Eigentlich widmet sich Sandra Maischberger den Themen der Woche. In dieser Woche gibt es für die Moderatorin aber nur ein einziges Thema: Die Entwicklung in Afghanistan, nachdem die Taliban die Macht übernommen haben. Das diskutiert sie mit folgenden Gästen:
Maischbergers drei Kommentatoren führen erst einmal ins Thema ein. ZDF-Journalist Theo Koll findet, "dass der Westen versagt hat". "Der Plan, ein System aufzubauen, das unserem ähnelt, ist brachial gescheitert. Uns wird vor Augen geführt, dass die westlichen Werte nicht überall die Attraktivität haben, die wir glauben." Aber Afghanistan sei eben auch ein Land, "das viele Großmächte nicht verstanden haben". Von deutscher Seite schockiert ihn vor allem der Umgang mit den Ortskräften.
Für Welt-Chefreporterin Anna Schneider ist das Grundübel der Abzug der amerikanischen Truppen. Von Donald Trump beschlossen, von Joe Biden nicht revidiert, sondern durchgeführt mit fatalem weltpolitischem Ausgang: "Amerika hat sich so ins Aus geschossen, dass ich mich frage, was Joe Bidens Strategie ist."
Spiegel-Journalist Markus Feldenkirchen lenkt die Aufmerksamket dann nochmal auf die Frage, wie es zur absoluten Fehleinschätzung der Lage in der deutschen Politik kommen konnte: "Ich frage mich: Was machen Sicherheitsdienste eigentlich beruflich?" Sich nicht um die Sicherheit der Ortskräfte gekümmert zu haben, sei "organisierte Verantwortungslosigkeit".
Die afghanische Ethnologin Shikiba Babori hat jüngst mit einigen Menschen in Afghanistan telefoniert und erzählt: "Die fühlen sich von allen Seiten missbraucht und werden nun in einer Situation, wo es brennt wieder allein gelassen." Dass den Afghanen nun zum Teil nachgesagt wird, sie hätten sich nicht genug gegen die Taliban gewehrt, ärgert sie. "Wie oft haben die Taliban gedroht, ihnen die Finger abzuhacken und sie sind trotzdem zu Wahlen gegangen." Dass sich die Taliban derzeit etwas toleranter geben als noch vor 20 Jahren hält sie für reine "Lippenbekenntnisse".
Das sieht der Bundeswehrsoldat Marcus Grotian ähnlich. Er organisiert das "Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte", etwa für afghanische Übersetzer, die für die Bundeswehr gearbeitet haben. Schon seit April hätten sie auf eine Aufnahmeregelung für die Ortskräfte gedrängt, anstatt an starren Regularien festzuhalten, was Fristen und Bestimmungen angeht.
Sein Verein hat bis diese Woche sogenannte Safe Houses in Kabul betrieben, in denen Ortskräfte Zuflucht finden konnten. Allerdings mussten sie die jetzt auflösen, weil es zu gefährlich wurde. "Es war fünf vor zwölf. Zwei Stunden später stand ein Taliban vor einem der Häuser und hat die Leute gesucht." Woher die Taliban von den Menschen in den Safe Houses wüssten, will Maischberger wissen. Grotians erschütternde Antwort: Die Taliban fragen Kinder aus, wer Kontakt zu Ausländern hatte. Wenn es nun heißt, die Taliban seien nicht mehr so schlimm, antwortet er bitter-ironisch: "Ich hatte den Eindruck, wir wollten raus aus dem Land – wenn es nicht so schlimm ist, können wir die Botschaft ja auch wieder zurückbringen."
In den vergangenen Tagen hat der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen die Bundesregierung vergleichsweise scharf kritisiert wegen der verpassten Möglichkeiten zur Rettung von Menschen aus Afghanistan. Die Bundestagsfraktion der Grünen hatte aber bereits im Juni einen Antrag eingereicht, der die "großzügige Aufnahme afghanischer Ortskräfte" forderte. Von der Regierungskoalition werden Anträge von der Opposition routinemäßig abgelehnt. So auch dieser. Maischberger fragt den Abgeordneten Röttgen, ob er auch dagegen gestimmt habe. Nach kurzem Ausweichmanöver gibt er es zu. Seine kuriose Begründung:
Maischberger und Gysi staunen. Gysi belehrt Röttgen: "Ich darf darauf hinweisen, dass wir eine parlamentarische Demokratie sind." Eine Regierung, die sich gegen einen Beschluss gestellt hätte, hätte die Demokratie verletzt, so Gysi. Aber das sieht Röttgen weiterhin anders. Zumindest was die Auswirkung in der Realität angeht.
Die beiden sind sowieso oft gegensätzlicher Meinung: Röttgen hätte den Einsatz am liebsten verlängert. "Afghanistan war noch nicht so weit. Wir haben das Land im Stich gelassen, wir haben die Menschen im Stich gelassen.“
Gysi war gegen den Einsatz, von Anfang an. "Es hat keinen Sinn mit militärischen Mitteln, Afghanistan umstülpen zu wollen." Auch in zwanzig weiteren Jahren wäre nach einem Abzug der Truppen das Ergebnis dasselbe wie jetzt, ist sich Gysi sicher. "Wir können nicht ewig besetzen." Er setzt auf "Wandel durch Annäherung", wie es der Westen mit der DDR betrieben habe. Also zum Beispiel Schulen finanzieren unter der Maßgabe, dass diese auch von Mädchen besucht werden dürfen. "Also ich muss schon sagen – Wandel durch die Annäherung mit den Taliban – das kann ich als Argument nicht akzeptieren", empört sich Röttgen.
Doch Gysi ist in Fahrt und stellt gleich noch Forderungen auf: "Eigentlich müsste die Regierung zurücktreten", und auch wenn er sich sicher ist, dass sie das nicht tun wird, hofft er auf "Konsequenz bei den Wahlen". Und da platzt Röttgen der Kragen: Das sei Parteipolitik und in dieser Situation "abstoßend".