Immer wieder ploppt sie auf: Die Forderung, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. In vielen Bundesländern ist das bereits Realität, zumindest auf Landes- oder Kommunalebene. In Nordrhein-Westfalen, bei den schwarz-grünen Koalitionären in spe, steht die Forderung, das Alter auf Landesebene anzupassen nun im Sondierungspapier. Bis Ende Juni wollen die beiden Parteien ihren Koalitionsvertrag vorlegen.
Bisher hatten vor allem die Christdemokraten ein Problem damit, auch jungen Menschen eine Stimme zuzugestehen. Als bereits Ende 2020 im Düsseldorfer Landtag über die Absenkung des Wahlalters diskutiert wurde, beharrte die Union auf die Volljährigkeit, mit der das Wahlrecht einhergehen müsse. Ein gängiges Gegenargument: Wird das Wahlalter gesenkt, müsse auch das Alter für Strafmündigkeit gesenkt werden. Spannend ist: Auf kommunaler Ebene dürfen die Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen bereits ihr Votum abgeben. Nur auf Landesebene sind sie per Gesetz zu jung dafür.
Mit dem abgesenkten Wahlalter auf der kommunalen Ebene ist NRW nicht allein, bereits 1996 führte Niedersachsen dieses Recht ein. Die meisten anderen Bundesländer, bis auf Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Bayern und das Saarland, folgten. Schleswig-Holstein und Brandenburg gehen sogar einen Schritt weiter: Sie haben auch das Wahlalter für Landtagswahlen auf 16 Jahre heruntergesetzt.
Und auf Bundesebene? Da hat die Ampel-Koalition den Wunsch formuliert, das Wahlalter auf Bundesebene auf 16 Jahre herabzusenken. Als Versprechen kann das allerdings nicht gewertet werden, denn um diese Forderung zu realisieren muss das Grundgesetz geändert werden – und das geht nur mit einer zwei Drittel Mehrheit im Parlament. Also nur mit der Union.
Zuletzt hat der Bundestag im Mai 2021 einen entsprechenden Gesetzentwurf der Grünen abgelehnt. Das war allerdings unter der großen Koalition – also unter der CDU-Kanzlerin Angela Merkel.
Die Jungen Liberalen sprechen sich im Gespräch mit watson klar für das Wahlrecht ab 16 Jahren aus. Der stellvertretende Bundessprecher Paavo Czwikla begründet diese Sichtweise so:
Die Julis seien maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich die Absenkung des Wahlalters auch im Wahlprogramm der FDP festgeschrieben wurde. Czwikla fürchtet allerdings, dass das Wahlrecht ab 16 Jahren an der Union scheitern könnte. "Dass die CDU im größten Bundesland NRW nun bereit zu sein scheint, das Wahlrecht ab 16 einzuführen, freut uns", sagt er. Diese Entscheidung setze die Union auf Bundesebene nun unter Zugzwang, den Vorstoß der Ampel nicht zu blockieren. "Ein Ja in NRW bei einem Nein im Bund würde die Union unglaubwürdig erscheinen lassen", fasst Czwikla zusammen.
Watson hat auch die anderen Jugendorganisationen gefragt, wie sie auf das Wahlrecht ab 16 Jahren blicken, sie wollten sich aber nicht äußern.
Dass Jung- und Erstwählende besonders wahlfreudig sind, zeigt ein Blick in die Statistik: Sie haben mit Abstand den höchsten Anstieg bei der Wahlbeteiligung mit einem Plus von 3,9 Prozentpunkten zu verzeichnen. Die Generation Z ist politisch. Das zeigen die Proteste von Fridays for Future. Sie wollen mitbestimmen.
Nicht umsonst ist der heutige Bundestag viel jünger als in den Jahren zuvor. Jusos, Julis, Grüne Jugend und Junge Union: Die Jugendorganisationen der großen Parteien haben sich einen Platz im Parlament erkämpft. Befürwortende der Absenkung des Wahlalters sehen darin eine Chance, der allgemeinen Politikverdrossenheit, die sich in den vergangenen Jahren eingeschlichen hat, entgegenzuwirken.
Besonders eindrücklich hat die Wahl in NRW dieses Problem demonstriert: Nur 55,5 Prozent der Wahlberechtigten gaben hier im Mai ihre Stimme ab. Das sind fast zehn Prozent weniger als 2017 (65,2).
Aus Sicht des Jugendforschers Simon Schnetzer ist es wichtig, Dialogformate zwischen Politik und Jugendlichen zu etablieren. Das erklärte er im Gespräch mit watson. Er wirbt sogar dafür, einen verpflichtenden Jugend-Check einzuführen – junge Menschen könnten so Feedback zu bundespolitischen Debatten geben und die Politik maßgeblicher mitentscheiden.
Ähnlich sieht es der Rechtswissenschaftler Emanuel Towfigh. Für ihn stellt die Absenkung des Wahlalters eine Chance dar, Jugendliche auch im Erwachsenenalter regelmäßig an die Wahlurne zu locken. Er sagte im Gespräch mit der "Frankfurter Rundschau", die Wahrscheinlichkeit steige, "je früher man damit beginnt."
Es wäre nicht das erste Mal in der deutschen Geschichte, dass das Wahlalter herabgesenkt wurde. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass über diesen Schritt gestritten wird. In der Bundesrepublik im Jahr 1970 – unter Kanzler Willy Brandt (SPD) – sank die Altersgrenze für das aktive Wahlrecht von 21 auf 18 Jahre. Aktives Wahlrecht, das bedeutet, eine Person darf bei Wahlen ihre Stimme abgeben.
Auch damals gab es laute Proteste der Jungen: die 68er-Bewegung. Eines der Hauptargumente war damals, dass die 18- bis 20-Jährigen offensichtlich die politische Reife, das nötige Interesse und das Wissen hätten, um sich zu beteiligen. Der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) nannte die Absenkung des Wahlalters eine Möglichkeit, "die jungen Menschen an den Staat heranzuführen".
Passives Wahlrecht wiederum bedeutet, dass eine Person gewählt werden darf. Letzteres blieb auch 1970 an die Volljährigkeit geknüpft: Erwachsen waren die Menschen laut Gesetz damals aber nicht mit 18 Jahren, sondern erst mit 21 Jahren. Auch diese Altersgrenze wurde 1975 angepasst: Seither ist die Volljährigkeit mit 18 Jahren erreicht.