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Nach dem Amoklauf in Heidelberg: Warum junge Menschen an Unis und Schulen töten

Menschen legen vor einem Gebäude der Universität Blumen und Kerzen an den Wegesrand. Gestern war ein 18 Jahre alter Student mit einer Schrotflinte bei laufender Vorlesung in den Hörsaal des Gebäudes g ...
Nach dem Amoklauf an der Uni Heidelberg legen junge Menschen Kerzen in der Nähe des Tatorts nieder. Bild: dpa / Uwe Anspach
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Nach dem Amoklauf in Heidelberg: Was bringt junge Menschen dazu, in ihrer vertrauten Umgebung wahllos andere Menschen zu töten? Das sagen Experten

Seit Jahrzehnten beschäftigen sich Wissenschaftler damit, was einen jungen Menschen dazu treibt, scheinbar wahllos andere zu töten Nach der Tat von Heidelberg stellt sich die Frage: Passiert das besonders häufig in Schulen und an anderen Bildungseinrichtungen?
27.01.2022, 18:3827.01.2022, 20:08
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Triggerwarnung Gewalt: Es folgt eine Auflistung von Amokläufen in Deutschland

19. Februar 2002 in Freising
Ein 22-Jähriger erschießt zunächst an seinem ehemaligen Arbeitsplatz in Eching zwei Menschen und setzt seinen Amoklauf an der Wirtschaftsschule in Freising fort, wo er den Schulleiter tötete und einen Lehrer schwer verletzt.

26. April 2002 in Erfurt
Ein 19-Jähriger erschießt am Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen und sich selbst.

2. Juli 2003 in Coburg
In einer Realschule schießt ein 16-jähriger Schüler eine Lehrerin an. Anschließend nimmt er sich das Leben.

20. November 2006 in Emsdetten
An der Geschwister-Scholl-Schule verletzt ein 18-Jähriger 37 Menschen und tötet sich anschließend selbst. Er trägt einen Sprengstoffgürtel, den die Polizei entschärfen muss.

11. März 2009 in Winnenden
Ein 17-Jähriger tötet in der Albertville-Realschule neun Schüler, drei Lehrerinnen und später auf der Flucht drei Passanten. Nach einem Schusswechsel mit der Polizei nimmt er sich das Leben.

11. Mai 2009 in Sankt Augustin
Eine mit mehreren Messern, Molotowcocktails und einer Gaspistole bewaffnete 16-jährige Schülerin macht sich auf den Weg zum Albert-Einstein-Gymnasium. Dort verletzt sie eine Mitschülerin schwer. Später stellt sie sich der Polizei.

17. September 2009 in Ansbach
Neun Schüler und eine Lehrerin werden am Gymnasium Carolinum verletzt. Der Täter, ein Schüler, wird später unter anderem des versuchten Mordes in 47 Fällen schuldig gesprochen und zu neun Jahren Jugendstrafe verurteilt.

18. Februar 2010 in Ludwigshafen
Ein 23-Jähriger ersticht einen Lehrer der Technischen Berufsschule im Georg-Kerschensteiner-Berufsbildungszentrum.

26. Februar 2013 in Wernigerode
Während des Unterrichts verletzt eine 15-jährige Gymnasiastin zwei Mitschüler mit einer Schreckschusspistole. Bereits im November 2011 hatte sie einen Amoklauf angekündigt.

24. Januar 2022 in Heidelberg
Beim Amoklauf von Heidelberg erschießt in einem Hörsaal der Universität Heidelberg ein 18-jähriger Student eine junge Frau und verletzte drei weitere Menschen zum Teil schwer.

Bildnummer: 52928404 Datum: 12.03.2009 Copyright: imago/Arnulf Hettrich
Amoklauf in Winnenden - Polizist sichert einen Tag nach der Bluttat die Albertville-Realschule in Winnenden, Personen , Gebäude, ...
Ein Polizist am Tatort des Amoklaufs von Winnenden, der dortigen Albertville-Realschule. bild: imago images

Zehn dokumentierte Amokläufe allein in den vergangenen 20 Jahren. In den USA sind es fast fünfmal so viele – allesamt in Bildungseinrichtungen.

40 Menschen sind seit der Jahrtausendwende in Deutschland bei solchen Taten getötet worden. 40 Familien, unzählige Freunde und Bekannte müssen mit diesem Schicksal nun leben.

Aber warum sind es Schulen und andere Bildungseinrichtungen, die Ziele von Amoktätern werden? Dieser Frage gehen Forscherinnen und Forscher seit Jahren nach.

Darunter ist der Pädagoge Hans Biegert.

In einer Abhandlung schreibt er über das Thema Amok und Amokprävention – und diskutiert dabei auch die Frage nach dem Warum.

Schule als "Ort der größten Kränkungen"

Bei den Tätern und auch Täterinnen handle es sich stets um Jugendliche, die entweder im Schulalter seien oder gerade die Schule verlassen hätten. Biegert meint, Schulen seien unter anderem deshalb von Amokläufen betroffen, "weil Schule jener Sozialraum ist, in dem besonders zwischen dem 10. und 16. Lebensjahr die nachhaltigsten Erfahrungen stattfinden". Dieser Zeitraum sei eine für dieses Alter sehr bedeutsame entwicklungspsychologische Phase.

Man lerne sich in der Zeit selbst kennen, beginne nachzuvollziehen, wie ernst man in seinem Umfeld genommen wird und erforsche sein Selbstkonzept: "Bin ich davon überzeugt, dass die anderen in mir den Außenseiter, den 'Blödmann' sehen, oder dass die anderen in mir den 'Könner' sehen, einen, dem man zuhört, wenn er den Mund aufmacht?" So schreibt es Biegert in seiner Abhandlung. In dieser prägenden Zeit sei Schule für Jugendliche der bedeutsamste Sozialraum.

Trauernde kurz nach dem Amoklauf in Erfurt 2002
Trauernde nach dem Amoklauf in Erfurt, im April 2002. bild: imago/photo 2000

Frank Robertz, Leiter des Instituts für Gewaltprävention und angewandte Kriminologie in Berlin beschreibt es so: Für Täterinnen und Täter war und ist die Schule der Ort der größten Kränkungen. In einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" nach dem Amoklauf von Winnenden schreibt er: "Amokläufer wählen ihre Schule als Tatort aus, weil sie das Gefühl von Kontrollmangel wettmachen wollen – und weil sie dort große Verletzungen erfahren haben."

Das, so erklärt es Pädagoge Biegert, sei der Grund, "warum sie IHRE Schule mit IHREN Mitschülern und IHREN Lehrern als den Ort der Liquidation, den 'Ort der Vollstreckung', als den Ort der Vergeltung ihrer 'größten Kränkungen' erwählen."

Kriminologin Bannenberg: "Keineswegs werden diese Taten bevorzugt an Bildungseinrichtungen verübt"

Die Kriminologin Britta Bannenberg erforscht an ihrem Lehrstuhl an der Universität Gießen seit Jahren zu Amoktaten und Amokdrohungen. Von 2013 bis 2016 ging Bannenberg mit anderen Forschenden in einem Projekt namens "TARGET" (Tat- und Fallanalysen hoch expressiver zielgerichteter Gewalt) den Fragen nach, welche Ursachen solche Gewalttaten haben – und wie man ihnen vorbeugen kann.

In ihrer Übersicht zu den Forschungsergebnissen des "TARGET"-Projekts schreibt Bannenberg im Jahr 2016, dass die jungen Täter hinter "nahezu allen Amoktaten" der vergangenen drei Jahrzehnte "spezifische Merkmale" aufwiesen. Diese Amoktäter töteten andere Menschen, weil sie "als sonderbare Einzelgänger psychopathologisch auffällig sind und ein Motivbündel von Wut, Hass und Rachegedanken entwickeln, das nicht rational begründet ist."

Bannenberg hat in ihrer Forschungsgruppe die Eigenschaften junger Täter gesondert untersucht.

Zur Persönlichkeit der jungen Täter schreibt Bannenberg, diese zeigten "narzisstische und paranoide Züge". Die ganz überwiegend männlichen Gewalttäter seien "extrem kränkbar, aber nicht impulsiv oder aggressiv auffällig." Die Forscherin sieht hier jugendtypische Merkmale:

"Die Inszenierung der Tat und die Selbststilisierung als sich rächendes Opfer, was mit der Realität nichts gemein hat, ist eine jugendtypische Facette dieser Taten. Deshalb haben die in der Öffentlichkeit häufig als Ursache missverstandenen Ego-Shooter, Gewaltvideos und hasserfüllten Liedtexte sowie die Waffenaffinität auch eine besondere Bedeutung als Inspiration und Verstärker für die schon vorhandenen Gewaltphantasien und spielen eine Rolle bei der Selbstdarstellung der im realen Leben erfolglosen, überforderten und sich ständig gekränkt fühlenden Täter."

Immerhin, schreibt Bannenberg, sei bei möglichen jungen Tätern die Wahrscheinlichkeit größer, dass ihre Gefährlichkeit rechtzeitig erkannt wird. Sie würden, gerade bei Mitschülern, "als seltsam oder bedrohlich auffallen. "Frühe Interventionen" seien häufiger als bei Erwachsenen. Sie ergänzt: "Auch ist das Droh- und Warnverhalten der jungen Täter ausgeprägter."

Gegenüber watson erklärt Bannenberg nach der Tat von Heidelberg, es gebe keine auffällige Häufung von Amoktaten an Schulen oder Universitäten. Sie schreibt: "Keineswegs werden diese Taten bevorzugt an Bildungseinrichtungen verübt." Und, zu Heidelberg: "Es war die erste Tat an einer Universität in Deutschland." Allgemein seien Amoktaten selten.

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