Karl Lauterbach (SPD) will an die Homöopathie als Kassenleistung ran.Bild: imago images / photothek/ Florian Gärtner
Analyse
Die Anhänger:innen der Alternativmedizin haben seit der Coronapandemie Auftrieb. Na klar, jene, die von Schulmedizin und Pharmaindustrie nichts wissen wollen, gibt es schon viel länger – aber mit Impfungen und der Kritik an den Einschränkungen haben sie lautstark einen Weg in die Öffentlichkeit gefunden.
Viele Krankenkassen übernehmen die Kosten für Alternativmedizin und Homöopathie. Dafür stehen sie immer wieder in der Kritik. Nun will Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dem entgegentreten. Was aber ist das Problem mit Globuli und Schüßlersalzen? Und warum zahlen Kassen überhaupt für Behandlungen, deren Nutzen nicht nachweisbar ist?
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Globuli und Schüßlersalze: Wie Zuckerperlen zur Ersatztherapie wurden
Als Erfinder der Homöopathie gilt Samuel Hahnemann. Er wandte sich 1821 von der damaligen Schulmedizin ab. Seine Sorge war es, mit hoch dosierten Arzneien mehr zu schaden, denn zu nützen. Deshalb startet Hahnemann damit, die Arzneien bis zu hundertfach in Alkohol oder Milchzucker zu verdünnen.
Er bringt dabei die Theorie des "Potenzierens" – also den Grad der Verdünnung – ein, an die Homöopathie-Anhänger:innen bis heute glauben. Globuli etwa sind bis heute genau das: In Wasser aufgelöste Substanzen, die geklopft und schließlich auf Zuckerperlen gesprüht werden.
Globuli sind im Grunde Zuckerperlen, mit Wasser besprüht.Bild: dpa / Marijan Murat
Ähnlich funktioniert es bei den von Alternativmediziner Wilhelm Heinrich Schüßler erfundenen Schüßlersalzen, die ebenfalls bis heute große Beliebtheit erfahren. Schüßlers Annahme: Ein ausgeglichener Mineralhaushalt macht Menschen gesund; das Gegenteil krank.
Wie Hahnemann verdünnt auch er die Salze durch "Potenzierung". Je höher die Potenzierung (also Verdünnung) desto mehr Kraft soll in den Tabletten stecken. Eine D12-Potenz entspricht etwa einer Verdünnung von 1:1.000.000 000.000. Anders als in der Homöopathie nach Hahnemann gibt es bei Schüßler nur zwölf Stoffe, die Verwendung finden. Homöopathische Mittel hingegen wenden heutzutage eine Vielzahl an Stoffen an.
Die Grundidee von Homöopathie: Menschen sollen mit stark verdünnten Substanzen geheilt werden, die in höheren Dosierungen ähnliche Symptome hervorrufen, wie die Krankheit selbst. Wissenschaftliche Studien, die belegen, dass diese Behandlungsmethode tatsächlich wirkt, gibt es bislang nicht. Vielmehr handelt es sich wohl um einen Placebo-Effekt.
Trotzdem übernehmen bislang viele Gesetzliche Krankenkassen die Kosten für eine solche Scharlatan-Behandlung. Im Jahr 2019 waren es etwa 20 Millionen Euro, die Kassen – und damit die Versicherte – für diese "Therapie" bezahlt haben. Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte damals dazu, das sei schon okay, wenn man bedenke, dass insgesamt Arzneimittel für knapp 40 Milliarden Euro übernommen wurden.
Mit Blick auf die stets steigenden Kassenbeiträge stellt sich dennoch die Frage: Warum 20 Millionen Euro für Zuckerperlen ausgeben? Die Antwort ist einfach: Wettbewerb.
Die Homöopathie folgt dem Grundsatz: Gleiches mit Gleichem bekämpfen.Bild: imago images / Rupert Oberhäuser
Homöopathie als Lockmittel der Krankenkassen für mehr junges Publikum
Wie eine Recherche von "Bento" ergeben hat, bieten immer mehr Kassen die Pseudo-Behandlung an, in der Hoffnung, so mehr Kassenpatient:innen zu gewinnen. Erklärt wurde das Angebot außerdem mit dem "Wunsch der Versicherten". So hätten etwa Kund:innen-Befragungen der Techniker Krankenkasse ergeben, dass viele auf die Homöopathie vertrauen. Und deshalb würde sie angeboten.
Es gehe außerdem darum, das Durchschnittsalter zu drücken. Denn ältere Versicherte kosten zwar mehr Geld, zahlen aber weniger ein. Deswegen bemühten sich die Krankenkassen um ein jüngeres Publikum. Eine Gruppe, die sich auch häufiger für Homöopathie interessiert. Es seien ja gerade "die jüngeren, gut verdienenden, gesundheitsbewussten – also vermeintlich gewinnbringenden – Menschen, die den alternativen Heilmethoden zugewandt sind", zitiert "Zeit" die Medizinerin Nathalie Grams.
Grams war früher selbst überzeugte Homöopathin. Das änderte sich, als sie in einem Buch beweisen wollte, dass die Wirkung über den Placebo-Effekt hinausgeht. Die Recherche hat sie von dem Glauben an Globuli abgebracht, erklärt sie gegenüber der Zeitung und führt aus: "Ich habe Studien gelesen, mit Chemikern und Physikern gesprochen, deren Argumente hieb- und stichfest waren. Da hatte ich wenig entgegenzusetzen."
Viele ihrer früheren Freund:innen und Gleichgesinnten hätten sie nach Veröffentlichung des Buches quasi verstoßen, meint sie. Die Ausführungen klingen fast sektenartig. Die Schulmedizin wiederum verachte man in diesen Kreisen.
Lauterbach sagt Homöopathie den Kampf an
Dass die Kassen den Hokuspokus auch noch übernähmen, verfestige den Glauben an die Homöopathie, meint Grams. Und das kann im Ernstfall tatsächlich schlimme Folgen haben.
Lauterbach will Homöopathie als Kassenleistung einstampfen.Bild: imago images / Chris Emil Janßen
Zwar können Globuli natürlich nicht überdosiert werden, da ihnen keine Wirkung innewohnt. Allerdings wird es gefährlich, wenn Homöopathie-Gläubige mit wirklich schweren Krankheiten ausschließlich auf die Kraft der Verdünnung – oder eben "Potenzierung" – vertrauen wollen. Es gibt Eltern, die ihre Kinder nicht impfen wollen, weil der oder die Homöopath:in davon abrät.
Die "Homeopaths without Borders" reisen ähnlich wie die "Ärzte ohne Grenzen" in Krisengebiete, um zu "helfen". Mit Globuli gegen die gesundheitlichen Folgen von Naturkatastrophen. Es klingt für Außenstehende absurd.
Laut "Tagesschau.de" ist die Nachfrage nach homöopathischen Produkten in den vergangenen Jahren gesunken. So seien im Jahr 2023 etwa 41 Millionen Packungen abgegeben worden, heißt es in einem Bericht zum Apothekenumsatz. 2019 seien es noch 56 Millionen Packungen gewesen. Entgegen steht ein steigender Verkauf von Arzneimittelprodukten, hier sei ein Absatzplus von 2,3 Prozent zu verzeichnen.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach will nun Globuli und Co. auf Kassenkosten den Garaus machen. Der Minister sagt dazu: "Die Homöopathie ist eine Leistung, die keinen medizinischen Nutzen auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sachstandes erbringt." Es gehe ihm dabei auch ums Prinzip, meint Lauterbach. Es könne kein vernünftiges Regierungshandeln geben, wenn die Wissenschaft ignoriert würde. Genau das geschehe aber mit der Legitimation der Homöopathie durch die Anerkennung der Kassen.
Zeitnah will Lauterbach die Kassenleistung gesetzlich abschaffen. Bei Homöopath:innen und der Union kommt der Vorstoß nicht gut an. Auch die Grünen meckern.
Der Grünen-Gesundheitsexperte im Bundestag, Janosch Dahmen, erklärt bei der "Rheinischen Post", Lauterbach dürfe sich nicht nur auf ein paar homöopathische Einsparungen konzentrieren. Rückendeckung bekam der SPD-Minister vom liberalen Koalitionspartner. FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus sagt: "Teure Pseudomedizin können wir uns angesichts der prekären Kassenlage nicht mehr leisten."
Die Union wirft Lauterbach hingegen Ablenkung vor. CDU-Gesundheitsexperte Tino Sorge spricht gegenüber der Zeitung von einer "Nebelkerze" und führt aus: "Anstelle von grundsätzlichen Überlegungen zur Sanierung der Kassenfinanzen verliert sich der Minister nun im Klein-Klein."
Mit der Homöopathie lässt es Lauterbach allerdings nicht bewenden. Stattdessen hat er einen achtseitigen Plan vorgelegt, wie die Gesundheitsfinanzen stabilisiert werden könnten. Einer der Punkte ist etwa eine geplante Klinikreform.
(Mit Material der dpa)
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