Verschleppt für KI-Love-Scams: Frauen erzählen von brutaler moderner Sklaverei
Wenn in Europa und den USA ahnungslose Personen Internetbetrug zum Opfer fallen, stecken oft Netzwerke aus Südostasien dahinter. Vor allem, wenn es um Love-Scam, also Liebesbetrug, geht, sind Kriminelle in fernen Ländern häufig die Drahtzieher. Ahnungslose User:innen verlieren im Glauben an die angebliche Liebe viel Geld. Doch selbst die vermeintlichen Täterinnen sind häufig Opfer.
Immer häufiger geraten Frauen in Südostasien in die Fänge krimineller Banden, wie die UN warnt. Sie werden verschleppt, misshandelt und gezwungen, mithilfe von KI-Tools globale Betrugsnetzwerke zu bedienen. Familien bleiben verzweifelt zurück, oft ohne jede Antwort darauf, ob ihre Angehörigen überhaupt noch leben.
Laut einer aktuellen Recherche von CNN wächst das Problem vor allem in Ländern wie Myanmar, Kambodscha und den Philippinen. Dahinter steckt demnach eine milliardenschwere Industrie, die Internet-Scams und Zwangsarbeit sowie sexuelle Gewalt miteinander verbindet.
Gewalt und Irrtum: Für normalen Job angeheuert und verschwunden
Viele Familien warten vergeblich auf die Heimkehr ihrer Liebsten. So auch eine Frau, die im CNN-Artikel Rose genannt wird. Sie kümmert sich seit Monaten um die zwei kleinen Kinder ihrer Schwester, Lily genannt. Die Filipina Lily hatte im April ein Kundenservice-Jobangebot in Taiwan angenommen, verschwand jedoch kurz nach der Abreise.
"Sie sagt, dass sie dort sterben will", schilderte Rose gegenüber CNN. Sie antwortete ihrer Schwester jedes Mal: "Bitte tu das nicht … dein Kind fragt immer, wann du nach Hause kommst." Lily wurde laut ihrer Familie nach Myanmar gebracht, wo sie monatelang festgehalten und gefoltert worden sei.
Rose verschweigt die Details vor dem Großteil der Verwandtschaft, um sie zu schützen. Für die Kinder bedeutet Lilys Verschwinden nicht nur den Verlust der Mutter, sondern auch den der wichtigsten Geldverdienerin. Dabei wollte sie aus finanziellen Gründen den Job antreten.
Gezielte Rekrutierung von Frauen für KI-Betrug
Expert:innen sprechen bei CNN von einer systematischen Strategie. Laut Daniele Marchesi, Landesdirektor des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) auf den Philippinen, würden Frauen zunehmend bevorzugt angeworben. Denn sie wirkten in Love-Scams überzeugender und dienten in Videochats und kurzen Calls als vertrauenswürdiges "Gesicht" der Betrugsmasche.
"Wenn du nicht performst, wirst du in ein anderes Gebäude versetzt und bekommst eine neue Aufgabe", sagte Marchesi dem Medium. Dazu könne Zwang oder Androhung zur Sexarbeit gehören.
Opfer berichten, dass sie mit KI-Tools wie KI-Gesichts-Filtern und Stimmverzerrung arbeiten mussten, um romantische Beziehungen vorzutäuschen und Menschen weltweit zu manipulieren. Opfer finden sie etwa in den USA, Australien und Europa. Wer sich weigert, werde geschlagen oder sexuell missbraucht.
Moderne Sklaverei: Gefangen in Scam-Fabriken
Auch die vierfache Mutter, Casie genannt, wurde laut CNN nach der Zusage für einen vermeintlichen Job in Hongkong nach Kambodscha verschleppt. Dort musste sie Erpressungsanrufe tätigen.
Als sie auf Facebook sah, dass ihre eigene Rekrutiererin philippinische Arbeiterinnen für 60.000 Pesos (etwa 2800 Euro) pro Person verkaufte, konfrontierte sie die Frau: "Warum tust du uns das an? Wir sind alle Filipinas. Du hast uns belogen."
Über die Situation sagte Casie: "Innerlich hatte ich große Angst." Sie wurde schließlich im April durch die philippinische Botschaft befreit. Zuvor war sie monatelang mit Schlafentzug, Entzug von Mahlzeiten und körperlichen Strafen gequält worden.
Eine weitere Frau, die von CNN Charlotte genannt wird, zeigte Fotos der Verletzungen ihrer Tochter, die in Myanmar festgehalten wird: Darauf seien großflächige Blutergüsse am gesamten Körper zu sehen. Zweimal sei ihre Tochter dazu gezwungen worden, sich vor ihren Bossen nackt auszuziehen und filmen zu lassen.
Charlotte sagte zu CNN: "Sie hatte keinen BH. Sie war nackt. Sie schämte sich. Ich weine, wenn ich daran denke." Die Familie musste fast alle Besitztümer verkaufen, um überleben zu können. "Es ist so schwer, die Kinder zu ernähren und sie zur Schule zu schicken", sagte Charlotte.
Kriminelles System hinter dem Love-Scam-Netzwerk
CNN erhielt Zugang zu einem verlassenen Scam-Komplex etwa drei Stunden nördlich von Manila. Das rund zehn Hektar große Gelände gleicht einer Kleinstadt: Es gibt dort Großraumbüros, Massenunterkünfte, eine Villa für die Chefs mit Pool, Weinkeller und privaten Tunneln zur Flucht.
Der mutmaßliche Betreiber, Huang Zhiyang, floh laut philippinischen Behörden durch einen geheimen Tunnel. Ein Haftbefehl wegen Menschenhandels liegt vor, sein Aufenthaltsort ist unbekannt.
Die Ermittlungen laufen seit Monaten, doch die Behörden sprechen von einer enormen Herausforderung: Verstrickte lokale Strukturen, korrupte Beamte und schwer bewaffnete Gruppen in Myanmar und Kambodscha erschweren den Zugriff.
Während sich Regierungen gegenseitig Verantwortung zuschieben, bleibt den Familien nur das Warten. Viele organisieren sich in inoffiziellen Netzwerken, tauschen Nachrichten aus den Lagern aus und versuchen, gemeinsam Druck auf die Politik aufzubauen. Jede neue Nachricht kann ein Lebenszeichen sein. Oder aber der Hinweis auf weitere Gewalt.
