Putin soll präsent wirken, obwohl er nicht arbeitet – Fake-Videos des Kreml fliegen auf
Auf den offiziellen Kanälen des Kreml wirkt es immer, als wäre Wladimir Putin höchst beschäftigt. Wenn der russische Präsident im Fernsehen Akten durchblättert oder mit Gouverneuren spricht, soll das ein Signal an die Öffentlichkeit senden: Der Kreml-Machthaber arbeitet, immer. Doch nicht jedes Video ist authentisch.
Recherchen des investigativen Projekts "Sistema" legen laut dem unabhängigen, russischen Exilmedium "Meduza" nahe: Der Kreml veröffentlicht regelmäßig vorproduzierte Videos mit Putin und verkauft sie als Echtzeit-Termine.
Solche Clips werden in Russland "Konserven" genannt. Laut den Journalist:innen passiert das immer dann, wenn Putin tatsächlich gar nicht öffentlich auftritt. Ähnliche Fälle hatten russische Journalist:innen bereits im vergangenen Jahr dokumentiert – damals schrieb die Investigativreporterin Farida Rustamowa, die Praxis habe "eine neue Dimension angenommen". Nun häufen sich erneut Beispiele.
Putins Timing: Fake-Video erscheint genau an Geburtstag von Kabajewa
Nach Angaben von "Meduza" mit Berufung auf "Sistema" wurden mindestens zehn solcher Videos allein in den Monaten April, Mai und ab Mitte August 2025 entdeckt. Die Recherche stützt sich auf Details im Arbeitszimmer Putins im Kreml: etwa Bücherregale und Stiftebecher, deren Inhalt zwischen den Auftritten sichtbar variiert.
Als Journalist:innen die Bücherordnung und die Schreibutensilien verglichen, fiel auf: Einige Bücher standen tagelang exakt gleich, verschwanden dann oder wechselten die Position – nur um später wieder millimetergenau wie zuvor aufzutauchen.
Besonders auffällig: Die angeblich aktuellen Videos sollen gezielt an Tagen veröffentlicht worden sein, an denen Putin sonst nicht in Erscheinung trat. Etwa am 12. Mai, als Putin angeblich offiziell den Gouverneur der Region Iwanowo empfing.
An diesem Tag feierte Alina Kabajewa – die Frau, die seit Jahren als enge Vertraute Putins gilt – ihren 42. Geburtstag. Wie "Meduza" berichtet, wird Kabajewa wiederholt als mögliche Partnerin und Mutter seiner Kinder beschrieben; der Kreml bestreitet das vehement. Die Journalist:innen glauben nicht, dass es sich um einen Zufall handelt, dass ein solches Fake-Video genau an diesem Tag auftaucht.
Outfits, Armbänder, Ohrringe: Details verraten Fake des Kreml
In neuen Fällen fiel außerdem auf: Staatsbeamte tauchen an Veröffentlichungstagen in exakt denselben Outfits auf, in denen sie im Video mit Putin zu sehen sind. Das legt nahe, dass ihnen vorgegeben wird, dieselbe Kleidung erneut zu tragen. So soll die Illusion eines aktuellen Termins erzeugt werden. Doch offenbar halten sich nicht alle fehlerfrei daran.
Ein Beispiel ist Swetlana Tschupschewa, die Chefin der Agentur für strategische Initiativen. Sie soll laut "Meduza" zweimal an solchen Aufzeichnungen beteiligt gewesen sein: im Frühjahr und im Herbst 2025. Dabei trägt sie in allen Clips denselben schwarzen Blazer mit goldenen Knöpfen.
Offiziell fanden an einem Tag drei Termine statt: Treffen mit Putin, Sitzung der Regierung, Vertragsunterzeichnung. Doch die Bücher im Hintergrund und ihre Accessoires sprechen dagegen. Denn: "Ihre Ohrringe verrieten die 'Konserve': In den Kreml kam sie mit einem Paar, bei den anderen Terminen trug sie andere", heißt es in dem Bericht.
Ähnlich war es bei Swetlana Radionowa, der Chefin der russischen Umweltaufsicht. Sie trägt ein Armband im Putin-Video. Bei der vermeintlich gleichen Kleidung am Tag der Veröffentlichung trägt sie plötzlich Uhr und Ring statt Armband.
Noch ein Indiz: Ein Sammelband mit Fallschirmjäger-Gedichten taucht erst ab August 2025 in Putins Regal auf. Ein Treffen mit Radionowa, das offiziell im Oktober stattfand, zeigt jedoch ein Regal ohne dieses Buch. Laut dem "Meduza"-Bericht wurde das Video daher wahrscheinlich spätestens im September aufgenommen.
Sogar Vizepremier Dmitri Grigorjenko, der alles richtig gemacht haben soll – er trug den gleichen Anzug und die gleiche Uhr – konnte die mutmaßliche "Konserve" nicht verschleiern. Denn auch hier fehlte das besagte Militär-Gedichtbuch im Hintergrund.
Fake-Videos zur Verschleierung: Was hinter den "Konserven" steckt
Der Kreml beantwortete laut "Meduza" keine Fragen zum Thema. Die Methode selbst ist nicht neu und laut Expert:innen strategisch motiviert: Sie soll vermitteln, dass Putin stetig arbeitet, selbst an Tagen, an denen er offenbar gar nicht sichtbar ist.
Denn Präsenz ist Macht – besonders in autoritären Systemen. Und ein Präsident, der nicht erscheint, könnte Fragen auslösen: Wo ist er? Warum tritt er nicht auf? Für die russische Staatspropaganda wäre das brandgefährlich. Die Antwort darauf könnten ebendiese gefälschten Clips sein.
