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Medikamentenmangel in Deutschland: Woher er kommt und was das bedeutet

ARCHIV - 31.03.2020, Sachsen, Leipzig: Blick in das automatisierte Medikamentenlager einer Apotheke. Hausärzte und Apotheken rechnen trotz der angekündigten Gegenmaßnahmen mit einem anhaltenden Medika ...
Die Medikamentenversorgung in Deutschland ist angespannt.Bild: dpa / Jan Woitas
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Medikamentenmangel in Deutschland: Woher er kommt und was das bedeutet

14.03.2023, 18:41
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Stechende und pochende Schmerzen im rechten unteren Rücken. Ein Ziehen bei jeder Bewegung. Fieber, Schüttelfrost, Übelkeit: Mit einer Nieren-Becken-Entzündung ist nicht zu spaßen. Ein Glück, dass es Antibiotika gibt, die innerhalb weniger Tage die Bakterien bekämpfen und in kurzer Zeit die Beschwerden lindern. Moderne Medizin – die aktuell an ihre Grenzen stößt.

Nicht, weil die Medikamente plötzlich nicht mehr gegen neuartige Killerbakterien helfen. Nein, die Antibiotika wirken nach wie vor gut. Aber sie sind immer seltener verfügbar. In Deutschland und Europa herrscht nach wie vor ein Medikamentenmangel. Und die angespannte Lage könnte sich noch einmal verschlechtern.

Warum ist das so? Woher kommt der Mangel? Und um welche Medikamente handelt es sich? Die wichtigsten Fragen klärt watson für euch.

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Woher kommt der Engpass?

Wie so oft lautet ein Stichwort auch bei diesem Problem Globalisierung. Natürlich sind die Ursachen des Mangels aber vielschichtiger Natur. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda) nennt neben der globalisierten Arzneimittelherstellung auch die starke Spezialisierung als Grund.

So gebe es für manche Wirkstoffe nur noch wenige Hersteller:innen weltweit. Und das führe dazu, dass Produktionsausfälle oder Qualitätsprobleme in einer einzelnen Anlage zu massiven Auswirkungen auf dem europäischen Markt führen könnten.

Für viele Hersteller:innen lohnt sich die Produktion patentfreier Medikamente in Deutschland nicht mehr. Auch deshalb ist die Herstellung vieler Medikamente ins Ausland verlegt oder ganz eingestellt worden. Mir nichts, dir nichts lassen sich die Produktionskapazitäten also auch nicht hochfahren.

CHINA, BEIJING - JANUARY 10, 2023: Workers at a factory of Youcare Pharmaceutical Group Co., Ltd., a Beijing-based company that manufactures and distributes pharmaceutical products. Youcare Pharmaceut ...
Manche Medikamente werden nur in einzelnen Produktionsstätten hergestellt.Bild: IMAGO/ITAR-TASS / imago images

Seit Monaten klagen Praxen und Apotheken nun schon über Lieferengpässe. Gerade in den Wintermonaten hatten Atemwegserkrankungen und Kinderkrankheiten, wie das RS-Virus den Bedarf nach oben getrieben. Doch auch jetzt, wo die Temperaturen langsam steigen und sich der Winter dem Ende neigt, schlagen Apotheken Alarm: Statt einer Verbesserung ist eine weitere Verschlechterung in Sicht.

Dass sich die Lage in den Lieferketten, wie von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) behauptet, entspannt habe, sei schlicht falsch, erklärt Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening bei einer Pressekonferenz. "Auf neudeutsch sind das Fake News."

Warum könnte sich die Lage verschärfen?

Grund für die weitere Verschlechterung der Lage ist eine gesetzliche Regelung, die ursprünglich nach Ostern auslaufen sollte. Genauer gesagt, die bundesweite Regelung zur "SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung". Eingeführt worden war die Verordnung, um mehrfache Arzt- und Apothekenbesuche zu vermeiden.

Denn mit der Verordnung war es den Apotheker:innen möglich, pragmatische Lösungen für fehlende Produkte anzubieten. Gerade dann, wenn ein verschriebenes Medikament nicht mehr in der richtigen Packungsgröße oder Wirkstärke verfügbar war. Doch damit ist ab Ostern Schluss. Statt des einfachen Workarounds müsse der:die Patient:in dann erneut in der Praxis vorsprechen, um ein neues Rezept abzuholen.

Selbes gilt für Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff. Bisher können Apothekerinnen und Apotheker nämlich auch Zäpfchen ausgeben, wenn ein verschriebener Saft nicht mehr verfügbar sein sollte.

Karl Lauterbach SPD, Bundesminister fuer Gesundheit, aufgenommen im Rahmen der Bundespressekonferenz, zu Digitalisierungsstrategie fuer Gesundheit und Pflege in Berlin, 09.03.2023. Berlin Deutschland  ...
Gesungheitsminister Karl Lauterbach muss nun schnell handeln, um den Engpass in den Griff zu bekommen.Bild: IMAGO/photothek / Sebastian Rau

Mit Blick auf einen Entwurf aus dem Gesundheitsministerium sagt Overwiening, dieser gehe an der Versorgungsrealität in den Apotheken vorbei. Lauterbach wolle die flexibleren Regeln nur noch für Arzneien beibehalten, die auf einer entsprechenden Liste des Bundes geführt würden, kritisiert die Abda-Präsidentin.

Wo Arzneien knapp seien, wisse allerdings der:die Apotheker:in vor Ort am besten. Die Politik müsse ihm ermöglichen, im Sinne der Patient:innen zu entscheiden, damit sie rasch an ihre Medikamente kommen. "Alles andere führt ins Chaos", sagt Overwiening. Die flexibleren Regeln sollten ursprünglich bis Anfang April laufen – durch einen Änderungsantrag soll die Regelung nun bis Juli Bestand haben.

Spätestens danach sei eine dauerhafte Lösung nötig, fordert Overwiening. Aus dem Gesundheitsministerium heißt es auf watson-Nachfrage, dass aktuell geplant werde, die geltenden Regeln zu verlängern. Zumindest so lange, bis ein neues Gesetz greift.

Um welche Arzneimittel handelt es sich?

Im Grunde fehlt es aktuell an allen Ecken und Enden: Fiebersäfte, Hustenmittel, Antibiotika, Blutdrucksenker, Schmerzmittel, Penicillin, Krebs-, Magen, und Herzmedikamente. Die "Deutsche Welle" berichtet von 425 Medikamenten, die bundesweit fehlen. Zitiert wird in dem Artikel auch das Ergebnis einer Befragung des Apothekerverband Nordrhein:

"Fast jedes zweite Rezept, das ihnen von Kunden vorgelegt wird, sei inzwischen betroffen; durch den Mehraufwand entstünden pro Apotheke monatlich Kosten von etwa 3000 Euro."

Und wenn es eng wird, müssen die Apotheken improvisieren. Dann gibt es Fieberzäpfchen statt Fiebersaft, 400 mg Ibuprofen statt der 800mg Version – oder auch aggressivere Antibiotika.

"Die Antibiotika, die wir aktuell einsetzen müssen, sind nicht Mittel der ersten Wahl und könnten die Resistenzbildung fördern. Die erste Wahl Antibiotika gibt es aber aktuell nicht mehr", führt Martin Schulz, Geschäftsführer Arzneimittel der Abda Berlin, im Gespräch mit watson aus. Was das für die Zukunft bedeute, könne man heute noch nicht absehen.

Bisher aber habe es immer geklappt, mit Adhoc-Maßnahmen einem Versorgungsengpass entgegenzuwirken, meint der Pharmazeut und Pharmakologe. Mit Blick auf aktuelle Entwicklungen, dass etwa Diabetesmittel als Abnehmwunder angesehen werden oder Menschen aus Angst vor einem Engpass Schmerzmittel und Fiebersaft bunkern, bleibe abzuwarten, wie sich die Versorgungslage entwickelt.

Was könnte helfen?

Es gibt keine einfache Lösung für das Problem, meint Schulz. Weder könne die gesamte Arzneimittelproduktion zurück in die EU oder gar nach Deutschland geholt werden, noch wäre es sinnvoll, allein auf Vorratshaltung zu setzen. Er spricht sich stattdessen für eine Diversifizierung der Lieferketten aus. Es gehe darum, meint er, dass mehrere Hersteller auf der Welt verteilt sein müssten.

ABDA-Berlin-Chef Martin Schulz. Geschäftsführer Arzneimittel; Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK); Geschäftsführer Pharmazie des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts e.V ...
Martin Schulz ist der Chef der Berliner Abda. Bild: Has dev settings / Martin Jehnichen/ ABDA

Auch die Krankenkassen sollten aus Sicht des Pharmazeuten bei ihren Rabattpartnern darauf achten, ihre Verträge nicht nur mit einem Anbieter zu schließen. "Wenn der dann ausfällt, stehen auf einen Schlag tausende Patienten ohne Medikamente da", sagt Schulz. Und auch die Pharmaunternehmen dürften nicht alle ihre Präparate von den gleichen Herstellern beziehen, meint Schulz.

Rabattarzneimittel – Was ist das denn?
Die Krankenkassen schließen Verträge mit Pharmaunternehmen. Die Unternehmen gewähren den Kassen einen Rabatt auf ein bestimmtes Medikament oder das ganze Sortiment. Im Gegenzug sichern die Kassen zu, dass ihre Versicherten im Regelfall das Medikament des Partner-Herstellers erhalten.

Den Vorwurf, Apotheken würden durch die Ausnahmeregelung die Rabattverträge umgehen, hält Schulz für nicht gerechtfertigt. Zum einen habe das vereinfachte Verfahren in der Pandemiezeit nicht zu Mehrkosten geführt. Zum anderen sei für Apotheker:innen nichts einfacher, als das verschriebene Medikament abzugeben. Im Falle eines Engpasses sei das aber eben täglich vielfach nicht möglich.

(Mit Material von dpa)

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