Der Streamingdienst Netflix hat seit einigen Wochen eine neue deutsche Krimiserie im Programm.
"Dogs of Berlin" spielt im "Pulverfass" Berlin, das nach dem Mord am deutsch-türkischen Nationalfußballer kurz vor der WM hochzugehen droht. Die Kommissare Erol Birkan (Fahri Yardim) und Kurt Grimmer (Felix Kramer) ermitteln und bewegen sich in einem Berlin, das von Kriminalität, Gewalt und Sex beherrscht wird.
Regisseur und Drehbuchautor Christian Alvart ("Tatort" und "Tschiller: Off Duty") versucht sich hier am Berliner Untergrund, in dem sich – ähnlich wie bei der TNT-Serie "4 Blocks" – Gangster und arabische Clans tummeln.
Dabei bleibt es aber in den Augen vieler Kritiker im Gegensatz zu "4 Blocks" bei einem (stark zerknitterten und verblichenem) Abziehbild der Hauptstadt.
"Für jeden Charakter gibt es ein Vorbild in meinem realen Umfeld, den ich kenne. Und dem vertraue ich erst mal."
Christian Alvart
Tatsächlich? Zeit, zu fragen: Wie authentisch sind die Darstellungen der arabischen Clans wirklich?
Für watson.de hat ein Clan-Insider die ersten drei Folgen von "Dogs of Berlin" angesehen und nach Authentizität in 3 Kategorien bewertet.
Wir nennen ihn hier Adnan, sein echter Name soll unbekannt bleiben.
Der Experte
Unser Insider Adnan trägt den Nachnamen einer bekannten arabischen "Großfamilie", kennt sich mit den Strukturen der Szene aus – er und seine Familie haben sich jedoch vor Jahren von dem Clan losgesagt und gehören zu dem Zweig, der nichts mit Illegalitäten zu tun hat.
Was sagt Adnan zu "Dogs of Berlin"? Hier seine Analyse
Sein erster Eindruck
"Nach dem Mord am Fußballer will ein Nachbar junge Männer gesehen haben, die ihre Hose in den Socken trugen. Ist das Drehbuch aus den 90er Jahren? Da haben Jugendliche noch ihre Hosen in den Sockenhals gestopft."
Oder die Comedy-Figur Buddy Ogün vor fast 9 Jahren:
"Tarik-Amir? Der Nachname ist nicht authentisch. Doppelnamen sind im arabischen Raum eher selten. Ist das nicht eher ein europäisches Phänomen?"
"Wettbüros und Fußball sind keine Geschäftsfelder von arabischen Clans, sondern von Menschen aus Osteuropa. Clans wetten zwar auch, aber eher in Sportarten wie Boxen oder MMA, dort sind unter anderem auch Familienmitglieder als Sportler vertreten."
Folge 1: "Dem Deutschrapper Sinan-G, der in Essen mit bekannten Clans in Kontakt stehen soll, merkt man an, dass er gequält versucht, das Wort warak aus dem libanesisch-kurdischen Dialekt Mardin am Satzanfang oder Satzende zu verwenden. Warak bedeutet so etwas wie Mann. 'Warak, nein!'= 'Nein, Mann!'"
Sinan Farhangmehr (Sinan-G) als Hakim Tarik-Amir
Bild: screenshot netflix.de
Folge 2: "Raif Tarik-Amir hat eine Wortwahl, die im kriminellen Milieu nicht angewendet wird. Zudem ist er sehr kritisch gegenüber seinem Clan und dessen Handlungen und selbstreflektiert, was ebenso nicht den typischen Merkmalen der soziokulturellen Entwicklungen eines kriminellen Clanmitgliedes entspricht. Die Identität eines Individuums im Clanumfeld ist nicht verfügbar, denn es gilt vollste Loyalität gegenüber dem gesamten Clan und seinen Handlungen."
Folge 3: "Es tauchen viele unterschiedliche, arabische Dialekte auf, die nicht real sind. Auch unter Geschwistern. Das Wort 'Zinker' habe ich im Umfeld von Clans nie gehört, soll Spitzel heißen. Für gewöhnlich wird dafür aber 'Ratte' oder Maulwurf' verwendet."
In der Serie wurden U-Bahn-Stationen wie die "Kaiserwarte" oder Technoclubs wie das "Grinsekatze" erfunden. Was sagt unser Insider zu den weiteren Drehorten?
Die Kaiserwarte, berüchtigter Drogenumschlagsplatz im...Nirgendwo.Bild: screenshot netflix.de
Folge 1:
"Der Technoclub-Besuch ist völlig unauthentisch. Mitglieder von arabischen Clans bevorzugen R'n'B, HipHop, Pop und (Deutsch-)Rap, türkische, arabische oder kurdische Musikgenres. Außerdem: Queeres Leben im Club in unmittelbarer Umgebung zu sehen, ist für die meisten – nicht alle –undenkbar, da sie in archaischen Strukturen sozialisiert sind und die Homophobie leider oft groß ist."
"Warum hält sich der Clan in einer Lagerhalle auf? Zu viel GTA konsumiert? Wer besitzt eine Lagerhalle und trägt sich dafür ins Grundbuch ein? Kein Clan wäre so naiv. Das gibt nur zu viel Aufmerksamkeit. Wechselnder Aufenthalt, Verschleierung von Vermögen und Wertgegenständen ist Voraussetzung für erfolgreiche Kriminalität – Autos, Häuser & Co werden auf Personen umgeschrieben, die eine 'saubere Weste' haben und/oder keinen allzu bekannten Familiennamen tragen."
Gangsterbosse in der Lagerhalle
Bild: screenshot netflix.de
Strukturen und Regeln
Folge 1: "Die Serienfigur Murad soll für den Clan wetten. Aber 'Aufträge' werden meist nicht auf externe Mitglieder übertragen, sondern zuerst auf eigene (Kern-)Familienmitglieder. Falls die nicht in Frage kommen, folgen erstmal Mitglieder zweiten und dritten Grades – erst danach kommt eine externe Person in hinzu, die aber fest zur Struktur gehören muss. Das ist meist kein Neuling wie Murad in der Serie."
Raif und Murad (Mohammed Issa)
Bild: screenshot netflix.de
Folge 2:
"Das junge Clan-Mitglied Raif Tarik-Amir wird in der Schule sofort von Schülern erkannt. Das ist tatsächlich der Fall, denn der Nachname von bekannten Großfamilien schüchtert viele Schüler ein."
"Raif sagt in einer Szene: 'Privat nehme ich die Öffentlichen' – Clanmitglieder, die kriminell aktiv und tief im Netzwerk verstrickt sind – auch kleinere Geschwister – sind nicht mit den Öffis unterwegs, sondern fahren oder werden gefahren von Freunden, Bekannten oder sonstigen zugehörigen Personenkreis (auch von Mitgliedern von befreundeten Clans)."
"Die ältere Schwester von Murad verweist auf die Funktion von Raif Tarik-Amir als Rekruter für Clans – das ist Mythos. Rekrutiert werden nur Handlanger, die für 'Jobs' angeworben werden, in denen das Sicherheitsrisiko für Clans selbst zu hoch ist. Zudem werden jene rekrutiert, die über irgendein Spezialwissen oder Zugang verfügen."
Folge 3: "Die Ehefrau von Hakim ist beim Fußballspiel anwesend? Das findet in der patriarchalen Welt von Clans nie statt. Frauen werden aus öffentlichen Veranstaltungen rausgehalten. Die Frauen von Arafat Abou Chaker oder Ashraf Remmo kennt auch nahezu niemand."
Hakims Frau CamillaBild: screenshot netflix.de
Adnans abschließendes Urteil lautet übrigens: "Die Serie ist schlimm!"
Aber macht euch selbst ein Bild: Alle 10 Episoden der ersten Staffel "Dogs of Berlin" sind aktuell auf Netflix zu sehen.
Fahri Yardim über seine heftigste Abfuhr und schlimme Kater