Seit Wochen gehen Menschen, vor allem Frauen, im Iran auf die Straßen und demonstrieren für Selbstbestimmung. Das Regime reagiert mit Gewalt.Bild: AP
Analyse
14.10.2022, 08:1314.10.2022, 10:19
Im Iran riskieren Protestierende für ihre Forderungen nach Freiheit und Selbstbestimmung ihr Leben. Aus Deutschland kommen Solidaritätsbekundungen. Bei Kundgebungen und Demos auf der Straße. Aber auch vonseiten der Politik: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock forderte Sanktionen gegenüber der Staatsführung.
Was sagen Vertreter der Parteien in Bezug auf die Proteste? Watson hat bei den außenpolitischen Sprechern der demokratischen Fraktionen im Bundestag nachgefragt.
Nils Schmid (SPD), außenpolitischer Sprecher
Nils Schmid ist außenpolitischer Sprecher der SPD.Bild: IMAGO / Future Image
Die SPD stehe solidarisch an der Seite der Protestierenden im Iran, sagt der außenpolitische Sprecher der Partei, Nils Schmid, gegenüber watson. Die Gewalt vonseiten des iranischen Staates verurteilt er: "Das Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte ist inakzeptabel."
Auf deutsche Initiative seien EU-Sanktionen vorbereitet worden – das sei ein richtiger Schritt.
Eine Forderung der SPD sei ein Abschiebestopp in den Iran, der deutschlandweit gelten solle. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte das ebenfalls gefordert. Umsetzen müssten den aber die Bundesländer.
Omid Nouripour (Grüne), Parteichef und außenpolitischer Sprecher
Parteichef Omid Nouripour (Grüne) ist außenpolitischer Sprecher und stammt aus dem Iran.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Außenpolitiker Omid Nouripour (Grüne) ist selbst in der iranischen Hauptstadt Teheran geboren. Seinen Standpunkt zu den aktuellen Protesten hat er jüngst bei einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor in Berlin kund getan.
Gegenüber watson sagt er:
"Wir zollen den feministischen Protesten unseren größten Respekt und versichern den mutigen iranischen Frauen und Männern unsere Unterstützung in ihrem Kampf um Freiheit."
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) habe bereits unmissverständlich klargemacht, "dass wir die Gängelung von Frauen und die Repression der Protestierenden aufs Schärfste verurteilen". Die Brutalität der Sicherheitskräfte werde Konsequenzen für das Regime haben müssen.
Er führt aus:
"Dazu gehören gezielte EU-Sanktionen, Einreisesperren und das Einfrieren von Vermögenswerten. Auch im Rahmen der UN und des UN-Menschenrechtsrats wird die Lage im Iran prioritär behandelt werden müssen."
Es sei außerdem selbstverständlich, "dass Abschiebungen in den Iran ausgesetzt werden", sagt Nouripour.
Bijan Djir-Sarai (FDP), Generalsekretär
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai stammt selbst aus dem Iran.Bild: www.imago-images.de / imago images
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai meint: "Im Iran ist eine Revolution im Gange, die Proteste gegen das Regime springen auf immer mehr Bevölkerungsgruppen über." Zuletzt hätten sich Mitarbeitende der Öl- und Gasindustrie den Demonstrationen angeschlossen, sagt Djir-Sarai im Gespräch mit watson.
Und er fügt an:
"Daran zeigt sich, dass die Forderungen der Frauenbewegung nach der Abschaffung der Islamischen Republik und der Achtung von Menschenrechten, Freiheit und Selbstbestimmung immer mehr Menschen mobilisieren."
Als Verfechterin dieser Werte müsse die europäische Staatengemeinschaft der iranischen Zivilgesellschaft zur Seite stehen. Europa dürfe "sich nicht auf eine verbale Verurteilung der eklatanten Menschenrechtsverletzungen des iranischen Regimes beschränken".
Der Politiker, der selbst aus dem Iran stammt, fordert personenbezogene Sanktionen gegen Vertreter des Regimes.
Möglich seien:
- Das Einfrieren von Vermögen
- Das Verhängen von Visa-Sperren
Darüber hinaus müsse die EU prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, um den freien Zugang zu Informationen im Iran zu unterstützen. Der Politiker schlägt den Aufbau einer VPN-Infrastruktur als eine mögliche unterstützende Maßnahme vor.
Mit Blick auf Gespräche zum aufgekündigten Atom-Deal meint Djir-Sarai:
"Außerdem sollte die EU die Verhandlungen mit dem Iran über das Atomabkommen nur dann fortführen, wenn gleichzeitig und gleichrangig über die äußerst problematische geopolitische Rolle des Iran und die dramatische Menschenrechtslage in dem Land gesprochen wird."
Damit fordert er, Menschenrechtsfragen die gleiche Bedeutung zukommen zu lassen, wie dem Atom-Abkommen. Dieses soll dafür Sorge tragen, dass der Iran keine Atomwaffen baut und sich an den Atomwaffensperrvertrag hält.
Jürgen Hardt (CDU), außenpolitischer Sprecher CDU/CSU-Fraktion
CDU-Politiker Jürgen Hardt ist außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion.Bild: www.imago-images.de / imago images
Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, ruft im Gespräch mit watson die Bundesregierung dazu auf, alles zu unternehmen, "um den Frauen im Iran politisch und auf diplomatischem Wege zu helfen".
Die Unterdrückung der Frauen durch die iranische Gesellschaft sei seit Jahrzehnten eine der größten systematischen Menschenrechtsverletzungen der Welt.
Hardt sagt weiter:
"Religiös motivierte Diskriminierungen von Frauen sind in der iranischen Verfassung angelegt. So werden Frauen im Iran beispielsweise bereits mit neun Jahren nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt, Männer erst mit 15 Jahren. Weibliche Zeugenaussagen vor Gericht zählen nur halb so viel wie Aussagen von Männern. Frauenrechtlerinnen, die sich gegen den diskriminierenden Kopftuchzwang engagieren, werden mit Peitschenhieben bestraft."
Das iranische Regime müsse "die Härte der internationalen Gemeinschaft spüren". Der Politiker fordert europaweite Sanktionen gegen alle Personen und Organe, die mit der Unterdrückung der aktuellen Proteste befasst seien.
Ähnlich wie Djir-Sarai fordert auch Hardt Bestimmungen zur Einreise und zum Vermögen von Regime-Vertretern: Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden müssten mit Einreisesperren und mit dem Einfrieren ihrer Vermögenswerte belegt werden. Rasche und gemeinsame Entscheidungen seitens der EU-Staaten seien nun entscheidend, um die Protestbewegung im Iran deutlich besser als bislang und auch direkter zu unterstützen.
Der CDU-Politiker führt aus:
"Die sehr junge iranische Bevölkerung braucht den Zugang zu Kommunikationsmedien wie verschlüsselter Telefonie, Internet und Satellitenkommunikation. Die freie Welt hat Möglichkeiten, diesen Zugang zu erleichtern."
Gregor Gysi (Linke), außenpolitischer Sprecher
Gregor Gysi ist außenpolitischer Sprecher der Linkspartei im Bundestag.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Abschiebungen in den Iran müssten umgehend gestoppt werden, meint Gregor Gysi (Linke), der außenpolitische Sprecher seiner Fraktion. Bei Asylentscheidungen müsse die aktuelle Entwicklung im Land einbezogen werden.
Im Gespräch mit watson sagt Gysi: "Wer von den iranischen Behörden bedroht wird, muss unkompliziert Schutz in der Europäischen Union einschließlich Deutschland finden."
Auf internationaler Ebene solle sich Deutschland dafür starkmachen, dass die Vereinten Nationen eine Untersuchungskommission einsetzen. Aufgabe dieser Kommission müsse sein, die "Verbrechen aus den iranischen Behörden bei der Niederschlagung von Protesten zu dokumentieren, sodass eine spätere Strafverfolgung ermöglicht wird."
Die voraussichtlich vorgezogene Bundestagswahl 2025 kommt mit vielen organisatorischen Herausforderungen. Nach aktuellem Stand soll am 23. Februar gewählt werden. Bei der Debatte um den Termin ging es unter anderem um einen vermeintlichen Papiermangel und Wahlkampf während Weihnachten.