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Angela Merkel: Was vom Abend mit der Altkanzlerin bleibt

Angela Merkel bei der Verleihung des Verdienstkreuzes 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Ulrich Matthes durch den Bundespräsidenten im Schloss Bellevue. Berlin, 03.05.2022
Angela Merkel bei der Verleihung des Bundes-Verdienstkreuzes an Schauspieler Ulrich Matthes im Mai 2022.Bild: Geisler-Fotopress / Frederic Kern/Geisler-Fotopress
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"Was also ist mein Land?": Was vom Abend mit Alt-Kanzlerin Angela Merkel bleibt

08.06.2022, 08:1608.06.2022, 17:45
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Es ist ihr erster öffentlicher Auftritt, seit ihrem Rückzug aus der Politik. Im Gespräch mit "Spiegel"-Redakteur Alexander Osang hat Angela Merkel am Dienstagabend im Berliner Ensemble über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine gesprochen. Über ihr neues Leben als Privatfrau und die Beziehung zur neuen Regierung und Kanzler Olaf Scholz. Das Motto des Abends: "Was also ist mein Land?". Genauso heißt das Buch, in dem Merkel drei ihrer Reden zusammengefasst hat. Darum gehen wird es im Interview allerdings kaum.

Osang ist journalistisch gesehen ein langjähriger Begleiter der Kanzlerin a.D. und er moderiert an diesem Abend. Die beiden, Osang und Merkel, kennen sich gut, immer wieder hat Osang die Alt-Kanzlerin in den vergangenen 20 Jahren getroffen, interviewt. Hat versucht, sie zu porträtieren, wie er es selbst ausdrückt. An diesem Abend interviewt er sie als "die Bürgerin" Angela Merkel. Ein Gespräch, das "hoffentlich offener ist, als zu ihrer Amtszeit".

Was von dem Gespräch im Berliner Ensemble übrig bleibt, hat watson für euch in drei Punkten zusammengefasst.

Die Alt-Kanzlerin verurteilt den russischen Angriff

"Mit dem 24. Februar ist eine Zäsur entstanden, und die beschäftigt mich sehr", antwortet Angela Merkel auf die Frage, wie es ihr geht. Mit Zäsur meint sie den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Auch sie sei hin und wieder bedrückt deshalb.

Dass Putin seine Truppen zusammengezogen hat, habe Merkel noch in ihrer Amtszeit verfolgt. Erste Meldungen gab es beim G20-Gipfel in Rom Ende Oktober. "Ich habe in meinem letzten Amtsjahr noch mitbekommen, dass Putin sich vom Minsk-Protokoll verabschiedet hatte", sagt sie. Dieses Protokoll sollte eigentlich die Ostukraine befrieden. Merkel habe auch den Besuch von Olaf Scholz in Moskau verfolgt und gehofft, dass sich die Lage noch entspannen würde.

Ein Vorteil sei trotz allem, dass der Regierungswechsel so reibungslos abgelaufen ist. "Wir haben zueinander vertrauen", sagt Merkel. Und weiter: "Das macht die Sache in aller Bekümmernis aushaltbarer." Trotzdem frage sie sich, wie die aktuelle Situation hätte verhindert werden können. Sie sei glücklich, dass sie sich selbst nicht vorwerfen kann, zu wenig versucht zu haben. Denn sie sei immer in den Dialog gegangen.

ARCHIVFOTO: Alt Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wladimir PUTIN. Bundeskanzlerin Angela MERKEL und Wladimir PUTIN Besuch und Empfang des russischen Praesidenten mit militaerischen Ehren im Bundeskanz ...
Bild: SVEN SIMON / Annegret Hilse / SVEN SIMON

Warum Merkel gegen den Membership-Action-Plan der Ukraine für die Nato gestimmt hatte? "Das Land war damals noch nicht die Ukraine, die wir heute kennen", sagt Merkel. Die Ukraine sei nicht bereit gewesen. Zu viel Korruption, zu wenig Rechtsstaat. Zu viele Unstimmigkeiten innerhalb des Landes. "Außerdem war klar, dass Putin sich dadurch provoziert fühlen würde", sagt Merkel. Sie teile die Ansichten des russischen Präsidenten nicht, aber sie wisse, wie er denkt.

"Ich will mir nicht vorstellen, ich hätte kein Vertrauen in die jetzige Bundesregierung", fasst Merkel zusammen. Sie unterstützt Olaf Scholz. Auch bei Nachfragen von Osang, worüber Merkel und Scholz im Zusammenhang mit der Ukraine gesprochen hätten, sagt sie nichts.

"Ich habe nicht daran geglaubt, dass Putin durch Handel gewandelt wird."

Wovon sie allerdings berichtet: ein Gespräch im Jahr 2007 mit Putin. Er erzählte ihr damals, dass der Zerfall der Sowjetunion das schlimmste für ihn gewesen sei. Sie erzählte ihm, dass der Fall ihr größtes Glück gewesen war. Der Dissens habe sich immer weiter verschärft. Eine Sicherheitsarchitektur ohne Russland sei in Europa trotzdem schwierig gewesen. Merkel stellt klar: "Dieser Überfall auf die Ukraine findet keinerlei Rechtfertigung!" Der Angriffskrieg sei ein großer Fehler.

Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagiert im Berliner Ensemble auf eine Frage des Journalisten und Autors Alexander Osang. Unter dem Motto „Was also ist mein Land?“ beantwortete sie s ...
Angela Merkel beim Interview im Berliner Ensemble.Bild: dpa / Fabian Sommer

Die Alt-Kanzlerin werde sich nicht entschuldigen, für die Situation in der Ukraine, weil sie sich nichts vorwerfen könne. "Ich habe nicht daran geglaubt, dass Putin durch Handel gewandelt wird", sagt Merkel. Ihr sei bewusst gewesen, dass Putin die Europäische Union zerstören wollte – aber ignorieren habe sie ihn nicht können. Sie selbst habe immer wieder für Sanktionen geworben, hätte auch gerne härtere Sanktionen für die Krim gehabt. "Das war damals nicht mehrheitsfähig, aber wir haben auch nicht nichts gemacht", sagt Merkel.

Sie wolle, dass die Ukraine aus diesem Krieg möglichst gut herauskommt. "Das wollte ich immer." Nach der Annexion der Krim habe es einen tiefen Einschnitt zwischen ihr und Putin gegeben. Sie habe gewusst, Putin will Deutschland nichts Gutes. "Aber ich kann ihn ja nicht aus der Welt schaffen."

Merkel bleibt Merkel

Auf persönlicher Ebene gehe es ihr allerdings prima, es sei ein schönes Gefühl, selbstbestimmt aufgehört zu haben. Es habe innenpolitisch eine neue Regierung hergemusst.

"Es war ihre Entscheidung zurückzutreten", fängt Osang seine Frage an.

"Nicht wieder anzutreten", korrigiert Merkel.

"Ok, für mich sind Sie zurückgetreten. Aber wie ist das, kann man einfach aufhören?", fragt Osang.

Es liege in der Natur der Demokratie, dass es einfach ist, die Macht wieder abzugeben, sagt Merkel. Mit einer Amtszeit von 16 Jahren habe sie kein Unterkontingent, was die Jahre als Kanzlerin angehe. Merkel sagt:

"Es ist wichtig, dass neue Gedanken reinkommen. Ich habe nach 16 Jahren gemerkt, dass ich in manchen Momenten nicht mehr ganz so kampfesfreudig war, wie noch acht Jahre früher."

Neue Gedanken hatte sich Merkel natürlich trotzdem von einem Nachfolger aus ihrer eigenen Partei gewünscht. Eine CDU-geführte Bundesregierung. Aber nun sei es, wie es sei.

Olaf Scholz und Angela Merkel bei der 17. Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland im Paul-Löbe-Haus. Berlin, 13.02.2022
Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD) bei der Wahl des Bundespräsidenten 2021.Bild: Geisler-Fotopress / Frederic Kern/Geisler-Fotopress

Die Entwöhnung von Nachrichten und der dauerhaften Information nimmt Merkel nicht so ernst: Durch ihr Alt-Kanzlerinnen-Büro habe sie noch immer guten Zugang zu Nachrichten. "Und ich kann mir Zeitungen kaufen", frotzelt Merkel. Der Alt-Kanzlerin ist anzumerken, dass sie sich in der Gesprächssituation entspannen kann. Sich ein bisschen mehr fallen lassen kann, als in ähnlichen Situationen während ihrer Amtszeit.

Trotzdem müsse sie heute mehr darauf achten, zu welchen Punkten sie sich äußert. "Es ist nicht mein Job, Kommentare von der Seitenlinie zu geben." Was genau eine Bundeskanzlerin außer Dienst ist, findet sie noch raus, sagt sie.

Was Merkel aber wichtig ist: Einladungen selbst aussuchen. Sie möchte keinen Terminstress mehr haben. Sie selbst nennt das "Wohlfühltermine" wahrnehmen. Sie möchte weiterhin etwas für das Land tun, aber sich nicht mehr zu allem äußern. "Natürlich hat vieles eine Vorgeschichte und ich bin für vieles mitverantwortlich", sagt Merkel. Dass sie sich nun ein halbes Jahr zurückgezogen hatte, habe sie angekündigt. "Ein halbes Jahr Urlaub nach 16 Jahren Kanzlerschaft ist nun keine so lange Zeit", witzelt sie.

Mehr Bewegung, mehr Romane, mehr europäische Geschichte

In dem halben Jahr ist Merkel vor allem herumgereist: Im Winter war sie erst einmal an der Ostsee – fünf Wochen. Allein. "Ich habe die Zeit gut rumbekommen", sagt Merkel. Sie hat sich für die Ostsee im Winter entschieden, weil das Meer sie beruhige und im Sommer zu viel los ist, sagt Angela Merkel.

"Ich hab mir das Feld des Hörbuchs erarbeitet", sagt sie. Das sei nicht ganz so herausfordernd, wie lesen. Aber auch dicke Bücher verschlingt die Alt-Kanzlerin nun wieder. Und bewegen möchte sie sich, nach 16 Jahren Kanzlerinnenschaft, auch wieder mehr.

Angela Merkel the ex-chancellor of germany on a terrace of a Roman palace overlooking St. Peter's Square, sees the ceremony conducted by Pope Francis on Palm Sunday Rome (Italy) 10 April 2022 Pop ...
Alt-Kanzlerin Angela Merkel bei einer Reise nach Rom im Frühjahr 2022.Bild: Spaziani / Stefano Spaziani

Wie sie ihre neue Freizeit außerdem nutzen möchte: Sie will lernen. Über die europäische Kultur und Geschichte. Sie war gerade in Rom und hat sich dort Museen und Monumente angeschaut. Sie möchte sich mehr mit der Renaissance auseinandersetzten. Weil die wichtig gewesen ist für die Aufklärung.

Osang spricht Angela Merkel auf eine Aussage des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyks an. Der meinte nämlich, Merkel solle lieber nach Butscha fahren, als nach Rom. Die Alt-Kanzlerin habe Respekt für Selenskji und die Ukrainer. Trotzdem stellt aber sie klar, dass sie sich einer solchen Forderung nicht nachkommen werde: "Ich darf ja jetzt nicht den Rest meines Lebens, egal was auf der Welt passiert, nicht mehr verreisen dürfen und nur noch in die Uckermark gehen."

Über das Buch "Was also ist mein Land?", haben Osang und Merkel an diesem Abend nicht gesprochen. Ganz am Ende nur stellt Osang es nochmal vor. Merkel witzelt, lacht. "Ich hätte noch die Havard-Rede reingemacht, die fand ich auch gut", sagt Osang. "Ich auch", sagt Merkel. Die Rede, die aber im Buch abgedruckt ist, ist die vom 3. Oktober. "Ich sitze dann noch ein bisschen da draußen, also wenn sie wollen signiere ich ihnen ein Buch", sagt Merkel zum Publikum im Berliner Ensemble.

Der Saal klatscht. So nah sind die Bürgerinnen und Bürger ihrer Kanzlerin selten gekommen. Ihren viel zitierten Humor, hat die Kanzlerin a.D. an diesem Abend gezeigt. Und die Menschen an ihren Gedanken teilhaben lassen: Zwei Dinge, die während ihrer Amtszeit nahezu undenkbar waren.

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