Wird es Giffey wirklich nochmal versuchen? Eigentlich hat die Berliner Bürgermeisterin die Wahl verloren – doch sie will im Amt bleiben.Bild: dpa / Sebastian Christoph Gollnow
Analyse
13.02.2023, 08:2313.02.2023, 08:32
Für die Berliner SPD ist es ein Schock: Am Sonntag haben die Berliner:innen gewählt und nach mehr als 20 Jahren das erste Mal wieder die CDU an die Spitze des Landesparlamentes, dem Abgeordnetenhaus, gewählt. Und das auch noch mit einem krachenden Erfolg.
Die CDU legte dem vorläufigen Endergebnis zufolge um 10,2 Prozentpunkte zu (28,2). Während die SPD mit ihrer Spitzenkandidatin, der bisher Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey, um 3,1 Prozentpunkte abrutscht (18,4) und sich mit den Grünen den zweiten Platz teilt.
Watson hat für euch die wichtigsten Lehren aus dieser Landeswahl zusammengefasst.
Vieles ist möglich
Die SPD hat zwar klar verloren, dennoch ist eine mögliche Regierungsbildung mit der noch Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey nicht ausgeschlossen. Denn in einer Demokratie kommt es nicht gezwungenermaßen darauf an, welche Partei bei der Wahl die meisten Stimmen bekommen hat, sondern, wer für eine Mehrheit sorgen kann.
Um eine Mehrheitsregierung bilden zu können, braucht eine Koalition im Berliner Senat – also die Regierung – 74 Sitze im Abgeordnetenhaus.
So sehen die möglichen Koalitionen aus:
- CDU (52 Sitze) und Grüne (34 Sitze)
- CDU (42 Sitze) und SPD (34 Sitze)
- Grüne (34 Sitze), SPD (34 Sitze) und Linke (22 Sitze)
Bild: Landeswahlleiter Berlin / Amt für Statistik Berlin-Brandenburg
Als der Wahlkampf so langsam ins Rollen kam, wollten sowohl Grüne als auch die CDU kein böses Blut fließen lassen. Es gab Annäherungsversuche, man spreche miteinander, menschlich sei man sich positiv gesonnen, hieß es von den Parteispitzen.
Doch dann kam Silvester. Und mit den Krawallen in der Nacht zum 1. Januar kamen die Gegensätze von Schwarz und Grün wieder deutlich zum Vorschein. Die CDU fragte nach den Vornamen der Verdächtigen, was die Grünen mächtig aufbrachte.
Der Fisch stinkt vom Kopfe her
Es ist ein altes deutsches Sprichwort und Phrasen sind oft nervig. Aber in diesem Fall passt es leider so gut: Der Fisch stinkt vom Kopfe her. Es passt so gut, weil die SPD diese Wahl vermutlich nicht ganz so fies verloren hätte, hätte sie auf einen anderen Kopf gesetzt, als auf Franziska Giffey.
Giffey hat eine lange Vorgeschichte. Sie trat als Bundesfamilienministerin zurück, weil es Vorwürfe gab, sie habe ihre Doktorarbeit plagiiert. Im Mai 2021 erkannte ihr die Freie Universität Berlin den Doktortitel ab. Giffey zog schon vorher die Reißleine, um glaubwürdig zu bleiben. Damals war schon klar, dass sie im Herbst in Berlin als Spitzenkandidatin ins Rennen geht.
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Und das stieß damals schon vielen sauer auf. Auch, wenn sich das zunächst nicht in den Zahlen zeigte: Die SPD verlor nicht so viele Stimmen, wie man anfangs gedacht hatte.
Kritiker:innen wollten keine abtrünnige Bürgermeisterin. Was nicht gut genug für den Bund ist, ist auch nicht gut genug für Berlin – so könnte man es frei übersetzen. Anders war es etwa bei Michael Müller. Als er 2014 den damaligen Stadtchef Klaus Wowereit ablöste, war er bereits seit drei Jahren Stadtentwicklungssenator und hatte damit das größte Ressort im damaligen SPD/CDU-Senat inne. Zuvor war er zehn Jahre SPD-Fraktionschef und acht Jahre Parteivorsitzender. Er war durch und durch Berlin. Und gewann dann auch 2016 die Wahlen.
Michael Müller zog 2021 in den Bundestag ein.Bild: dpa-Zentralbild / Britta Pedersen
Interessant ist aber: Im Vergleich zu 2016 hat die SPD jetzt, 2023, gar nicht so viele Stimmen verloren. Damals kam sie mit Müller auf 21,6 Prozent. Das sind 0,2 Prozentpunkte mehr als 2021 und 3,2 Prozentpunkte mehr als heute.
Man hätte als SPD dennoch lieber mit einem Kopf ins Rennen gehen sollen, der nicht vorbelastet war. Jemand, mit dem man einen frischen Wind hätte andeuten können. Ohne Plagiatsgeschichte und verpatzten Wahlen.
Denn nach den Wahlen im Herbst 2021 – weswegen die Wahl ja überhaupt erst wiederholt werden musste –, war klar, dass man Stimmen verlieren wird. Und auch, dass die Oppositionspartei CDU genau damit Wahlkampf machen wird. Auch wenn Giffey bei den Wahlvorbereitungen noch kein Amt in Berlin innehatte, verbinden die Wähler:innen die verpatzte Wahl mit ihr. Anders hätte es vielleicht kommen können, hätte die Berliner SPD, hätte Giffey, Platz für jemand Neuen gemacht.
Noch will Giffey an ihrem Amt festhalten, will sogar versuchen, selbst eine Koalition zu stricken. Doch die Forderungen nach einem Rücktritt werden langsam aber sicher lauter.
Ob die Grünen da so mitziehen werden, ist zunächst nicht sicher. Deren Spitzenkandidatin Bettina Jarasch wollte eigentlich einen Wechsel bei den Machtverhältnissen.
CDU schwebt auf Wolke sieben, Grüne zufrieden, aber angefressen
Für die CDU ist das natürlich ein Traumergebnis. In den ganzen Prognosen und Umfragen vorab zeichnete sich zunächst ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Volksparteien ab. Und jetzt: Die Union macht ein Plus von sage und schreibe 10,2 Prozentpunkten. Das kann sich sehen lassen.
Sie zieht damit mit Vollgas an der SPD vorbei. Mit 28,2 Prozent ist das Ergebnis makellos.
Wahlsieger Kai Wegner lässt sich am Sonntag feiern.Bild: www.imago-images.de / Mike Schmidt
Nun muss sich der CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner auf die Suche nach der geeigneten Koalition machen. Für den Landesgeschäftsführer der Berliner Jungen Union, der CDU-Jugendorganisation, Salahdin Koban, kommt die SPD hierfür erstmal nicht infrage. Gegenüber watson sagt er am Wahlabend, die SPD sei bereit für die Opposition. "Schwarz-Grün halte ich für sehr interessant", sagt er weiter.
Als Jugendorganisation der CDU sei man sehr stolz. "Wir haben einen guten Wahlkampf eng an der Seite der CDU Berlin mit Kai Wegner geführt – die Berlinerinnen und Berliner haben uns einen klaren Regierungsauftrag gegeben."
"Wir sind jung, gut aussehend und Berlin. Wir lieben die Stadt, aber sie wird einfach nicht gut regiert."
JU-Landesgeschäftsführer Salahdin Koban
Für den Wahlkampf dankt er allen Mitgliedern aus den Kreisverbänden und den Kreisvorsitzenden. Weiter sagt er: "Wir sind jung, gut aussehend und Berlin. Wir lieben die Stadt, aber sie wird einfach nicht gut regiert – das ist eine Tatsache und nun werden wir ein Angebot für alle Berlinerinnen und Berliner machen."
Egal ob Bildungs- oder Verkehrschaos, für Koban ist klar: "Wir werden eine bessere Politik machen als die Vorgängerregierung. Das hängt natürlich noch davon ab, mit wem wir koalieren."
Für die Grünen ist der Abend hingegen ein zweischneidiges Schwert. Sie haben nicht sonderlich viele Wähler:innen verloren, nur 0,5 Prozent. Allerdings ist deren liebste Koalition, Rot-Grün-Rot, vermutlich jetzt Geschichte. Frust macht sich bei den Mitgliedern breit.
Der Landessprecher der Grünen Jugend, Kasimir Heldmann, drückt es so aus:
"Das Ergebnis der CDU ist enttäuschend. Die CDU ist eine Partei für die älteren und reicheren Berliner:innen. Die CDU macht Politik gegen die Jugend Berlins, deswegen wählt die Jugend grün. Verbesserungen für die Mehrheit der Berliner:innen lassen sich nur in einer grün-rot-roten Regierung erkämpfen."
Natürlich schließt er eine Regierungskoalition mit der CDU nicht aus. In jeglicher Regierungskonstellation werde sich die Partei "für progressive Politik und soziale Gerechtigkeit einsetzen". Doch Heldmann macht auch eine Ankündigung: "In Zukunft werden wir den dafür notwendigen Druck noch mehr auf der Straße aufbauen."
FDP vermutlich raus – muss die Linke in die Opposition?
Die FDP wird vermutlich nicht mehr im Parlament sitzen. Auch für die Linken hat es einen Stimmenverlust gegeben, was von deren Jugendorganisation erstmal gar nicht so negativ bewertet wird.
Lisa Pfitzmann, Mitglied des Landessprecher:innenrats der Linksjugend Berlin, sagt gegenüber watson: "Gemessen an dem Negativtrend ist es gerade schon positiver ausgegangen, als es erwartet wurde." Denn bundesweit ist die Linke seit Jahren schon auf dem Abstieg. Bei der Bundestagswahl schaffte es die Partei nur durch Überhang- und Direktmandate in den Bundestag.
Pfitzmann sieht die vergleichsweise positiven Ergebnisse in der starken Berliner Basisarbeit. "Während des Wahlkampfes gab es eine stärkere Aktivierung der Basis. Jetzt wird wichtig, dass die von der Basis getroffenen Beschlüsse ernst genommen und im Parlament vertreten werden. Von der Linken."
Vergesellschaftung. Abschiebestopp. Umstieg auf den kostenlosen ÖPNV. Ausbildungsoffensive, Stopp des Ausbaus der Innerstädtischen Autobahn 100. Das sind für die Linksjugend Voraussetzungen, um überhaupt in einer Regierungsbeteiligung einzutreten. Doch viele Möglichkeiten bieten sich der Linken nicht.
Und Pfitzer sagt ganz deutlich: "Mit der CDU zu koalieren, kommt überhaupt nicht infrage."