Zapfenstreich für die Kanzlerin: Die Ära Merkel ist zu Ende.Bild: dpa / Michael Kappeler
Analyse
Es gibt diese Momente, in denen selbst Angela Merkel die Kontrolle über ihr Pokerface verliert. Tanzen bei Karnevalsveranstaltungen Menschen mit albernen Hüten vor ihrer Nase herum, kann sie den inneren Cringe kaum verbergen.
Der Große Zapfenstreich, mit dem die Bundeskanzlerin am Donnerstagabend in Berlin verabschiedet wurde, müsste eigentlich wieder so ein Moment gewesen sein.
Angela Merkel nimmt den Zapfenstreich der Bundeswehr im "Bendlerblock" ab. Bild: ap / Odd Andersen
Männer mit zumindest merkwürdigen Hüten, in diesem Fall behelmte Bundeswehrsoldaten, stolzieren zu ihren Ehren im Innenhof des Verteidigungsministeriums auf und ab.
Sie wirbeln mit Gewehren herum und tragen brennende Fackeln spazieren, während ein Vorgesetzter emotional intonierte Kommandos in den Dezemberhimmel ruft.
Und dann spielen sie auf Wunsch den DDR-Hit "Du hast den Farbfilm vergessen" von Nina Hagen, Spitzname "Godmother of Punk".
Für eine derart staatstragende Zeremonie ist dies recht ungewöhnliches Liedgut, das schon im Vorfeld des Abends für amüsierte Schlagzeilen gesorgt hatte.
Tränen zum Ende der Kanzlerinnenschaft
Doch Merkel bleibt nicht nur cool, sie lächelt sogar ein bisschen. Manche Beobachterin meint, Tränen in ihren Augen zu sehen. Die Zeremonie scheint ihr nahe zu gehen. Und damit das Ende ihrer 16-jährigen Kanzlerinnenschaft im Dienste der Bundesrepublik.
Die etwas Älteren werden sich noch an den eher breitbeinigen Stil Gerhard Schröders erinnern. Der Amtsvorgänger Angela Merkels hatte es 2000 mit einem seiner polternden Sprüche sogar in die deutschen Singlecharts geschafft.
Auch Helmut Kohl, der christdemokratische Kanzler der Einheit, inszenierte sich stets als Patriarch.
Mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte 2005 durch Merkel war damit Schluss. Seitdem versprüht die deutsche Bundespolitik den Charme von Hannover Nord.
Angela Merkel bei ihrer Abschiedsrede in Berlin.Bild: imago images / Political-Moments
Dass viele Wählerinnen und Wähler Hannover Nord aber gar nicht so schlecht finden, kann man an den Zustimmungswerten der seitdem durchregierenden Kanzlerin ablesen.
Merkels Satz "Wir schaffen das"
Vor allem ihr politisches Handeln während der Flüchtlingskrise 2015 wird die Erinnerung an ihre Amtszeit prägen. Mit ihrem Satz "Wir schaffen das" wollte sie eine aufgewühlte und an den Rändern radikaler werdende Nation mit der Aufnahme von hunderttausenden Geflüchteten versöhnen. Doch während sie dafür von der einen Seite viel Anerkennung bekam, wurde sie damit für Rechte zum Feindbild. Kritik kam auch von migrantischen Gruppen, die mehr Sensibilität für mögliche Konflikte forderten.
Kritik bekam sie über die Jahre immer wieder, auch für andere Aussagen. So wurde ihr die Tatsache, dass sie ein gegen den türkischen Präsidenten Erdogan gerichtetes Schmähgedicht von Jan Böhmermann als „bewusst verletzend“ bezeichnete, ihr als unzulässiger Eingriff in die Kunst- und Pressefreiheit angekreidet.
Mit Putin verhandelte Merkel auf Augenhöhe
Auf internationaler Bühne genießt sie indes bis heute eine hohe Popularität. Die als "mächtigste Frau der Welt" geltende Politikerin harmonierte mit westlichen Partnern wie Barack Obama oder Emmanuel Macron.
Sie konnte dank ihrer in der DDR gelernten Kenntnisse der russischen Sprache mit Valdimir Putin direkt und auf Augenhöhe verhandeln, während andere Regierungschefs Dolmetscher zwischenschalten mussten.
Angela Merkel beim Großen Zapfenstreich.Bild: dpa / Michael Kappeler
Für viele Frauen aus den unterschiedlichsten politischen Lagern wird Angela Merkel ein Vorbild bleiben. Sie hat gezeigt, dass es für Frauen möglich ist, in einer vor allem von Männern strukturierten Welt Machtpolitik zu betreiben. Und dabei die Coolness nicht zu verlieren.
Beim Großen Zapfenstreich an diesem Donnerstagabend in Berlin hat sie zudem noch einmal gezeigt, warum sie für viele Menschen schlicht "Mutti Merkel" ist. Direkt zu Beginn ihrer Abschiedsrede dankte sie den Beschäftigten in den medizinischen und Pflegeberufen, die unter schwersten Bedingungen gegen die Pandemie ankämpfen.
Dieses politisch-menschliche Gespür, gepaart mit einer fast unverschämten Bescheidenheit, ist wohl mit dem oft gehörten Satz gemeint: Wir werden sie noch vermissen.