Wissenschaftler fordert Wehrpflicht für Frauen: Das wäre nichts als eine Farce
Kaum ist das Paket für den Wehrdienst geschnürt, lebt eine alte Debatte auf: Wehrpflicht auch für Frauen.
So sprach sich etwa der Rechtswissenschaftler Sebastian Graf von Kielmansegg im MDR dafür aus, auch Frauen zu verpflichten, für mehr "Wehrgerechtigkeit". Die neue Wehrdienstreform betrifft derzeit nur Männer verpflichtend. Frauen dienen weiter freiwillig.
Laut dem Rechtswissenschaftler behandelt das Grundgesetz Frauen ungleich, und das liege an "früheren Vorstellungen".
Das mag auf dem Papier stimmen. Auf allen anderen Ebenen aber ist es ein Irrtum. Wer heute behauptet, eine Wehrpflicht für Frauen sei der konsequente Schritt zur Gleichberechtigung, verwechselt Symbolik mit Realität.
Gleichberechtigung heißt nicht: gleiche Pflichten um jeden Preis
Es gibt Argumente, die klingen im ersten Moment schlüssig und entpuppen sich dann als mathematische Gleichung ohne Bezug zur Lebenswirklichkeit. "Wenn Frauen überall gleichberechtigt sind, dann bitte auch bei der Wehrpflicht" ist so ein Satz.
Denn das Grundgesetz verpflichtet den Staat nicht zu symmetrischer Belastung, sondern zu Ausgleich. "Der Staat muss Nachteile ausgleichen", sagte Militärrechtlerin Kathrin Groh im Oktober im MDR und spricht von einem faktischen Verschlechterungsverbot. Eine Pflicht, die Frauen strukturell stärker belasten würde, verstieße genau dagegen.
Wer zusätzliche Pflichten allein aus Prinzip verteilt, schafft keine Gleichheit, sondern neue Schieflagen. Groh sagte hierzu unmissverständlich: "Wir haben keine Not, wir müssen keine Frauen einziehen, um unsere Verteidigungsfähigkeit herzustellen."
Sie trifft damit den Kern: Eine solche Pflicht, die eben nicht aus sicherheitspolitischer Not erwächst, ist politisches Theater und kein Fortschritt.
Realität macht aus Gleichheitsideal ein Bürokratiemonster
Die entscheidende Frage ist nicht: "Können Frauen dienen?" Natürlich können sie das – und sie machen es auch, und zwar freiwillig und in allen Bereichen der Bundeswehr. Die richtige Frage ist: Wie sähe eine universelle Pflicht aus, die die Lebensrealität junger Frauen nicht systematisch verfehlt?
Schwangerschaften wären selbstverständlich ohnehin ausgenommen. Doch damit fängt das Problem erst an. Die Lebensphase, die der Gesetzgeber bei einer Wehrpflicht ins Auge fasst – 18 bis Mitte 20 –, ist bei Frauen überdurchschnittlich geprägt von ersten Schwangerschaften oder Kinderwunsch, zyklusbedingten Belastungen, hoher Verantwortung in der Care-Arbeit sowie schlechteren Karrierebedingungen und häufigen Unterbrechungen.
Ein Pflichtsystem, in dem Ausnahmen kein Randphänomen, sondern die logische Folge biologischer und gesellschaftlicher Realität sind, taugt nicht als Gleichheitsprojekt. Es endet in einem bürokratischen Wirrwarr ohne realen Nutzen.
Dazu kommt: Eine Pflicht, die bei einem Teil der Betroffenen regelmäßig zu Ausbildungsabbrüchen, Umplanungen und Einsatzunfähigkeit führt, kostet die Bundeswehr nicht nur Geld. Sie erzeugt genau jene Lücken, die sie eigentlich schließen will.
Am Donnerstag einigten sich SPD und Union final auf eine Änderung der Wehrpflicht: Kernelemente sind dabei eine Musterung kompletter Jahrgänge, ein neuer "Aufwuchspfad" für die Bundeswehr und die Möglichkeit einer Bedarfswehrpflicht, falls die Freiwilligen ausbleiben.
Bundeswehr ist für Frauen weniger attraktiv als für Männer
Wer hier zusätzlich über Gleichheit reden will, muss mit der Realität anfangen. Und die ist ernüchternd: Die Attraktivität der Bundeswehr für Frauen ist laut dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften zuletzt deutlich gesunken. 2020 hielten 33 Prozent der jungen Frauen die Bundeswehr für attraktiv, 2024 waren es nur noch 16 Prozent.
Ausrüstung ist oft nicht auf weibliche Körper ausgelegt. Versetzungen alle zwei Jahre blockieren jede denkbare Planung für Mütter. Auch Vorbilder fehlen: Laut der ehemaligen Wehrbeauftragten des Bundestags, Eva Högl, sind nur drei von 200 Generälen Frauen.
Ein Zwang würde niemandem helfen, vor allem nicht den Frauen. Trotz voller Öffnung aller Laufbahnen machen Frauen aktuell nur rund 13 Prozent der Soldat:innen aus. Offenbar läuft das System also entgegen der Lebensrealität vieler Frauen. Bei einer Pflicht und damit mehr Frauen kann man also nicht von mehr Gleichberechtigung sprechen.
Eine Armee, die Frauen strukturell benachteiligt, kann Frauen nicht gleichzeitig verpflichten und behaupten, das sei Gleichberechtigung.
Das feministische Argument der Befürworter trägt nicht
Aus Teilen der Union, aber auch aus progressiveren Kreisen kommt die These: "Eine Wehrpflicht für Frauen wäre feministisch, weil sie Verantwortung gleich verteilt." Das klingt modern, ist aber ein rhetorischer Kurzschluss. Feminismus bedeutet, gleiche Chancen und Sicherheit zu schaffen, nicht gleiche Pflichten in einem ungleichen System.
Wer Frauen in eine Pflicht zwingt, deren strukturelle Bedingungen sie häufiger belasten, macht sie nicht freier, sondern verwundbarer. Deshalb argumentierte Groh: "Wenn ich eine Wehrpflicht für Frauen einführe, dann vertiefe ich die verschiedenen gender gaps."
Feministische Politik ist das Erkennen und der Abbau jener Strukturen, die Ungleichheit erzeugen.
Feminismus als politisches Lockangebot für die Bundeswehr
Es ist auffällig, wie schnell politischer Bedarf plötzlich mit Gleichberechtigung begründet wird. Immer dann, wenn Personal fehlt, wird die Feminismuskarte gezogen.
Das erinnert an jene Momente, in denen wirtschaftliche Interessen als Freiheitsprojekte verkauft wurden. Nur, dass diesmal nicht der Konsum gesteigert werden soll, sondern die Truppenstärke. Diese Strategie hat nichts mit Emanzipation zu tun. Sie hat damit zu tun, den Eindruck zu erwecken, eine Pflicht sei eine Form von Teilhabe.
Eine Wehrpflicht für Frauen ist keine Antwort auf die Herausforderungen der Landesverteidigung. Sie verschärft bestehende Ungleichheiten, erzeugt mehr Ausnahmen als Verlässlichkeit und belastet junge Frauen in einer Lebensphase, die ohnehin von Übergängen geprägt ist. Zudem lenkt sie davon ab, dass die Bundeswehr strukturell reformiert werden muss, bevor überhaupt über Pflichten gesprochen werden kann.
Vor allem aber instrumentalisiert sie feministische Sprache für ein Projekt, das nicht feministisch ist, sondern schlicht dem Personalbedarf folgt.
Echte Gleichstellung würde da entstehen, wo man Bedingungen schafft, unter denen Frauen freiwillig bleiben. Eine Pflicht, die nur auf dem Papier gleich aussieht, aber in der Realität ungleich wirkt, ist nichts weiter als eine politische Nebelkerze.
