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Wie Ferda Ataman nun für die Regierung gegen Diskriminierung ankämpfen soll

07.07.2022, Berlin: Die Publizistin Ferda Ataman nimmt nach ihrer Wahl zur Unabh
Ferda Ataman bei ihrer Wahl zur Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.Bild: dpa / Bernd von Jutrczenka
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Antidiskriminierung: Wer ist Ferda Ataman und welche Probleme muss sie nun angehen?

08.07.2022, 19:5108.07.2022, 19:53
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Der Bundestag hat sie gewählt: Ferda Ataman ist die neue Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Die Journalistin und Publizistin ist Tochter einer türkischen Einwanderungsfamilie. Sie selbst weiß, wie sich Diskriminierung anfühlt. Deshalb hat sie sich das Vorgehen dagegen zur Aufgabe gemacht. So zumindest kann ihre Vita wirken.

Ataman gehört zu den Gründungsmitgliedern der "Neuen deutsche Medienmacher*innen". Ein Zusammenschluss von Medienschaffenden of Colour. Das Ziel: Der Vielfalt und Diversität der Gesellschaft eine Stimme verleihen. 2019 führte sie auf Twitter den Hashtag #vonhier ein. Darunter berichteten Menschen, wie ihnen aufgrund ihres familiären Migrationshintergrundes Deutschland als Heimatland abgesprochen wird.

2019 hat Ataman außerdem ein Buch veröffentlicht, das sich ebenfalls mit dieser Thematik auseinandersetzt: "Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!" Darin geht es um Deutschland als Einwanderungsland – und darum, was die Debatte der weißen Mehrheitsgesellschaft mit Menschen macht, die in Deutschland geboren sind und eine Migrationsbiografie haben.

Ataman kennt sich also aus mit Diskriminierung. Aus diesem Grund haben sich viele Menschen über ihre Benennung zur Leiterin der Antidiskriminierungsstelle gefreut. Aber nicht alle, denn Ataman ist auch für ihre scharfe Wortwahl bekannt. Und stand dafür nicht nur einmal in der Kritik.

Weshalb wird Ferda Ataman kritisiert?

Kritiker aus Union und AfD, aber auch aus der Regierungspartei FDP hatten vor der Wahl gegen Ataman mobil gemacht. Ihr Vorwurf: Ausgerechnet die Antidiskriminierungsstelle soll von einer "linken Aktivistin" geleitet werden. Andere nennen Ataman eine Spalterin.

Auch im Netz wurde und wird die neue Antidiskriminierungsbeauftragte attackiert.

Die Kritik an ihr entzündet sich zum Beispiel an Kolumnen – unter anderem an einem Text im "Spiegel" Anfang 2020, als sie die Bezeichnung "Kartoffel" für Deutsche ohne Migrationshintergrund verteidigte. Manch ein Deutscher fühlte sich dadurch rassistisch verleumdet. Und auch jetzt, nach der Wahl von Ataman, erregt diese Aussage noch immer die Gemüter einiger Menschen.

ARCHIV - 31.08.2020, Berlin: Ferda Ataman, Sprecherin neue deutsche Organisationen e.V., kommt zur Pressekonferenz zum Anti-Rassismus Plan 2025 in die Bundespressekonferenz. Der Bundestag stimmt am 7. ...
Ferda Ataman bei einer Pressekonferenz.Bild: dpa / Jörg Carstensen

Zuvor hatte sie dem damals von Horst Seehofer (CSU) geführten Heimatministerium unterstellt, "vor allem Symbolpolitik für potenzielle rechte Wähler" zu betreiben. In einem Beitrag bei der Amadeu Antonio Stiftung schrieb sie damals: "Der Name suggeriert, dass von nun an eine Bundesbehörde über Leitkultur und Zugehörigkeit befinden kann."

Ein weiterer Kritikpunkt: Ataman hat viele ihrer älteren Tweets gelöscht. Aus Neutralitätsgründen, sagt sie. Ihre Kritiker gehen davon aus, dass sie der Auseinandersetzung früherer Äußerungen entgehen möchte. Dass Tweets und Likes einem zum Verhängnis werden können, mussten im vergangenen Jahr beispielsweise die neu gewählte Grüne Jugend-Sprecherin Sarah-Lee Heinrich sowie die Journalistin Nemi El Hassan feststellen. Hassan wurde Islamismus unterstellt. Letzten Endes trat sie ihren neuen Posten beim WDR nicht an.

Welche Baustellen muss Ataman als erstes angehen?

In der vergangenen Legislaturperiode war die Antidiskriminierungsstelle nicht besetzt worden. Seit Mai 2018 hat Bernhard Franke die kommissarische Leitung übernommen. Diese Nichtbesetzung war ein "unhaltbarer Zustand" meint die Familienministerin Lisa Paus nach der Ernennung Atamas. Die Ministerin bedankte sich in diesem Zusammenhang bei dem kommissarischen Leiter.

Ataman kündigte an, sich schnell für die Umsetzung der im Koalitionsvertrag festgesetzten Ziele starkzumachen. Die Ampel hatte beschlossen, den rechtlichen Schutz vor Diskriminierungen zu stärken. Dafür soll es, laut Koalitionsvertrag, eine Evaluation des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geben und Lücken geschlossen werden. Ataman möchte sich für ein zukunftsgewandtes Antidiskriminierungsgesetz einsetzen. Sie möchte Diversität stärken.

Und da die Republik ein Einwanderungsland ist und gleichzeitig immer progressiver wird, gibt es einiges zu tun für die Antidiskriminierungsbeauftrage. Denn die deutsche Mehrheitsgesellschaft muss auch dafür sensibilisiert werden.

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Ferda Ataman (rechts) und Familienministerin Lisa Paus.Bild: dpa / Bernd von Jutrczenka

Ataman sagt, sie will sich für alle Menschen einsetzen, die Diskriminierung erfahren. Gerade in Anbetracht der aktuellen Situation dürfte das eine wahre Herkulesaufgabe werden. Denn durch den Krieg, Corona und die Teuerungen sind die Probleme im Land angewachsen – ebenso der Unmut über gewisse Bevölkerungsgruppen.

Was Ataman nun also tun muss: Benennen, was falsch läuft. Auch, wenn es ungemütlich ist. Rassismus, Klassismus, Sexismus. All das sind nach wie vor Themen in Deutschland. Ebenso die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, also Ableismus, und jene von Alten, sowie Homo- und Transfeindlichkeit.

"Diejenigen, die mir ihr Vertrauen nicht schenken konnten, werde ich versuchen, mit meiner Arbeit zu überzeugen", hat Ataman nach ihrer Wahl gesagt. Und mit dieser Arbeit muss sie direkt beginnen. Denn klar ist auch: Deutschland ist ein Land, in dem die unterschiedlichsten Menschen leben. Es ist ein Einwanderungsland.

Warum gibt es die Antidiskriminierungsstelle?

13,56 Millionen Menschen hatten laut Bundeszentrale für politische Bildung hier im Jahr 2020 selbst eine Migrationserfahrung gemacht. 21,9 Millionen Menschen hatten einen sogenannten Migrationshintergrund. Das meint: Ihre Familie kommt ursprünglich aus einem anderen Land. Eine Vielzahl von ihnen dürfte bereits Diskriminierung erfahren haben.

Laut Statista stimmen 16,5 Prozent der Bevölkerung ausländerfeindlichen Aussagen zu. Am stärksten betroffen dürften Menschen sein, denen aufgrund ihres Aussehens oder ihres Namens eine vermeintliche Zugehörigkeit zum Islam zugeschrieben werden. Laut Statista nehmen 52 Prozent der Bevölkerung den Islam als bedrohlich wahr.

Diskriminierungserfahrungen sammeln Menschen nicht nur im privaten Umfeld, auf der Straße, im Sportverein oder im Supermarkt. Sie sammeln sie strukturell. Radio Bremen deckte im Jahr 2021 beispielsweise auf, dass die städtische Wohnungsgenossenschaft Bewerbende mit Migrationshintergrund gezielt von Wohnungsangeboten fernhält.

Und auch Menschen ohne Einwanderungsgeschichte oder Migrationshintergrund werden in Deutschland nach wie vor diskriminiert, wenn sie anders sind. Wenn sie eine Behinderung haben und deshalb darauf angewiesen sind, nicht durch die Umwelt behindert zu werden, zum Beispiel weil Wege nicht barrierefrei oder ordentlich für Blinde gekennzeichnet sind.

Oder wenn sie nicht in das heteronormative Weltbild passen. Sie werden diskriminiert, weil sie eine Person des gleichen Geschlechts lieben. Oder weil sie sich selbst nicht mit ihrem angeborenen Geschlecht identifizieren. Die Grünenabgeordnete Tessa Ganserer beispielsweise wird öffentlich im Plenum angegangen, weil sie trans* ist. Von der AfD, die mit 10,3 Prozent der Stimmen in den Bundestag gewählt wurde.

Um Menschen, die diskriminiert werden, zu helfen, gibt es die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Dort werden Menschen nicht nur beraten und über ihre Rechte aufgeklärt, die Stelle holt außerdem Stellungnahmen der Gegenseite ein und vermittelt gütliche Einigungen. Es wird dort auch geforscht, beziehungsweise Studien in Auftrag gegeben. Über Diskriminierung in Deutschland.

Militärische Reform: Was Pistorius mit der Bundeswehr plant

"Kriegstüchtigkeit" ist das erklärte Ziel für die Bundeswehr, auch wenn der Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) das Wort während seiner Pressekonferenz am Donnerstagmittag nicht mehr explizit erwähnte. Verabschiedet habe er sich von dem Wort allerdings keineswegs, betonte er auf Nachfrage eines Journalisten. "Ich verstehe, dass sich einige an dem Wort reiben", er werde es aber dennoch weiter benutzen.

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