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Sachsen: Pflege-Azubi in Zeiten von Corona – "Am Rande des Nervenzusammenbruchs"

Pfleger Christoph Paul an seinem Arbeitsplatz in Leipzig.
Pfleger Christoph Paul an seinem Arbeitsplatz in Leipzig. bild: privat
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"Wenn du in der Woche fünf Menschen verlierst, dann macht das was mit dir": Pflege-Azubi aus Leipzig über die Impfpflicht, Corona und den Notstand in Kliniken

18.01.2022, 12:1221.01.2022, 13:31
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Im März soll die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen kommen. Unter anderem das Pflegepersonal in Heimen und Kliniken muss dann gegen Corona geimpft sein, Ungeimpfte werden nicht mehr arbeiten dürfen. In Sachsen führt diese Änderung bereits jetzt zu Sorgen. So warnen beispielsweise laut Informationen von "n-tv" die Träger von Pflegeheimen in der mittelsächsischen Stadt Freiberg vor Personalengpässen.

Das Problem, dass 20 bis 30 Prozent des Personals wegfallen könnten, bestehe im gesamten Freistaat. Die Impfquote in Sachsen unterscheidet sich regional stark: Im Erzgebirgskreis sind 47,9 Prozent der Einwohner vollständig geimpft, im angrenzenden Vogtlandkreis sind es 73,7 Prozent.

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bild: imago / dirk sattler

Wie ist die Stimmung auf den Stationen im Freistaat? Wie die Arbeitsbelastung? Darüber hat watson mit dem Pflege-Azubi Christoph Paul gesprochen. Er wird im Sommer sein Examen schreiben. Zwei seiner drei Ausbildungsjahre hat er also unter Pandemiebedingungen hinter sich gebracht. Er lernt in einem Krankenhaus in Leipzig.

Christoph Pauls Erfahrungen haben wir protokolliert:

"Wenn die Impfpflicht im März kommt, werden einige Pflegeheime ein richtiges Problem bekommen. Ich bekomme das in meiner Berufsschule mit, da sind wir sehr gut vernetzt. Das Schlimmste daran ist, dass die ungeimpften Pflegekräfte ja nicht gekündigt werden, sondern unentgeltlich freigestellt. Das heißt: Die Stellen werden nicht nachbesetzt, sondern weniger Pflegekräfte kümmern sich um mehr Pflegebedürftige.

"Als Schüler habe ich sehr viel mehr Zeit als die Schwestern."

Und auch die Berufsschule hat während der Pandemie ein Problem: Es fehlt an digitaler Infrastruktur. Die Schule ist null auf solche Situationen vorbereitet. Und eigentlich müsste man doch sagen: 'Hey, das ist kritische Infrastruktur, da versuche ich alles, damit das läuft.' Das passiert aber nicht, weil es immer um den Kosten-Nutzen-Faktor geht. Und das gilt in allen Bereichen der Pflege.

Dementsprechend ist insgesamt wahnsinnig viel auf der Strecke geblieben. Nicht nur für uns Azubis oder die Krankenhausmitarbeiter, sondern eben auch für die Patienten. Das muss man sich mal vorstellen: Die liegen auf der Station und sehen niemanden außer dem Krankenhauspersonal. Und wir haben keine Zeit für sie.

Ich versuche natürlich immer, während meiner Behandlung Gespräche zu führen, aber manchmal muss ich mich eben auch richtig konzentrieren – da ist dann nichts mit Quatschen. Allerdings muss ich auch sagen: Als Schüler habe ich sehr viel mehr Zeit als die Schwestern.

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Die Lage in den Krankenhäusern ist weiterhin angespannt.Bild: dpa / Oliver Dietze

Was ich in der Schule von professioneller Pflege vermittelt bekomme, hat nicht viel mit der Lebensrealität im Krankenhaus zu tun. Und das ist makaber, weil ich diesen Beruf ja eigentlich als Berufung verstanden habe. Und ich glaube, das geht den meisten so: Man entwickelt eine arrangierte Gleichgültigkeit. Das Gefährliche ist, dass man diese arrangierte Gleichgültigkeit auch gegenüber dem System entwickeln könnte.

Ich war am Anfang idealistischer. Ich bereue die Ausbildung nicht, würde sie aber auch nicht nochmal machen. Abgesehen von der ganzen Covid-Lage, die on top kommt und nur so etwas wie die Spitze des Eisberges ist, wird einfach wahnsinnig viel von den Menschen abverlangt – und das zu schlechten Arbeitsbedingungen. Mir wird im Krankenhaus zum Beispiel oft vorgeworfen, dass ich zu viel Zeit brauche, weil ich eben zu sehr am Standard arbeite. Als Azubi habe ich aber den Luxus, dass ich mir das noch leisten kann.

Wenn wir von Corona sprechen, geht es immer um die Intensivstationen. Natürlich, das ist eine extreme Nummer. Als ich dort meine Ausbildungsstation hatte, in der zweiten Coronawelle, habe ich gesehen wie aufwändig es ist. Wir standen teilweise zu fünft an einem Patienten, weil wir ihn wenden mussten. Der Patient ist intubiert, hat unglaublich viele Zugänge gelegt, die alle parallel laufen: Blutdruck, Sauerstoff, Harnregulierung. Das muss man alles im Blick behalten, während man ihn auf den Bauch legt.

"Das muss man in einer Demokratie, in der Meinungsfreiheit gilt, akzeptieren."

In dem Moment, in dem jemand beatmet wird, ist er allein nicht mehr lebensfähig. Die Menschen, die auf den Bauch gedreht werden, sind sozusagen hochgebockt. Die bekommen extreme Druckstellen am Kinn, an der Brust und überall, wo sie aufliegen. Man macht das, damit die Schwerkraft den Brustkorb nicht auf die Lunge drückt und der Gasaustausch besser stattfinden kann.

Angst vor MRNA-Stoffen – eine unberechtigte Sorge
Mit mRNA-Impfstoffen wird ein neues Verfahren angewendet. Verimpft werden nicht abgeschwächte oder tote Erreger, sondern eine Art Bauplan, der den Körper veranlasst, selbst ein Stück der Virushülle nachzubauen – damit das Immunsystem reagiert. Unser Erbgut wird dadurch aber nicht beeinflusst.

Dass das Verfahren neu ist, besorgt trotzdem viele Bürgerinnen und Bürger. Diese Sorge ist allerdings unbegründet. Denn: Das Verfahren an sich wird seit gut zehn Jahren entwickelt und erprobt – etwa um Vakzine gegen Mers, Zika, Tollwut oder Krebs zu entwickeln.

Bei den Impfstoffen gegen das Coronavirus wurden auch keine Prüfschritte ausgelassen, wie viele glauben. Entwicklung und Zulassung sind zwar schneller vonstattengegangen als bei anderen Impfstoffen, doch das liegt daran, dass die Schritte, die normalerweise nacheinander ablaufen, diesmal parallel verlaufen sind. Außerdem wurden für die Entwicklung sehr viel mehr Ressourcen (personell und finanziell) aufgewendet als bei anderen Impfstoffen. (jor)

Ich habe mich mit meinen Kolleginnen, die sich nicht impfen lassen wollen, unterhalten. Am Anfang war ich da sehr militant, mittlerweile bin ich aber zurückgerudert. Im Endeffekt sollte das nämlich die persönliche Entscheidung eines jeden sein. Das muss man in einer Demokratie, in der Meinungsfreiheit gilt, akzeptieren.

Und die meisten meiner Kollegen, die sich nicht impfen lassen wollen, sind keine Impfskeptiker und sie leugnen auch nicht die Pandemie. Im Gegenteil, die Impfbücher sind voll. Die haben einfach Angst vor dem MRNA-Impfstoff und möchten sich lieber den Totimpfstoff spritzen lassen, der bald kommen soll.

Doctor disinfects skin of patient before vaccination
Noch immer gibt es viele Menschen, die sich nicht impfen lassen.Bild: iStockphoto / Pixel_away

Ich kann es mittlerweile nachvollziehen, wenn sich da jemand partout nicht impfen lassen will. Das sind ja auch nicht die Leute, die montags auf die Straße gehen oder auf Querdenkerdemos mitlaufen. Die verweigern sich nicht wegen einer Trotzreaktion. Und ich finde, da muss man differenzieren.

Ich weiß nicht, wie viele es am Ende betreffen wird. Das werden wahrscheinlich so ein bis zwei Personen pro Station sein, im OP ein paar mehr. Der Regelbetrieb wird also weiterlaufen können. In den Pflegeheimen sieht das ganz anders aus. Klar ist aber, dass wir am Ende mehr arbeiten werden müssen. Dass die Arbeit einfach umgewälzt werden wird.

Gleichzeitig haben wir das Gefühl, Versuchskaninchen zu sein für eine allgemeine Impfpflicht. Ich halte von der partiellen Pflicht nichts. Entweder man macht das für alle oder man lässt es bleiben, allein schon aufgrund von Gleichberechtigung.

"Kommen Ungeimpfte mit schwerem Verlauf zu uns, kümmere ich mich um sie, wie um jeden anderen auch."

Klar, die Impfung ist unser einziges Mittel raus aus der Pandemie. Eine allgemeine Impfpflicht fände ich sinnvoll, ich glaube aber nicht, dass die kommen wird. Aber es ist nun mal so: Ein Patient, der gesund ist und dreimal geimpft, der wird höchstwahrscheinlich nicht wegen einer Covid-Infektion auf der Intensivstation landen. Ein Patient, der geimpft ist und Begleiterkrankungen hat – und wenn es nur Diabetes ist, hat ein viel höheres Risiko, im Krankenhaus zu landen. Aber nicht zwingend auf Intensiv.

Hast du jetzt aber jemanden, der zum Beispiel ein transplantiertes Organ hat und deshalb Immunsuppressiva nimmt – also Medikamente, die die Funktionen des Immunsystems beeinträchtigen – dann kann der auch dreimal geimpft sein und landet trotzdem auf der Intensivstation. Deswegen ist der Herdenschutz wichtig, dass sich am Ende eben weniger infizieren.

Kommen Ungeimpfte mit schwerem Verlauf zu uns, kümmere ich mich um sie wie um jeden anderen auch. Denn auch hier muss ich sagen: Es ist die freie Entscheidung des Einzelnen. Natürlich bringe ich Spitzen, wenn es den Patienten dann besser geht. Sowas wie 'Na, wär' Impfen nicht doch angenehmer gewesen?' und so. Manche geben zu, dass sie die Infektion unterschätzt haben. Andere bestehen darauf, dass es eine Lungenentzündung war. Mittlerweile lasse ich sie in dem Glauben.

10.12.2021, Schleswig-Holstein, Kiel: Eine Pflegekraft versorgt einen Patienten in einem der Behandlungszimmer der Intensivstation am Universit�tsklinikum in Kiel. Hier wurden in der vierten Corona-We ...
Nicht nur die Covid-Stationen sind am Limit.Bild: dpa / Frank Molter

Ich habe viele Freunde, die zum Beispiel aus dem Erzgebirge stammen. Oft wollen sich deren Eltern nicht impfen lassen. Das ist eine Trotzreaktion, die ich auch irgendwo nachvollziehen kann. Es gibt hier in Sachsen einfach viele Randbereiche, in denen die Politik immer an den Menschen vorbeigemacht wurde. Das war vor der Wende so und es ist so geblieben. Das führt zu Unzufriedenheit und Resignation.

Ich kann auch manche Entscheidungen nicht nachvollziehen. Zum Beispiel, dass geboosterte von der 2G+-Regel ausgeschlossen sind. Wo ist denn das Problem, wenn die sich auch testen lassen, bevor sie irgendwo hingehen und am Ende ist die Veranstaltung noch sicherer? Ich habe den Eindruck, das ist auch eine ökonomische Entscheidung. Es geht ums Geld.

Ich habe mich impfen lassen, weil ich Angst vor der Nummer hatte. Weil ich nicht wusste, was die Krankheit mit mir machen könnte. Ich bin ein relativ gesunder Mensch, trotzdem weiß ich natürlich nicht, was für Langzeitfolgen eine Infektion bei mir hätte. Außerdem wollte ich auch wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.

"Das Problem, dass die Pandemie sich so lange zieht, ist meiner Meinung nach, in Teilen hausgemacht."

Wir hatten hier in Sachsen gerade einen Teil-Lockdown. Das verstehe ich, wenn die Zahlen an einem bestimmten Ort extrem hoch sind, müssen dort halt Maßnahmen ergriffen werde. Ich finde aber auch, dass es ein einheitliches Schutzgesetz bräuchte.

Das Problem, dass die Pandemie sich so lange zieht, ist meiner Meinung nach, in Teilen hausgemacht. Man hätte ja zum Beispiel auch sagen können, wir machen alles dicht, außer wirklich die systemrelevanten Bereiche. Das ist aber wirtschaftlich natürlich nicht gewünscht. Die Politik hätte mehr und konsequenter auf Experten hören müssen. Keiner von uns erwartet von Virologen und Politikern, dass es jetzt sofort eine Lösung gibt. Keiner war von uns vorher in so einer Situation. Natürlich wird jetzt viel probiert. Aber mir kommt das aktuell alles vor wie Symptombekämpfung.

Das System des Finanzkapitalismus, in dem wir leben, ist nicht für Pandemien gemacht. Ein Krankenhaus sollte kein wirtschaftliches Unternehmen sein: Wir brauchen mehr Pflegekräfte, bessere Arbeitsbedingungen, familienfreundliche Arbeitszeiten. Wir brauchen hier wirklich Reformen. Es hilft nämlich gar nichts, wenn nur die Pflegenden auf Intensivstation einen Bonus bekommen und sich sonst nichts ändert.

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Die Belastungen sorgen auf Corona-Intensivstationen sorgen für Anspannung. Bild: dpa / Hendrik Schmidt

Vom psychischen Faktor will ich gar nicht anfangen: Der wird immer außen vor gelassen. Wenn du in der Woche fünf Menschen verlierst, dann macht das was mit dir. Die Intensivstationen haben eine Bomben-Belastung. Aber wenn die neue Variante jetzt dazu führt, dass die Hospitalisierungsrate abflacht, dann liegen die meisten der Patienten nicht auf der Intensivstation, sondern bei uns. Auf der Normalen. Die Arbeitsbelastung ist bei uns genauso hoch.

Allein deshalb ist ein Bonus nur für das Intensivpersonal schwer nachvollziehbar. Untereinander sind wir alle sehr kollegial. Die Intensivpfleger würden den Bonus auch den normalen Stationen gönnen. Dazu kommt, dass wir Azubis eigentlich gar nichts davon hätten sehen sollen. Obwohl wir vor oder nach der Schule und oft auch zehn bis zwölf Tage am Stück arbeiten. Die Quintessenz ist: Insgesamt brauchen wir in der Pflege mehr Manpower!

"Ich stehe ja jetzt schon oftmals am Rande des Nervenzusammenbruchs."

Ich halte mich mit meinem Optimismus über Wasser, aber mit Glückseligkeit hat das gerade so gar nichts zu tun. Ich habe Glück, dass es vom Team passt. Aber mit dem Teil-Lockdown in den vergangenen Monaten gab es keine Möglichkeit, die Batterien mal aufzuladen. Kein Fitnessstudio, keine Bar, keine Kultur, keine Treffen in größerer Gruppe.

All das, was das Leben lebenswert macht, ist nicht möglich. Ich komme von der Arbeit und kann mich ins Bett legen und einen Film gucken. Es gibt eine Balance, zwischen Arbeit und Leben – und wenn die zu sehr aus dem Gleichgewicht gerät, passt es einfach nicht mehr.

Ich weiß heute schon, dass mein erster Burn-out nicht lange auf sich warten lassen wird. Ich stehe ja jetzt schon oftmals am Rande des Nervenzusammenbruchs. Manchmal frage ich mich, wie ich mich über Wasser halte. Und ich glaube, das klappt nur, weil ich viele Dinge, die um mich herum passieren, von mir wegschiebe. Und weil der Mensch in gewissen Situationen einfach funktioniert."

Die SPD sollte auf ihre Jugend hören – Scholz drückt sich aber vor Kritik

Mit eiserner Stimme spricht sie beinahe in die Stille hinein. Saskia Esken (SPD) steht auf der Bühne vor rund 500 enttäuschten und wütenden Juso-Delegierten. Die Co-Vorsitzende der SPD will die eigene Jugend wieder für sich gewinnen. Doch ihr Publikum ist kein einfaches.

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