Caroline Rosales war vier Jahre für den Verlag Springer tätig. Bei "Lanz" erzählt sie, was sie dabei erlebt hat. ZDF/Screenshot
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Journalistin packt bei "Lanz" aus – auch sie wurde Opfer des Machtmissbrauchs bei Springer
22.10.2021, 12:47
Deana Mrkaja
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Seit Montag ist es nun bekannt: Der Ex-Chefredakteur der auflagenstärksten Zeitung Deutschlands, Julian Reichelt, wurde von seinen Aufgaben entbunden. Obwohl dem 41-Jährigen bereits vor Monaten schwere Vorwürfe des Machtmissbrauchs gemacht wurden, holte ihn der Vorstand von Axel Springer nach zwölf Tagen zurück. Nachdem am vergangenem Sonntag nun auch die "New York Times" über den Fall berichtete, sah sich Springer gezwungen, Konsequenzen zu ziehen.
Die Journalistin Caroline Rosales kennt den Verlag und die "Bild"-Zeitung sehr gut – auch sie war vier Jahre für den Verlag tätig. Stellvertretend für andere Opfer, die aus Angst nicht reden wollen, erzählt sie am Donnerstagabend bei "Markus Lanz" von ihren Erlebnissen bei Springer. Und eines wird dabei klar: In zehn Jahren hat sich nichts geändert.
Die Gäste bei "Lanz" (v.l.n.r.): Michael Müller, Melanie Amann, Caroline Rosales, Daniel Drepper und Hajo Schumacher.ZDF/Screenshot
Für Melanie Amann ist die Lage ganz klar: Bei der Reichelt-Affäre geht es um Machtmissbrauch zwischen jungen Frauen und dem mächtigsten Boulevardjournalisten Deutschlands. Sie beschreibt die Zustände bei der "Bild" wie an einem "mittelalterlichen Hof". Dabei soll der ehemalige Kriegskorrespondent seine Macht ausgenutzt haben, um Beziehungen und Affären mit jungen Volontärinnen und Praktikantinnen einzugehen. Da sich diese jungen Frauen "noch bewähren mussten in ihrem Job", waren sie in besonderer Weise von ihm abhängig, sagt die "Spiegel"-Redakteurin.
Melanie Amann beschreibt die Zustände bei "Bild" wie an einem mittelalterlichen Hof. ZDF/Screenshot
Journalistin steigt hochschwanger ins Auto, um ihre Geschichte zu erzählen
Rosales nickt, während Amann die Lage beschreibt. Sie selbst habe auch vier Jahre für Springer gearbeitet. Die 39-Jährige wäre eigentlich gerade noch auf der Frankfurter Buchmesse, um ihr neues Buch vorzustellen, doch folgte der Einladung von Moderator Markus Lanz, damit der Stuhl nicht "leer bleibt". Welchen Stuhl sie meint, macht sie dabei sehr deutlich. Rosales sagt, dass viele Betroffene aus Angst nicht reden würden. Da sie aber nicht wolle, dass wieder nur über die Opfer geredet wird, anstatt dass sie selbst zu Wort kommen, habe sie sich hochschwanger ins Auto gesetzt, um von ihren Erfahrungen zu berichten.
Nachdem das erste Compliance-Verfahren gegen Reichelt eingestellt wurde, hätte Ruhe in den Fall einkehren können. Nicht jedoch für das Team um Daniel Drepper. Der Investigativ-Redakteur machte weiter, weil viele, die das Verfahren selbst betroffen habe, die selbst in der Redaktion arbeiten, nicht zufrieden waren mit den Ergebnissen. Es habe ein "ganz krasses Machtgefälle" gegeben in den Beziehungen, die der Ex-Chefredakteur zu einigen Mitarbeiterinnen hatte. Viele Frauen hätten keinen Ausweg gefunden, weil sie nicht wussten, was sie machen sollten, da Reichelt über alles bestimmt habe.
Daniel Drepper hat mit seinem Team die Geschichten um Julian Reichelt aufgedeckt. ZDF/Screenshot
Frauen wurden danach bewertet, ob sie es "wert waren, drangenommen zu werden"
Reichelt habe manche Frauen befördert, manche dann aber auch wieder fallen gelassen. "Da waren Leute dabei, die hatten Angst um ihre Existenz", erklärt Amann. Dann erzählt sie von einer schockierenden Kategorie, nach der Frauen bewertet wurden: War jemand "fuckable" oder nicht. "Was genau ist damit gemeint?", hakt Lanz nach. "Es ging um die Frage, ob sie es wert sind, drangenommen zu werden. In dieser Kategorien wurden Leute bewertet."
"Vor zehn Jahren hieß das Dienstag", kommentiert Rosales und meint damit, dass es ein ganz normaler Tag bei Springer war. "Es hat sich in zehn Jahren nichts verändert. Das ist ein riesiges, strukturelles Problem!" Die Autorin beschwert sich zudem auch darüber, dass es bei keiner Presserklärung eine Entschuldigung oder Ähnliches gegeben habe. Als sie sich damals beim Verlag bewarb und beim Vorstellunsgespräch mit ihrer Mappe an Artikeln da saß, wurden diese nicht beachtet: "Ich wurde wegen meines Aussehens eingestellt."
Rosales beschreibt "beklemmendes Arbeitsklima"
Die "Zeit-Online"-Redakteurin beschreibt dann, was sie dort in ihren vier Jahren erlebt habe. Sie spricht von einem "beklemmenden und unangenehmen Arbeitsklima" und darüber, dass sie unangebrachte SMS und E-Mails von Kollegen, teilweise auch verheiratet, und Vorgesetzten erhalten habe. "Damit ist man irgendwie klargekommen oder man konnte gehen", beschreibt Rosales, "es galt als Normalität." Wenn man nicht mitgemacht habe, wurden die Texte schnell schlecht geredet und es hieß, die Kollegin könne sowieso nichts. Sie beschreibt eine Szene, wo sie an einem Freitag um 13 Uhr von einem älteren Kollegen gesagt bekam: "So, wir gehen jetzt essen!" "Man wollte sich mit jungen Kolleginnen zeigen", sagt sie.
Caroline Rosales hat auch Machtmissbrauchsfälle bei Springer erlebt. ZDF/Screenshot
Hajo Schumacher, der aus der Berliner Medienwelt nicht wegzudenken ist, outet sich auch als "Arschloch", wie er es selbst beschreibt. Vor 20 Jahren war er für zwei Jahre Chefredakteur einer Zeitschrift. Kürzlich habe er einen Podcast mit einer Kollegin aufgenommen, die damals auch für ihn gearbeitet habe. Sie soll zu ihm gesagt haben: "Hajo, das wollte ich dir schon vor 20 Jahren sagen, aber du warst ein ganz schönes Arschloch damals!"
Wenn Frauen beispielsweise Dinge in Konferenzen äußerten, soll mit den Augen gerollt worden sein. Ebenso soll manch ein Spruch zu Hormonen gefallen sein. "Damals gab es dieses Gefälle, dieses Top-Down, das war nicht auf Augenhöhe", ordnet der Publizist das damalige Verhalten männlicher Kollegen ein. "Wir Männer müssen kapieren, dass das nicht in Ordnung ist. Und wir brauchen Frauen, die uns das sagen."
Hajo Schumacher ist der Meinung, dass Männer noch einiges dazulernen müssen. ZDF/Screenshot
Bei einer weiteren Sache sind sich die Gäste an diesem Abend bei "Lanz" einig: Die Reaktion von Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzender von Springer, war nicht in in Ordnung. Von Empathie keine Spur und auch nach einer Entschuldigung muss man suchen. Für Rosales sind die Schlüsse, die Döpfner schließt, so "grotesk falsch". Er redet die Vorfälle klein und versucht, die Geschichten so zu verkaufen, dass die Beziehungen in beiderseitigem Einvernehmen geschehen seien. Dabei würde er das Thema des Machtmissbrauchs einfach ignorieren. "Da fehlen mir echt die Worte. Das ist so eine toxische Unternehmenskultur."
In der Videobotschaft, die der Vorstandsvorsitzende veröffentlichte, würden Frauen "gar keine Rolle spielen", merkt Drepper an. Auch deshalb sei es so schwierig mit den betroffenen Frauen zu reden. Die hätten zu große Angst. Manche hätten die Stadt verlassen, damit sie nicht weiter befragt werden können. Drepper glaubt, dass der Vorstand da bereits Druck auf die Mitarbeiterinnen ausgeübt habe. In dem Video, wo man Döpfner locker gekleidet sieht, und das er augenscheinlich mit dem Handy aufgenommen hat, spricht er zudem von einer "einseitigen Berichterstattung der 'New York Times'". Auch das lasse darauf schließen, wie wenig ernst er das Thema nehme. Amann geht sogar so weit zu sagen, das Video sehe aus, als habe er für seine Oma ein Geburtstagsvideo aufnehmen wollen.
Für Rosales ist die Unternehmenskultur bei "Bild" einmalig – nicht in einer guten Weise. Sie habe so etwas höchstens in abgedämpfter Version nochmal erlebt, jedoch nirgends mit der "Intensität" wie hier. Sie habe 1,5 Jahre ein "ungutes Verhältnis" zu einem Vorgesetzen gehabt. Sie habe auch nicht gewusst, wie sie da rauskomme, sagt die heute 39-Jährige. Sie habe vor allem versucht, kein "Ego zu verletzen", beschreibt Rosales. Sie ärgert es, dass dieses Thema eigentlich schon lange auf dem Tisch liege. Sie selbst habe in einem Buch darüber geschrieben. Allerdings sei es nicht "fancy" genug gewesen, darüber zu berichten bis zum Fall Reichelt.
"Spiegel"-Redakteurin schimpft über Michael Müller: "Ich bin empört!"
Am Ende der Sendung kommt der noch Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, zu Wort. Der SPD-Politiker wechselt nun in den Bundestag und wünscht sich vor allem einen Posten im Wissenschaftsressort. Lanz schlägt das Bildungsministerium vor. Amann ist da jedoch strikt dagegen und wirft von der Seite ein: "Als Berliner Bürgerin bin ich empört. Sie haben keinen Ministerposten verdient!"
Sie schlägt ihm eher vor, ein Forschungsprojekt dazu zu machen, wie man Berlin wieder "flott kriegt". Müller zeigt sich sichtlich genervt von dem "Gemecker über Berlin". Er findet, in seiner Stadt sei auch in den vergangenen Jahren vieles gut gelaufen. Dass es bei der vergangenen Wahl Pannen gab, redet der Regierende Bürgermeister jedoch etwas klein. Für ihn ist das Problem kleiner, als es dargestellt würde. Schumacher jedoch findet, dass in einer Demokratie Wahlen "verdammt nochmal sauber durchzuführen" sind.
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