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Schuldenbremse: Wie sinnvoll ist sie – und warum wird darüber gestritten?

Berlin, Deutschland, 14.12.2023: Sitzungswoche im Deutschen Bundestag, 144. Sitzung: Bundesfinanzminister Christian Lindner, FDP, hält sich die Hände vors Gesicht. *** Berlin, Germany, 14 12 2023 Week ...
Finanzminister Christian Lindner (FDP) will von einer Aussetzung der Schuldenbremse nichts mehr hören.Bild: imago images / dts Nachrichtenagentur
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Der heilige Gral: Wie sinnvoll ist die Schuldenbremse – und der Kampf um sie?

06.01.2024, 15:3606.01.2024, 15:39
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Der Streit um die Schuldenbremse, er spaltet die Ampel immer wieder. Nachdem im vergangenen Winter durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein Finanztrick der Regierung für verfassungswidrig erklärt wurde, stehen Olaf Scholz (SPD) und sein Kabinett vor einem Geldproblem. Die Schuldenbremse musste deshalb für 2023 rückwirkend außer Kraft gesetzt werden. Für Finanzminister Christian Lindner (FDP) und seine Partei ist allerdings klar: Deutschland muss schnell zurück zur schwarzen Null.

2024 soll die Schuldenbremse deshalb in Kraft bleiben. Mit einem neuen Haushaltsplan für dieses Jahr. Und mit vielen Einsparungen, unter anderem im sozialen Bereich und bei Subventionen für Landwirte – ein Plan, der durch Druck der Bauern in Teilen wieder zurückgefahren werden musste.

Es sei sich aber auch darauf verständigt worden, zu prüfen, ob die Schuldenbremse für die Bewältigung der Folgen der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 ausgesetzt werden könnte. Dabei geht es um rund 2,5 Milliarden Euro. Auch für den Fall einer veränderten Lage in der Ukraine behält sich die Ampel das spätere Aussetzen und zusätzliche Kredite vor.

Alles geklärt, hätte man denken können. Doch schon im Anschluss an die Pressekonferenz, in der die Ergebnisse der Verhandlungen vorgestellt wurden, waren verschiedene Interpretationen im Umlauf. Lindner bleibt deutlich: 2024 wird die Schuldenbremse eingehalten. Doch kaum startet das neue Jahr – mit Hochwasser in Norddeutschland – fordern Haushaltsexpert:innen der SPD, die Schuldenbremse für dieses Jahr auszusetzen.

Warum gibt es die Schuldenbremse?
Die Schuldenbremse wurde 2009 vom Deutschen Bundestag eingeführt. Hintergrund des Instrumentes war die Weltfinanzkrise, die weltweit zu einer erhöhten Sparsamkeit geführt hatte. Durch das Instrument, darf der Bundeshaushalt nur noch neue Kredite bis 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen. Eine massive Verschuldung ist so nicht möglich, wodurch auch weniger Schulden an spätere Generationen vererbt werden.

Ein Vorschlag, von dem Lindner nichts wissen möchte. Er nennt die Forderung "parteipolitisch" und sagt: "Unsere Gesellschaft wird solidarisch sein. Wer aber – ohne den Umfang des Schadens zu kennen – sofort nach neuen Schulden ruft, verkennt den Ernst der Lage." Die SPD hat auf ihrem Parteitag im Dezember 2023 beschlossen, dafür zu kämpfen, die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form abzuschaffen. Die FDP verteidigt das Instrument. Doch wie sinnvoll ist die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form tatsächlich?

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Reform der Schuldenbremse: Meinung der Experten spaltet sich

Eine Frage, die auch unter Volkswirtschaftler:innen heiß diskutiert wird. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die das Münchner ifo-Institut gemeinsam mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" unter Volkswirtschafts-Professor:innen durchgeführt hat.

Das Ergebnis überrascht: Von 187 Ökonom:innen würden sechs Prozent die Schuldenbremse abschaffen. 48 Prozent der Befragten wiederum wollen an der aktuellen Form des Instrumentes festhalten, während 44 Prozent sie verändern wollen. Gleichstand quasi, zwischen behalten und verändern. Die Schuldenbremse, so könnte man es zusammenfassen, polarisiert.

Der Ökonom Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), spricht etwa davon, dass es zwingend eine "Investitionsoffensive" brauche. Mit der Aufnahme neuer Schulden, erklärt er gegenüber der ARD, würde der Wirtschaftsstandort Deutschland gesichert und es könne ein sozialer Ausgleich stattfinden.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung DIW, Deutschland, Berlin, Bundespressekonferenz, Thema: Veröffentlichung der Studie: Hartz-Plus zur Wirkung von Sanktione ...
Marcel Fratzscher wirbt dafür, dass der Staat Investitionen tätigt und die Schuldenbremse aussetzt.Bild: imago images / Metodi Popow

Das Institut für Makroökonomie von der Grünen-nahen Hans-Böckler-Stiftung kommt in einer Erhebung zu dem Schluss, dass Deutschland bislang Glück hatte, dass die Schuldenbremse nur in einem "günstigen" – also wirtschaftsstarken – Umfeld getestet worden sei. Andernfalls hätte das Instrument laut der Wissenschaftler:innen, missliche Lagen wohl verschärfen können.

Der Volkswirtschafter und Chefberater von Lindner, Lars Feld, schreibt in einem Gastbeitrag bei der "Zeit" hingegen:

"Fiskalregeln schränken die Fähigkeit politischer Systeme ein, diesen politökonomischen Anreizen nachzugeben. Moderne Vorgaben sichern dabei eine gewisse Flexibilität. Vor allem, um in Krisenzeiten, aber auch über den normalen Konjunkturverlauf, mit der Finanzpolitik reagieren zu können."

Denn auch, wenn mittlerweile Regierungen klar sei, dass sie immer wieder ihre Finanzen ins Gleichgewicht bringen müssten. Ihm zufolge hängen sie an der Verschuldung wie "Drogensüchtige".

Feld stellt klar: Notsituationen rechtfertigen aus seiner Sicht Ausnahmen und Flexibilität. Das bloße Erhalten von Infrastruktur gehöre aber nicht dazu. Dafür seien nämlich vor allem die Länder zuständig, die mehr finanziellen Spielraum hätten. Ebenso rechtfertige die Bekämpfung der Klimakrise kein Aussetzen. Denn hierfür gebe es Instrumente der Finanzierung. Er nennt in dem Zusammenhang etwa einen höheren CO₂-Preis.

Ampel steht vor einem Dilemma

Allein anhand dieser beiden Strömungen zeigt sich schon: Die Meinungen gehen auseinander. Auf der einen Seite wird sozialer Ausgleich mitgedacht, auf der anderen geht es vor allem um eine ausgeglichene Fiskalpolitik, die wenig Ausbrüche zulässt. Kein Wunder also, dass die Ampel sich darüber in die Haare bekommt.

Mit der FDP auf der einen Seite, die sich als liberale Partei für Mittelstand, Unternehmer:innen und Reiche starkmacht und einen schlanken Staat fordert. Und SPD und Grünen auf der anderen Seite, die sich als linke Parteien sehen, einen starken Sozialstaat fordern und entsprechend auch an Arme und Armutsgefährdete denken.

Die Frage der Schuldenbremse, der Staatsausgaben, des Haushaltes: Durch den geplatzten Workaround steht die Koalition nun vor einem großen Problem.

R-L Olaf Scholz SPD, Bundeskanzler, Robert Habeck Buendnis 90/Die Gruenen, Bundesminister fuer Wirtschaft und Klimaschutz und Vizekanzler, und Christian Lindner FDP, Bundesminister der Finanzen, aufge ...
FDP, Grüne und SPD haben unterschiedliche Herangehensweisen an die Schuldenbremse.Bild: imago images / photothek/ florian gärtner

Denn ist nicht mehr genug Geld da, um alle Herzensprojekte umzusetzen, müssen die Politiker:innen Kompromisse finden. Das Regieren der ungleichen Partner wird dadurch ungleich schwerer. Schließlich liegen die Ausrichtungen der Parteien in vielen Feldern weit auseinander. Die aktuellen Krisen tun ihr Übriges.

Neben den Nachwirkungen der Inflation aus dem vergangenen Jahr, hohen Energiepreisen und Steuererhöhungen für Mittelverdiener:innen halten die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten weiter an – und damit auch der Streit darüber innerhalb der deutschen Bevölkerung. Zudem stehen im Herbst drei Wahlen in Ostdeutschland an, die Rechtsaußen-AfD liegt dort in den aktuellen Umfragen weit vorne.

Die Lage, in der sich die Regierung befindet, ist keine leichte. Mit dem Streit um die Schuldenbremse fangen die Ampelparteien außerdem dort an, wo sie im vergangenen Jahr aufgehört haben: mit Krach. Allerdings bislang nicht innerhalb der Regierung, sondern zwischen Regierungsparteien und dem Kabinett.

Klar ist aber auch: Bei politischen Fragen, die untereinander so unterschiedlich beantwortet werden, muss eine Debatte herrschen. Die unterschiedlichen Pole müssen um ihre Position streiten und für sie werben. Am Ende werden die Parteien einen Kompromiss aushandeln müssen.

28.11.2023, Berlin: Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, spricht während der Debatte nach einer Regierungserklärung zur Haushaltslage im Bundestag. Foto: Melissa Erichsen/dpa +++ d ...
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich plädierte dafür, mögliche Bundeshilfen für die Flutopfer von der Schuldenbremse auszunehmen.Bild: dpa / Melissa Erichsen

Der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, schlägt laut "tagesschau.de" etwa vor, einen 500 Milliarden großen Sonderfonds für Infrastruktur und Transformation einzurichten, nach dem Vorbild des Sondervermögens für die Bundeswehr. So könnten die Mittel, die für die Transformation der Wirtschaft und des Landes nötig sind, an der Schuldenbremse vorbei gewurstelt werden. Das Problem: Wie für eine Reform der Schuldenbremse dürfte auch für den Sondertopf eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig sein.

Bislang wirkt es eher, als würden die Ampel-Partner den Kampf um die Schuldenbremse noch eine Weile weiterführen. Der Haushalt 2024 ist bislang noch nicht vom Bundestag bestätigt worden; auch hier könnte sich also ein weiterer Streit entpuppen.

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