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Wählen ab 16: Warum die CSU vor der Landtagswahl Bayern doch dafür sein könnte

20.07.2023, Bayern, München: Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, spricht zum Abschluss der letzte Plenarsitzung des Landtags vor der Landtagswahl. Foto: Peter Kneffel/dpa +++ dpa-Bildfun ...
Wird die CSU unter Markus Söder im Oktober erneut stärkste Kraft in Bayern? Ein Seitenwechsel bei der Diskussion um die Absenkung des Wahlalters könnte helfen.Bild: dpa / Peter Kneffel
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Landtagswahl in Bayern: Welche Rolle die Diskussion um das Wahlalter für die CSU spielt

26.07.2023, 19:2827.07.2023, 08:15
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1970 wurde es bereits von 21 auf 18 gesenkt, seit Jahren gibt es nun die erneute Debatte um die Absenkung von 18 auf 16: Es ist die offenbar nicht enden wollende Diskussion über das Wahlalter.

Alle paar Jahre kommt das Thema wieder auf. So hatte beispielsweise im vergangenen Jahr ein 17-jähriger Einspruch gegen die Bundestagswahl 2021 eingelegt, weil er nicht mitwählen durfte.

Der Einspruch wurde erwartungsgemäß abgewiesen. Aber auf die Tagesordnung im Parlament schaffte es das Thema dann trotzdem: in Form der Wahlrechtsreform.

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Sie soll in erster Linie den Bundestag verkleinern. Denn der ist mit derzeit 730 Abgeordneten ordentlich aufgebläht. Am 17. März 2023 beschloss der Bundestag die entsprechende Reform. Doch die bundesweite Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre aus einem Antrag der Linksfraktion wurde nicht gebilligt.

Das will die Initiative "Vote16" ändern – zumindest in Bayern. Ihre Initiator:innen Kerry Hoppe und Jannik Jürß haben ein Volksbegehren gestartet. Kurz vor der Landtagswahl im Oktober bringt das eine alte Debatte auf den Tisch und eine neue Dynamik in den Wahlkampf. Denn Bayern wird aktuell von CSU-Chef Markus Söder regiert.

Brisant: Seit Beginn der Debatte in den 1970er-Jahren ist die Union gegen eine Absenkung des Wahlalters.

Initiative Vote16 will im Wahlkampf Druck auf CSU ausüben

In Deutschland ist das Wahlrecht ab 16 Jahren vergleichsweise relativ jung. 1996 führte es Niedersachsen auf kommunaler Ebene ein. Nach und nach zogen weitere zehn Bundesländer nach. Auf Landesebene, sprich also bei Landtagswahlen, dürfen 16-Jährige allerdings nur in Brandenburg, Bremen, Hamburg, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein mitwählen.

"Wir trauen den jungen Menschen in Bayern zu, ihre Vertretung in Europa zu wählen, aber nicht ihren lokalen Bürgermeister."
Jannik Jürß, Mitinitiator von Vote16

In Hessen gab es das Wahlrecht ab 16 Jahren auch schon mal: für ein Jahr. Dann wurde es 1999 unter Roland Koch (CDU) wieder abgeschafft. Bayern stemmt sich unter der CSU ebenfalls vehement gegen eine Absenkung des Wahlalters.

Das stört viele junge Menschen wie Kerry Hoppe und Jannik Jürß. Die beiden studieren – oder studierten – Jura und wollen mit dem Volksbegehren in Bayern mehr Mitspracherecht für die junge Generation in der Politik erwirken.

Kerry Hoppe und Jannik von vote16
Kerry Hoppe und Jannik Jürß wurden mit Vote16 unter anderem durch das Start-up JoinPolitics gefördert.Bild: privat

Auf Bundesebene ist Wählen ab 16 Jahren nicht möglich. Auf EU-Ebene, zur Europawahl, hingegen schon. Ein Widerspruch in sich, wie Jannik findet. "Wir trauen den jungen Menschen in Bayern zu, ihre Vertretung in Europa zu wählen, aber nicht ihren lokalen Bürgermeister. Das ergibt für uns einfach keinen Sinn", sagt der 27-Jährige im Gespräch mit watson.

Auch Kerry schlägt in eine ähnliche Kerbe: "Ich habe mit 17 mein Gelöbnis bei der Bundeswehr abgelegt. Laut Gesetzgeber bin ich da also schon reif genug, um mein Leben für die Bundeswehr zu verpflichten und im Notfall das Land zu verteidigen. Aber ich bin nicht reif genug, um das Parlament zu wählen, das mich im Zweifel in den Einsatz schickt."

Ändert die CSU kurzfristig noch ihre Haltung zum Wahlalter 16?

Damit sich das ändert, soll das Volksbegehren eine Verfassungsänderung in Bayern herbeiführen. Durch ein solches Begehren können Bürger:innen unmittelbar gesetzgebend tätig werden, indem sie Gesetzesvorlagen in den Landtag einbringen. Falls dieser sie nicht annimmt, kann ein Volksentscheid herbeigeführt werden.

Seit 1946 wurden 22 Volksbegehren und 19 Volksentscheide in Bayern durchgeführt. Für ein Volksbegehren werden mindestens 25.000 Unterschriften benötigt. Die versucht Vote16 gerade zu sammeln. Aktuell halten sie sich noch bedeckt zum derzeitigen Stand, doch sie zeigen sich zuversichtlich, dass sie ihr Ziel erreichen.

Sind genug Unterschriften beisammen, prüft das Innenministerium die Gesetzesvorlage. Dann werden innerhalb von zehn Tagen nochmal Unterschriften von mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten (das wären 950.000 Menschen in Bayern) benötigt. Erst dann stimmt der Landtag ab. Lehnt er den Vorschlag ab, kommt es zum Volksentscheid.

Die Landtagswahl im Oktober sehen Kerry Hoppe und Jannik Jürß als perfekte Gelegenheit an, ihr Vorhaben durchzubringen. Die nötige Schlagkraft haben sie damit in jedem Fall: Knapp 60 Organisationen unterstützen die Initiative bereits. Auch die Landtagsfraktionen der SPD, FDP und Grünen stehen hinter der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre in Bayern.

Mit aller Kraft dagegen stemmt sich hingegen weiterhin die CSU. "Die CSU-Landtagsfraktion erachtet das Wahlalter von 18 Jahren als sachgerecht", sagt Tobias Reiß, parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landtagsfraktion, auf Anfrage von watson.

Die Begründung: Auch für andere Rechtsbereiche gelte diese Altersgrenze nicht ohne Grund – wie etwa der Geschäftsfähigkeit oder dem Jugendstrafrecht. Jugendliche könnten sich zudem in Bayern auch etwa in Jugendparlamenten engagieren. Klingt nach einer absoluten Aussage, an der es nichts mehr zu rütteln gibt.

Dabei könnte die CSU gerade jetzt im Wahlkampf ordentlich Wählerstimmen einstreichen, wenn sie ihre Bedenken aufgeben würde. Funktioniert hat das immerhin schon einmal: vor 53 Jahren. Heute fühlt es sich an, wie ein Déjà-vu. Auch damals wurde kurz vor der Landtagswahl per Volksentscheid über die Absenkung des Wahlalters abgestimmt – nur eben von 21 auf 18 Jahre. Und mit Unterstützung der CSU.

Noch scheint die Söder-CSU junge Wähler zu fürchten

Das könnte die CSU nun erneut machen. Doch stattdessen verhält sich die Partei so, als hätte sie Angst vor jungen Wähler:innen. Immerhin rekrutieren die Unionsparteien seit jeher ihre Wählerschaft überproportional aus den Altersgruppen ab 60 Jahren.

Und das mit Erfolg: mit zweimaliger Ausnahme von insgesamt vier Jahren seit 1945 (mit Wilhelm Hoegner, SPD) stellt die CSU somit fast durchgehend den Ministerpräsidenten in Bayern. Aktuell ist es Markus Söder. Vermutlich wird er es auch weiterhin bleiben – die CSU kommt aktuell je nach Umfrage auf 39 bis 41 Prozent.

Durch eine Beteiligung der 16- und 17-Jährigen könnte langfristig die Wahlbeteiligung in Bayern angehoben werden. Das hat sich bereits in anderen Bundesländern und Ländern wie Österreich gezeigt, das 2007 als erstes europäisches Land das Wahlrecht ab 16 eingeführt hat.

Zur Landtagswahl 2023 im Oktober werden die 16- und 17-Jährigen wohl noch nicht mitwählen dürfen. Kerry Hoppe und Jannik Jürß sehen dennoch gute Chancen, dass das Thema eine große Rolle im Wahlkampf spielen wird – und dementsprechend auch in den gegebenenfalls anschließenden Koalitionsverhandlungen. Mit Blick auf vorangegangene Volksentscheide, wie etwa 1970, könnte es jedoch sein, dass die CSU zu Wahlkampfzwecken doch kurzfristig die Seiten wechselt.

Soll heißen: Wenn der öffentliche Druck auf die aktuelle Regierung groß genug ist, ist die Anti-Haltung der CSU nicht in Stein gemeißelt.

Das bekräftigt auch Politikwissenschaftlerin Ursula Münch von der Akademie für Politische Bildung in Tutzing im Gespräch mit dem "Sonntagsblatt": "Ich halte es durchaus für möglich, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sein Herz für die jungen Menschen entdeckt."

Dem Volksbegehren rechnet sie große Chancen zu. Die Zulassung durch das Innenministerium sei ihrer Meinung nach kein Problem. Spannend werde es dann, ob es gelingt, die zehn Prozent der Wahlberechtigten für den Volksentscheid zu mobilisieren.

Markus Söder verlost kuriosen Gegenstand mit seinem Gesicht – und kassiert Spott

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder ist bekannt dafür, dass er sich nicht immer nur auf seine Kernarbeit als Politiker konzentriert. Ihn sieht man längst nicht nur in Parlamenten, Talkshows, Bierzelten – ja, auch dort wird in Bayern Politik gemacht – und bei anderen jobbezogenen Anlässen. Längst hat Söder auch das Internet "erobert".

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