzerteinnahmen auch illegale oder gar rechtsterroristische Aktivitäten finanziert werden?
Finanzen sind hier meines Erachtens nicht das zentrale Thema, wichtiger ist, dass sich bei solchen Konzerten eine Szene bildet, aus der heraus rechtsterroristische Aktivitäten erst entstehen können. Spenden-Aktionen für "verfolgte Kameradinnen und Kameraden" gibt es auch immer wieder. Aber das wird dann nicht offen kommuniziert und als Sammlung für den Rechtsterror propagiert.
In Ostritz ist auch die "Combat 18"-Band Oidoxie aufgetreten. Sind diese Strukturen aus Rechtsrock und Rechtsterrorismus in Deutschland immer noch aktiv?
Wir erleben in den letzten Jahren sogar einen Neuaufbau der
alten europaweiten "Combat 18"-Strukturen. Da ist ein Wiedererstarken einer Szene
zu beobachten, die in ihren Liedtexten und auch in ihren politischen Konzepten
auf Rechtsterrorismus setzt.
Da versammeln sich also Rechtsextreme mit Verbindungen in terroristische Kreise und scheffeln dadurch Geld für ihre Szene. Warum kann sowas als politische Versammlung angemeldet werden? Und warum wird das nicht verboten?
Soweit ich das wahrgenommen habe, hat es gar keine Versuche
gegeben, das Festival zu verbieten. Das hat mich etwas überrascht. Ich hätte
mir nämlich durchaus vorstellen können, dass ein Verbot bei einer vernünftig
gemachten Gefahrenprognose, die die Erfahrungen mit den letzten Veranstaltungen
zusammenfasst, erfolgreich gewesen wäre. Wenn man etwa an die Bilder aus Themar
denkt, wo mindestens Dutzende, wenn nicht Hunderte Teilnehmerinnen und
Teilnehmer den Arm hochreißen und Heil brüllen.
Da gibt es insgesamt mehrere Erfahrungen die zeigen, dass solche Großveranstaltungen strafrechtlich hochgradig problematisch werden – erst recht am 20. April (dem Geburtstag Adolf Hitlers [Anmerkung der Redaktion]). Davon hätte man meines Erachtens auch Richterinnen und Richter überzeugen können.
Letztendlich wurden in Ostritz dann ja auch T-Shirts der Security beschlagnahmt, mit dem verbotenen Abzeichen einer SS-Divison darauf. Diese T-Shirts sind schon seit Jahren auf den von Thorsten Heise (Organisator des Festival im sächsischen Ostritz [Anmerkung der Redaktion]) organisierten "Eichsfeldtagen" zu sehen.
Und trotzdem brauchte es offenbar Hinweise von Journalisten und den Druck von Aktivisten auf Twitter, bevor die Polizei gegen die T-Shirts einschritt…
Genau. Man könnte böserweise sagen, dass sich immer wieder
zeigt, dass die Polizei 'zum Jagen getragen' werden muss.
Ist das ein spezifisches Problem der sächsischen Polizei, oder bundesweit zu beobachten?
Es gibt zum einen sowas wie eine Landeskultur, es hängt aber
auch von einzelnen Beamten und Beamtinnen ab, die über sehr unterschiedliche
Kompetenzen verfügen und ganz anders agieren. Das ist darum schwer zu
generalisieren. Wenn man aber Brandenburg zum Beispiel mit Sachsen vergleicht,
dann fällt auf, dass die brandenburgische Polizei sehr viel Wert darauf legt,
den Rechtsrock auszuwerten und sich praktisch mit dem Thema zu beschäftigen.
Sachsen, soweit ich das beurteilen kann, eher nicht.