Im Sommer noch schien die Lage entspannt – und die Pandemie weit weg. Doch seit dem Herbst steigen die Corona-Zahlen und mittlerweile auch wieder exponentiell. Das fällt in eine Zeit, wo die eine Regierung nur noch geschäftsführend handelt und die andere die Ämter noch nicht besetzt hat. Welche Auswirkungen das auf die gesamte Lage im Land hat, wurde am Donnerstagabend bei "Markus Lanz" diskutiert. Dabei schlug besonders die stellvertretende Vorsitzende des Ethikrates Alarm: "Jeder Tag, den wir noch warten, kostet Menschenleben!"
Ein Wort taucht in dem neuen Koalitionsvertrag, der am vergangenen Dienstag von der neuen Ampel-Regierung vorgestellt wurde, nicht auf: Intensivstation. Das äußert Robin Alexander, Journalist bei der "Welt". "Das ist schon bemerkenswert", sagt er in Bezug auf die derzeitige Lage in Deutschland. Man habe von dem designierten Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet, dass er eine Ansage macht, wie man es von der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel gewohnt war, doch nichts passierte.
Ähnlich sieht es auch Noch-Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). Die Übergangsphase von einer Regierung zur anderen sei "eine extrem unbefriedigende Phase". Eigentlich müsste nun exekutiv gehandelt werden, jedoch gäbe es keine Mehrheiten mehr im Parlament. An der Stelle hakt Moderator Markus Lanz direkt ein und möchte vom Bremer Bürgermeister (SPD) wissen, warum die SPD, der nun das Gesundheitsministerium zugetragen wurde, es nicht geschafft hat, einen Gesundheitsminister zu benennen – vor allem in Anbetracht der Lage.
Andreas Bovenschulte sagt dazu nur, dass man alle Posten gemeinsam präsentieren wolle und dass das jetzt nicht der Grund für die Krise sei. Lanz fragt erneut nach: "Warum haben wir keinen Gesundheitsminister?" "Wir haben doch noch einen, der im Amt ist", antwortet Bovenschulte. Nüchtern erklärt der SPD-Politiker, es gebe bei solchen Regierungsübergängen eben "administrative Probleme".
Der Journalist Alexander hat Insider-News: Er behauptet, er wisse, dass es ein Treffen zwischen den Ampel-Koalitionären und Merkel gegeben habe. Das Kanzleramt habe die neue Regierung zu sich bestellt, um über die Lage in den Krankenhäusern zu sprechen. Bei dem Gespräch sollen die Politiker nicht einer Meinung gewesen sein, was weitere mögliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie betrifft. Ob Braun auch bei dem Treffen dabei war, will Lanz von ihm wissen. "Selbstverständlich", sagt dieser. Der Kanzleramtschef macht deutlich, wie ernst die Lage wirklich in den Krankenhäusern ist.
Der CDU-Politiker ist der Meinung, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen werden und macht das auch in der Sendung mehrfach deutlich. Er will das nicht "parteipolitisch" lösen, sondern wünscht sich einen "sauberen Übergang".
Susanne Schreiber ist Biophysikerin und "versteht auch was von Zahlen", wie Lanz sie beschreibt. Die stellvertretende Vorsitzende des Ethikrates sieht die Lage als "sehr kritisch" an. Jetzt käme es vor allem auf die Zeit an. Sie macht es deutlich:
Sie wiederholt es noch einmal: "Jeder Tag, den wir warten, kostet Menschenleben." Bovenschulte sieht jedoch die Verantwortung nicht allein in einer bundeseinheitlichen Koordination, sondern nimmt vor allem die Bundesländer in die Pflicht. Seiner Meinung nach müssten dort erst einmal alle bestehenden Regeln auch wirklich umgesetzt werden.
Dann packt der Moderator ein Papier aus NRW vom 10. November 2021 aus, auf dem es heißt, das "Schunkeln ohne Maske" sei erlaubt. Er blickt zu Schreiber und fragt sie: "Was denken Sie, wenn Sie so etwas hören?" "Das ist gruselig!", sagt die Physikerin. "Ich leide mit den Menschen, die in Krankenhäusern arbeiten. Wie verkraften die das mental, wenn die sehen, wie wir damit umgehen? Wir erwarten, dass sie unser Leben retten, uns interessiert aber nicht, was wir ihnen da zumuten. Wir müssen jetzt handeln. Wenn die Modellierer sagen, wir brauchen weitere Maßnahmen, dann können wir das nicht ignorieren. Die Regierung muss ihrer Verantwortung gerecht werden."
Braun spricht sich dafür aus, die Kontakte um 70 Prozent zu reduzieren. Lanz versucht ihm immer wieder das Wort "Lockdown" in den Mund zu legen, bis dieser sagt, dass er das Wort nicht verwende, weil es zu "unspezifisch" sei. Dies könne schließlich alles Mögliche bedeuten. Er redet vielmehr davon, den Freizeitbereich einzuschränken. Alexander hingegen kann nicht vom Gesundheitsminister lassen und fragt ganz direkt nach, warum man nicht einfach Karl Lauterbach, der während der vergangenen zwei Jahre als Gesundheitsexperte wirkte, ins Amt berufe.
"Das Personaltableau wird gemeinsam vorgestellt", gibt Bovenschulte nüchtern zu verstehen. Er findet, das mache keine Unterschied. "Stopp", ruft Lanz rein. Ob man heute oder erst in zehn Tagen erfahre, wer der neue Gesundheitsminister wird, sei sehr wohl wichtig. Doch der SPD-Politiker schweigt wie ein Grab und möchte dazu keine Stellung beziehen. Man solle dazu den nächsten Bundeskanzler fragen.
Am Ende dieser Diskussion prangert Schreiber ein Problem an, dass in den vergangenen zwei Jahren schon häufig in Zusammenhang mit der Pandemie aufkam: Sie fragt nach einer Langzeitstrategie. Wenn wir so weitermachen wie bisher, würden auch die Orte, wo die Zahlen noch nicht so hoch sind, auch an "ihre Grenzen" kommen.
Auch Braun kritisiert, dass der Absatz zur "größten Krise unseres Landes" im Koalitionsvertrag sehr klein ist: "Das ist einfach ein Problem." Er möchte, dass wieder ein bundeseinheitliches Gesetzt eingeführt wird, das genau regelt, ab welcher Inzidenz was passieren soll.
Aus ethischer Sicht, wie schaue man da auf eine Impfpflicht, möchte Lanz von der Biophysikerin wissen. Vor einigen Monaten noch hätte sich der große Teil des Rates gegen eine solche Pflicht ausgesprochen. Jedoch sei die Lage damals eine andere gewesen. Man habe angenommen, dass sich viel mehr Menschen impfen lassen würden, und auch die Delta-Variante, die sehr viel infektiöser ist, habe es noch nicht gegeben. Jetzt würde im Ethikrat anders darüber gesprochen werden. Doch statt eines Impfzwangs solle es lieber attraktiver werden, geimpft als ungeimpft zu sein. Das gehe über bestimmte Maßnahmen. Eine Idee wäre auch, die über 60-Jährigen mit einer Pflicht zu versehen. Sie wird noch einmal deutlich:
Bremen hingegen hat es geschafft, die Gesamt-Impfquote auf mehr als 80 Prozent zu bringen. Durch eine breit angelegte Kampagne habe die Regierung dort so viele Menschen erreicht, erklärt Buvenschulte. Man sei mit mobilen Impfteams auch in Quartiere gefahren, wo Menschen nicht gut Deutsch sprechen oder auch auf engem Raum wohnen.
Gegen Ende der Sendung macht der Kanzleramtschef noch einmal deutlich, dass er bereits im August vor einer schweren Lage gewarnt habe. Zwar wurde damals beschlossen, von nun an auf die Hospitalisierungsrate zu schauen, jedoch wurden keine Grenzen festgelegt. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler, sagt Braun.
Außerdem will der CDU-Politiker Chef seiner Partei werden. Die CDU sei die "Partei der Fleißigen" im Land – das hätten nur die Wähler nicht erkannt. Was er besser könne als Friedrich Merz, möchte Lanz wissen. Doch Braun lässt sich auf diese Diskussion gar nicht ein und sagt, dass man die "Gegner nicht in der eigenen Partei sucht". Er möchte die CDU zu einer modernen Volkspartei machen und sich Themen wie die Digitalisierung auf die Fahne schreiben. "Und im Gesundheitsamt faxen Sie sich die Sachen?", provoziert Lanz. "Die haben massiv ausgebaut", sagt Braun und erwähnt Projekte, die er mit angeschoben hat in der Vergangenheit. "Wollen Sie der Mark Zuckerberg der CDU werden?" "Nein, ganz garantiert nicht."