Deutschsein kann so viel mehr bedeuten als Bier, Wurst und Fußball.Bild: www.imago-images.de / McPHOTO/B. Leitner
Meinung
Schon 1886 schrieb Friedrich Nietzsche: "Es kennzeichnet die Deutschen, dass bei ihnen die Frage 'Was ist deutsch?' niemals ausstirbt." Er sollte bis heute recht behalten. Nun hat sich die CDU dieser Frage mal wieder angenommen und nach 1998, 2000, 2005 und 2017 erneut eine Leitkultur-Debatte losgetreten.
Das ist in etwa so einfallsreich, wie als Klimaschutztruppe ständig alles Mögliche orange ansprühen zu wollen. Liebe Union, die 2000er haben angerufen – sie hätten gern ihren Parteivorsitzenden und die politischen Themen zurück.
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Auf nicht weniger als 71 Seiten schreibt die CDU in ihrem Leitkultur-Entwurf unter anderem: "Alle, die hier leben wollen, müssen unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen." Ist das nicht fast ein wenig – na, sagen wir mal – faschistoid, dass ihr nur EURE Wertvorstellungen gelten lassen wollt?
Also der Alte Fritz war da deutlich entspannter: "Jeder soll nach seiner Fasson selig werden." Und wenn Socken in Sandalen, Bier und Fußball tYpIsCh DeUtScH sind und Grundvoraussetzung, hier leben zu dürfen, dann entzieht mir bitte die Staatsbürgerschaft!
Die CDU stellte am 11. Dezember ihr neues Grundsatzprogramm vor.Bild: dpa / Michael Kappeler
tYpIsCh DeUtScH
Ganz pragmatisch betrachtet ist Deutsch zum einen eine Sprache, die sich erlernen lässt, und zum anderen ist deutsch eine Staatsangehörigkeit, die sich im Rahmen bestimmter Gesetze erlangen lässt. Darüber hinaus ist die Beantwortung der Frage nach dem, was deutsch ist, ziemlich willkürlich.
Leitkultur als Suche nach nationaler Identität ist doch letztlich nur der verzweifelte Versuch, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu konstruieren, dessen vornehmlicher Zweck der Ausschluss anderer Menschen ist – sowohl Menschen mit anderer Herkunft als auch mit anderer Weltanschauung. Dementsprechend ist die Leitkultur seit jeher ein Projekt der Konservativen und Reaktionären, um im Wandel der Zeit ihre Illusion von Ordnung und Stabilität sowie Identifikation und homogener Gemeinschaft aufrechtzuerhalten.
Ist sowas typisch Deutsch? Hoffentlich nicht!Bild: www.imago-images.de / imago images
Aber vielleicht kann man dieser Leitkultur-Debatte einfach mal etwas entgegenhalten – und ein anderes Bild davon entwerfen, was "typisch Deutsch" ist. Ein Bild, das auf Basis unserer Kulturgeschichte deutlich mehr jüdisch, links und anti-patriotisch geprägt ist. Und lasst uns endlich damit aufhören, immer nur Goethe und Schiller aus der Mottenkiste zu holen!
Reden wir über Heinrich Heine und das populistische "Lumpenpack"
In "Deutschland. Ein Wintermärchen" schilderte der jüdische Dichter Heinrich Heine 1844 seine Reise über Aachen, Köln und Hannover in seine Heimatstadt Hamburg. Schon damals bemängelte Heine die deutsche Rückwärtsgewandtheit und Spießigkeit.
Auch der Nationalismus – seinerzeit eigentlich eine Emanzipationsbewegung gegen die vorherrschende Monarchie – war ihm zuwider: "Auch deine Fahne gefällt mir nicht mehr. Die altdeutschen Narren verdarben mir schon in der Burschenschaft die Lust an den schwarz-rot-goldnen Farben." In gewisser Weise nahm Heine sogar die Populisten vorweg: "Fatal ist mir das Lumpenpack, das, um die Herzen zu rühren, den Patriotismus trägt zur Schau mit allen seinen Geschwüren."
Märzrevolution in Berlin 1848.Bild: Wikimedia Commons / public domain
Und auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen, aber Deutschland besitzt eine lange Tradition linker Sozialkritik. Heines Zeitgenosse Georg Büchner forderte: "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!" Mit Marx, Engels und dem Marxismus brauchen wir vermutlich gar nicht erst anfangen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg prägten jüdische und vom Marxismus beeinflusste Intellektuelle wie Hannah Arendt und Theodor W. Adorno die Bundesrepublik. Philosoph:innen solchen Kalibers kriegt Markus Lanz heutzutage nur selten in seine Sendung.
Nietzsche propagiert die individuelle Freiheit
Der eingangs zitierte Nietzsche verachtete Christentum und Anti-Semitismus zutiefst. Sein Übermensch war alles andere als ein arischer Herrenmensch. Nietzsche propagierte absolute Anti-Autorität, nach der sich das Individuum von sämtlichen inneren und äußeren Zwängen befreien sollte, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Noch radikaler als die Schriften war der Schnurbart: Nietzsche 1900.Bild: www.imago-images.de / imago images
Dabei beschrieb Nietzsche mit der Umwertung aller Werte die Abkehr von sämtlichen vorgegebenen Moralvorstellungen, gesellschaftlichen Konventionen und Idealen sowie ihren entsprechenden Leitinstanzen – egal ob sich diese nun Gott, Führer oder Kapital nennen.
Nationalstolz my ass
Nietzsche war wiederum von Arthur Schopenhauer beeinflusst, der als einer der ersten westlichen Autoren überhaupt den Buddhismus rezipierte. 1851 schrieb Schopenhauer:
"Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein."
Mit anderen Worten: Nationalität ist keine Leistung, darauf stolz zu sein ist Mist. Tja, liebe CDU … und AfD … und alle patriotismusberauschten Fahnenschwenker da draußen: Wenn ihr euch schon auf eine deutsche (Leit-)Kultur berufen wollt, warum beruft ihr euch nicht auf deutsche Kulturgüter wie Heine oder Schopenhauer?
Nach bald drei Jahren hat die Ukraine kaum noch Optionen, um den Krieg gegen Aggressor Russland militärisch zu gewinnen. Besiegt ist das geschundene Land deswegen aber nicht.
Am Dienstag ist es 1000 Tage her, seit der russische Autokrat Wladimir Putin den Befehl zur Invasion der Ukraine gab. Nun beginnt der dritte Kriegswinter. Er droht in der Ukraine "besonders kalt und dunkel zu werden", so der österreichische "Standard". Denn russische Luftschläge haben die Energieversorgung hart getroffen, zuletzt am Wochenende.