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Risikofaktor Einsamkeit: Gesamtgesellschaftliche Aufgabe statt Einzelschicksal

Einsamkeit ist in Deutschland ein gesamtgesellschaftliches Problem
Einsamkeit ist in der Moderne ein großes Problem für Gesellschaften.Bild: pexels / sam Lion
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Risikofaktor Einsamkeit: Warum es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist

13.12.2023, 09:01
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Und plötzlich war das Leben, wie wir es kannten, nicht mehr da. Ausgelassen Feiern in großen Gruppen, ein Abend in der Bar, ein Ausflug in die Schwimmhalle, der Gang ins Großraumbüro, der Besuch eines Theaterstücks: unmöglich. Von jetzt auf gleich haben viele Menschen gelernt, was es bedeutet, sich einsam zu fühlen. Zwei Jahre lang stand das soziale Leben immer wieder still. Mittlerweile ist die Pandemie überwunden, der normale Wahnsinn zurück. Das Leben ist wieder laut – und trotzdem fühlen sich viele Menschen einsam.

Die Einsamkeit, sie ist eine Epidemie. Sie kann die Demokratie gefährden, weil Menschen, die sich einsam fühlen, leichter von Antidemokrat:innen eingefangen werden können. Aber nicht nur für unser Gesellschaftssystem ist Einsamkeit ein Problem, sondern auch und gerade für jene, die sie am eigenen Leib erfahren.

Einsamkeit betrifft bei weitem nicht nur alte Menschen. Wie das Kompetenznetzwerk Einsamkeit (KNE) auf watson-Anfrage mitteilt, fühlen sich etwa 14 Prozent der Bevölkerung immer wieder einsam. Das KNE beschäftigt sich mit der Erforschung von Ursachen und Folgen von Einsamkeit.

Die Idee des Netzwerkes ist es, Informationen zu sammeln und zu bündeln. Es will außerdem die Ampelregierung bei ihrer Strategie gegen Einsamkeit beraten. Diese wird aktuell im Bundesfamilienministerium entwickelt.

Denn auch wenn Einsamkeit lange als persönliches Schicksal galt: Mittlerweile wird sie als gesellschaftliches Problem angesehen. "Einsamkeit ist die traurigste Realität des modernen Lebens", erklärte beispielsweise die frühere britische Premierministerin Theresa May, als sie im Vereinigten Königreich ein Einsamkeitsministerium einführte.

Einsamkeit kann jeden treffen – Risiko für vulnerable Gruppen größer

"Besonders gefährdet sind Menschen in Übergangssituationen im Leben, wie dem Einstieg in Studium, Ausbildung, Beruf und Rente oder wenn die Person von einem Schicksalsschlag ereilt wird, wie bei einer Trennung oder dem Verlust eines geliebten Menschen", heißt es vom KNE. Aber auch armutsbetroffene Menschen und Bürgergeldbezieher:innen seien einem erhöhten Einsamkeits-Risiko ausgesetzt.

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Die Zusammensetzung des sozialen Netzes, meint KNE, verändert sich mit der Dauer der Armut. Die Anzahl derer, die in einer vergleichbaren Lebenssituation seien, wie man selbst, wachse an – die Kontakte zu Erwerbstätigen oder Nicht-Armutsbetroffenen würden demnach abnehmen.

Menschen mit niedrigerem Einkommen erführen laut Studien außerdem größere Isolation und ein geringeres Zugehörigkeitsgefühl als Menschen, die mehr verdienen. Hinzukäme, dass Armut nach wie vor stigmatisiert wird.

Auch andere Menschen in vulnerablen Lebenssituationen sind einem erhöhten Einsamkeitsrisiko ausgesetzt. So etwa Geflüchtete, Menschen mit Migrationsgeschichte, queere Menschen, Alleinerziehende oder auch Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, Menschen mit Behinderung oder chronischen Krankheiten, zählt das Netzwerk in diesem Zusammenhang auf.

Wie sich Einsamkeit konkret anfühlen kann? Eine betroffene watson-Leserin, Elisabeth (Name geändert), beschrieb ihre Einsamkeit in einem früheren Gespräch mit watson so:

"Natürlich kann ich auch alles allein unternehmen und das auch genießen, aber wenn niemand da ist, mit dem ich darüber sprechen kann, kann ich die erlebte Freude auch nicht teilen. Und dann ist diese Freude wie eine gelernte Sprache, die ich nicht anwenden kann."

Einsamkeit: kein exklusives Problem der Großstädte

Die Verzweiflung ist groß. Die Frustration ebenfalls. Einsamkeit ist im Übrigen kein rein urbanes Problem – auch wenn das Leben in anonymen Großstädten, wie Berlin, wo viele nicht einmal mehr ihre direkten Nachbarn kennen, naheliegend erscheint. Die Ergebnisse eines deutschlandweiten Vergleichs zeigten regionale Unterschiede, nicht aber, dass diese mit Bevölkerungsdichte oder Siedlungsart zusammenhängen, meint das KNE.

Konkret zeigten die Daten: In Ostdeutschland fühlen sich mehr Menschen einsam, als im Westen. Mit Blick auf Westdeutschland zeige sich aber: Im ländlichen Raum gebe es sowohl überdurchschnittlich hohe (im Nordwesten, Mitteldeutschland oder Bayern) als auch sehr geringe (ebenfalls in Bayern) Einsamkeitswerte. Statt um die Bevölkerungsdichte gehe es vielmehr um sozialökonomische und demografische Dynamiken sowie die Abgelegenheit der Region.

04.04.2023, Berlin - Deutschland. Blick vom Kienberg aus auf die Wohngebiete Marzahn - Hellersdorf. *** 04 04 2023, Berlin Germany view from Kienberg to residential areas Marzahn Hellersdorf
Einsamkeit ist nicht nur ein Problem anonymisierter Großstädte.Bild: imago images / /Sabine Gudath

Das bedeutet: Gibt es Infrastruktur, wie etwa Brücken oder Bahntrassen, sind Menschen und Räume miteinander verbunden. Das kann helfen. Außerdem sinnvoll gegen Vereinsamung: Orte für Menschen. Etwa Parks, Spielplätze oder Einkaufszentren. All das seien niedrigschwellige Möglichkeiten, mit Menschen in Kontakt zu treten.

Klar ist, das Problem Einsamkeit muss gesamtgesellschaftlich und politisch angegangen werden. Denn sie belastet nicht nur das Individuum, sondern auch unsere Demokratie und sogar das Gesundheitssystem. Einsamkeit kann krank machen.

Einsamkeit ist ein enormes Gesundheitsrisiko

Die Auswirkungen, die Einsamkeit auf die psychische und physische Gesundheit hat, sind laut KNE enorm. Häufig gebe es auch eine Wechselbeziehung von Einsamkeit und psychischen Erkrankungen:

"Eine Person, die über Jahre unter Einsamkeit leidet, hat ein erhöhtes Risiko, an depressiven Störungen und suizidalen Gedanken zu leiden. Gleichzeitig bedingt eine depressive Störung auch die Entstehung von Einsamkeit."

Und nicht nur das. Einsamkeit wird laut KNE auch mit der Entstehung von Angststörungen, sozialen Phobien, Schlafproblemen oder auch Demenzerkrankungen in Verbindung gebracht. Auch hier bestünden wechselseitige Beziehungen. Einsamkeit bedingt also die Erkrankungen, diese können aber auch umgekehrt zu Einsamkeit führen. Einsamkeit kann sich aber nicht nur seelisch, sondern auch körperlich äußern: Diabetes oder auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sowie eine geringere Lebenserwartung können die Folge sein.

Einsamkeit kann Menschen krank machen, nicht nur psychisch sondern sogar physisch.
Einsamkeit kann Menschen sowohl psychisch als auch physisch krank machen.Bild: pexels / michael jay salcedo

"Chronische Einsamkeit wirkt sich zudem negativ auf das Denken, Erleben und Verhalten von einsamen Menschen aus", erklärt das KNE. Chronisch einsame Menschen gerieten demnach oft in eine Abwärtsspirale aus negativen Gedanken- und Verhaltensmustern, die ihre Einsamkeit verstärken können. Ein anderer betroffener watson-Leser, Niko (Name von der Redaktion geändert), beschrieb in einem früheren Gespräch mit watson seine Einsamkeit:

"Ich stehe vor einer Wand, weiß nicht, was ich falsch mache und bin fest davon überzeugt, dass ich schuld bin. Schuld woran? Keine Ahnung. Fest steht: Ich bin schuld."

Kleine Schritte aus der Einsamkeit

Wie aber mit der Epidemie umgehen? Zunächst, heißt es vom KNE, kann jede:r etwas gegen die Einsamkeit in der Gesellschaft tun. Denn was hilft, sind alltägliche zwischenmenschliche Kontakte. Ein Schnack im Hausflur, Klönen an der Kasse. "Ein erster wichtiger Schritt kann es sein, die Augen und Ohren im eigenen sozialen Umfeld offenzuhalten und auf andere Menschen zuzugehen", erklärt das Kompetenznetzwerk Einsamkeit.

Frau shoppt nachhaltig, an der Kasse mit Kassierer
Schon alltägliche Begegnungen können gegen chronische Einsamkeit helfen.Bild: iStockphoto / monkeybusinessimages

Es brauche aber auch gesellschaftliche und politische Maßnahmen. Und dazu gehöre auch die Sensibilisierung der Gesellschaft. Denn: "Einsamkeit ist bei vielen Menschen mit Scham- und Schuldgefühlen verbunden, die das Sprechen über Einsamkeit erschweren. Für viele Betroffene sind dadurch die Auswege aus der Einsamkeit erschwert." Wichtig seien daher auch niedrigschwellige Hilfs- und Unterstützungsangebote.

Letztlich müsse Einsamkeit in diversen gesellschaftlichen Bereichen mitgedacht werden.

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