Özil geht, der Hambacher Forst bleibt, Chemnitz schreckt auf – 2018 war turbulent. Auch für uns: watson.de startete im März. Auf einige Geschichten sind wir seitdem besonders stolz. Wie auf diese hier:
Berlin, Zoologischer Garten. Drogenumschlagplatz und teure Einkaufsmeile. Neben dem Apple Store und Hugo Boss Bekleidungsgeschäft liegt das "Hotel Zoo Berlin". Hier treffe ich heute Vormittag im "Room Tigress" zwei Stars meiner aktuellen deutschen Lieblingsserie "4 Blocks": Veysel Gelin und Kida Khodr Ramadan.
Schon der Weg zum Zimmer ist aufregend. Lange, dunkle Gänge, aufwendig gestaltete Kronleuchter, Laufteppiche mit Leopardenapplikationen. Ein bisschen wie die Villa vom "4 Blocks"-Chef.
Ich kenne die Serie, die beiden, habe viele Fragen, die ihnen heute hoffentlich noch nicht gestellt wurden. Das wird ein gutes Gespräch!
Als ich im Raum ankomme, sehe ich einen runden Glastisch und drei Sessel. Einen für mich, zwei vor mir für die beiden. Dann sehe ich Veysel. Der trägt heute Juwelen und Goldringe an den Fingern, kombiniert mit einer Trainingsjacke, ganz wie man das von Rappern kennt. Wir begrüßen uns freundlich, er lässt sich in den Sessel links von mir fallen, dann kommt Kida um die Ecke von der Terrasse.
Der Toni Hamady! Auch er sagt knapp Hallo, schaut beim Händeschütteln von mir weg über seine rechte Schulter aus dem Fenster und sackt dann in dem Loungechair rechts von mir in sich zusammen. Wie ein Boss.
Das Interview beginnt, Ramadan schaut mich tief aus seinen Augen an. Ich stelle mich vor, da geht er ans Handy. Komisch, habe es nicht klingeln gehört. Aber klar, wahrscheinlich klingelt sein Handy so oft, dass er den Ton, die Vibration UND das Licht abgestellt hat, würde ich auch so machen als Filmstar. Er murmelt kurz etwas in das Telefon, dann schaut er mich wieder aus den Augen an, sein Kopf ist geneigt, sodass das Kinn fast auf der Brust liegt. Auf einmal komme ich mir so vor, als hätte ich ein Gnadengesuch bei Toni Hamady, weil ich die letzte Koks-Fuhre versaut habe.
Das Gespräch stockt schon mit der ersten Frage. "Habt ihr das mit Maaßen mitbekommen?", frage ich aktualitätsbewusst. Es wird still im Raum, ich höre die Enttäuschung der beiden laut auf den Glastisch zwischen uns krachen.
Ich würde jetzt gerne davon erzählen, was sie geantwortet haben. Ihre Sätze wurden leider von der PR-Abteilung der beiden nicht freigegeben.
Es fällt ein Wortwitz, zu dem ich nur so viel wiedergebe: die Worte "Maaßen" und "gewissermaßen" kommen vor.
Ich strande schon jetzt vor den gnadenlosen Augen von Toni und Abbas Hamady. Lasst mich einfach hier liegen, Männer.
Ich rappel mich auf und frage, ob Horst Seehofer nicht auch ein bisschen wie die Familie Hamady aus "4 Blocks" handelt. Man beschützt die eigene Familie, keiner wird zurückgelassen, auch kein Hans-Georg Maaßen. Ich war sicher, damit einen guten Übergang zur Serie gefunden zu haben.
Kida schaut mich aus den Augenhöhlen an, sein Kinn sinkt weiter, es liegt jetzt fast auf seiner Brust auf.
Ich überlege kurz, ob ich Kida meinen Gedankengang erklären soll, da schaltet sich schon Veysel ein. Auch hier wieder nur so viel von dem, was ich schreiben kann: von Politikern hält er wenig.
Nachdem ich frage, ob die beiden auch im wahren Leben das Milieu kennen, was bei "4 Blocks" gezeigt wird, macht Kida mich darauf aufmerksam, dass ich mich jetzt schon mal entscheiden müsste, worüber ich mit den beiden reden will: Politik, ihr Werk, ihr Leben, die Serie?
"Über alles am besten", entgegne ich hoffnungsvoll.
Kida hat an dem Tag ein Instagram-Video hochgeladen, in dem er Rassismus den Kampf ansagt und dass er nun bei Hermann Hesse mitspielt. Jetzt will er wohl nicht mehr über Politik reden.
Klar, jetzt spreche ich mit zwei Nicht-Herkunftsdeutschen über irgendwelche kriminellen Araber. Kann man mir vorwerfen. Es interessiert mich aber als Fan der Serie, ich will nämlich nicht die tausendste "War schauspielern schon immer dein Traum?"-Promo-Frage stellen. Und die Serie handelt ja nun mal genau davon.
Kida stellt klar, dass er keine Fragen zur aktuellen Situation beantworten will, die Wunde sei noch zu frisch und es sei nicht gut, über ein Thema zu reden, wenn ein Mensch gerade frisch gestorben ist. Ich weiß zunächst nicht, wovon er spricht, bis mir aufgeht, dass er den in Berlin-Tempelhof getöteten Intensivtäter Nidal R. meint. Zur Beerdigung von Nidal R. kamen an die 2.000 Leute, darunter Chefs und Mitglieder der größten Clans in Deutschland.
Dazu wollte ich ihn aber gar nichts fragen, sondern, ob es negative Rückmeldungen von Menschen aus der Szene gab, oder ob die Serie als authentisch wahrgenommen wird. Wir reden wortwörtlich aneinander vorbei.
Es folgen Gesprächsversuche zur Rezeption der Serie, zum Leben von Kida Ramadan, zu Rapzeilen von Veysel. Alles erfolglos. Die beiden lachen oft nur noch, und ich fühle mich wie Abbas' Freundin Ewa aus der Serie, die keiner richtig ernst nimmt. Worte von mir werden auf die Goldwaage gelegt oder als Witzvorlage verwendet.
Auch, als ich versuche, Veysel zu aktuellen Deutschrap-Thematiken zu befragen. Der Mann ist ja hauptberuflich immerhin Rapper, da freut er sich doch bestimmt, wenn ich ihn etwas rein Berufliches frage.
Zu Bushido und Arafat gebe es nicht viel zu sagen. Der Fall werde im Bekanntenkreis nicht diskutiert. Gibt es Meinungen dazu? Auch nicht.
Kida schaltet sich ein und findet, ich solle die beiden nicht zu anderen Künstlern befragen. Und auch nicht zu politischen Themen. Das folgende müssen wir leider auch verkürzt zusammenfassen:
Er sei schließlich nicht *Name eines bekannten deutschen Politikers*.
Was interessiere ihn *Name eines anderen bekannten deutschen Politikers*.
Dann: *Kraftausdruck*.
Veysel sagt, dass er den Politiker, dessen Name hier nicht genannt werden darf, nicht kenne.
Okay, also auch keine Rapfragen. Vielleicht ja etwas zum Berufsleben außerhalb der Serie? Soll ich mich als einer von Kidas 82,7k Instagram-Followern outen? Warum nicht.
(Hat er dann auch! Danke Kida!)
Ich merke schon, das wird hier nichts mehr. So langsam aber sicher schlittere ich in...
Ich stelle sie jetzt also doch, die Promo-Frage, die ich umgehen wollte. Ich will noch ein letztes Mal versuchen, die Anerkennung der Hamadys zu bekommen und wenn ich dafür bis in den PR-Knast gehen muss.
Mir gehen die Fragen aus, einige traue ich mich jetzt nicht mehr zu stellen. Ich glaube, es ist Zeit, das Interview zu beenden.
Auf meine Frage, ob wir noch eine Insta-Story machen können, zeigt sich Veysel offen, Kida zuckt mit den Schultern. Da kommt aber leider leider schon Veysels Managerin und sagt, dass das nicht abgesprochen sei. So ist das eben.
Das Interview ist beendet, ich verlasse den Hotelraum "Tigress" wieder. Ich habe die Familie Hamady enttäuscht. Ich bin ein Schandfleck und habe kostbare 12 Minuten von Kida und Veysels Zeit vergeudet, denke ich. Ein würdevoller Abgang ist das hier nicht.
Immerhin, Veysel gibt mir noch ein paar freundliche Worte mit auf den Weg und die Hand. Kida ist schon wieder am Telefon. Ich habe es auch dieses Mal nicht klingeln hören.
Ich gehe aus dem Zimmer, die Tür schließt sich, die PR-Beauftragte entschuldigt sich. Sie wisse auch nicht, warum das so eskaliert sei. An mir läge das nicht. Vielleicht hatte Kida einfach einen schlechten Tag.
Wie vereinbart sende ich das Transkript zur Autorisierung an die nette Frau. Es folgen noch ein Telefonat mit der Bitte um Aufschub zur Autorisierung, weitere zwei Wochen vergehen. Dann endlich die Mail. Eine Din-A-4 Seite mit den verbliebenen, freigegebenen Zitaten aus dem Interview. Vieles wurde auch inhaltlich stark verändert.
Deswegen konnten wir leider nur Bruchstücke wiedergeben. Ich jedenfalls bleibe Fan der Serie und der beiden Schauspieler.