Diese Form der hybriden Kriegsführung kommt leise. Ohne Bomben, Raketen und Rauch. Zu sehen ist sie hinter einem rostigen Grenzzaun: Dort gibt es 17 Betten, grauen Beton, kaum Luft. Und Menschen, die krank sind. Hungrig. Ohne Pass.
Und mittendrin die Frage: Warum bringt Russland sie nicht einfach zurück in ihr Land? Die Antwort ist so simpel wie brutal: Weil es nie darum ging, sie zurückzubringen. Sondern darum, sie zu benutzen.
Am 19. Juli hat die Ukraine 43 ihrer Staatsbürger:innen aus einem improvisierten Lager an der georgischen Grenze evakuiert. Es sind Menschen, die zuvor aus Russland abgeschoben worden waren. Jedoch nicht in ihre Heimat, sondern in eine Art Transit-Keller. Laut der Ukraine setzt Russland dieses Vorgehen gezielt als Waffe ein.
"Russland instrumentalisiert die Deportationen ukrainischer Bürger:innen über Georgien", schreibt Vize-Außenminister Andrii Sybiha auf X. Sein Vorwurf: Moskau nutze Deportationen als Mittel der Kriegsführung – bürokratisch getarnt, aber gezielt entmenschlichend.
Laut der NGO Volunteers Tbilisi wurden insgesamt 56 Ukrainer:innen nach Georgien deportiert. Die meisten von ihnen: mittellos, ohne gültige Dokumente, einige mit schweren Erkrankungen. Untergebracht in einem 17-Betten-Keller in der Nähe des russisch-georgischen Grenzübergangs.
"Ohne Essen, ohne Wasser, ohne sanitäre Einrichtungen", beschreibt Maria Belkina von Volunteers Tbilisi laut "Moscow Times" gegenüber AFP die Zustände. "Einige Deportierte hatten medizinische Probleme, darunter vermutete Tuberkulose und HIV."
Viele saßen dort bereits seit Ende Juni – unter Bedingungen, die nicht mal kurzfristig menschenwürdig wären. Die Ukraine konnte 43 von ihnen über Moldau zurückholen. Für die restlichen 13 laufen Verhandlungen. Weitere Fälle sollen folgen, wie "Kyiv Independent" berichtet.
Russland nutzt Deportation hier wohl nicht als Verwaltungsmaßnahme, sondern als gezielten Hebel zur Schwächung der Ukraine. Die Menschen, die in Kellerräumen an der georgischen Grenze festsitzen, sind keine zufälligen Opfer bürokratischer Prozesse – sie sind Teil einer kalkulierten Strategie.
In der internationalen Politik gilt das bewusste Lenken von Migration längst als Teil hybrider Kriegsführung. Der Fachbegriff: "weaponized migration". Nun verwendet Andrii Sybiha im aktuellen Vorgehen von Russlands den Begriff "weaponizing deportation".
Im Fall der Ukraine verfolgt Russland dabei wohl vor allem drei Ziele:
Was Russland aktuell betreibt, ist nicht neu – aber selten so perfide sichtbar. Schon mehrfach wurden Menschen so oder so ähnlich gezielt als Machtinstrument eingesetzt. Die USA etwa deportieren seit 2025 Migrant:innen in sogenannte Drittstaaten wie Eswatini – ein autoritär geführtes Land in Afrika, mit dem die meisten Abgeschobenen keinerlei Verbindung haben.
Menschenrechtsorganisationen sprechen von einer kalkulierten Abschreckungsstrategie.
Auch in der Vergangenheit gab es solche Fälle: Während des Kalten Krieges wurden in den USA linke Migrant:innen gezielt ausgewiesen. Im Baltikum nutzte die Sowjetunion Deportationen zur Einschüchterung ganzer Bevölkerungsgruppen.
Das Muster ist immer ähnlich: Wer kontrolliert, wer wohin darf, der kontrolliert politische Erzählungen, öffentliche Angst und internationale Spielräume.
Einer der aktuell Betroffenen ist Andrij Kolomijets – ein politischer Gefangener, der jahrelang in einer Strafkolonie auf der von Russland besetzten Krim saß. Der Vorwurf: versuchter Mord an zwei russischen Polizisten. Menschenrechtsorganisationen werten die Anklage als politisch motiviert. Denn Kolomijets hatte 2014 an den pro-westlichen Euromaidan-Protesten teilgenommen.
Dass Russland ausgerechnet ihn an einen Ort deportiert, der juristisch wie politisch im Graubereich liegt, ist ein Signal.
Laut AFP könnten in den kommenden Wochen bis zu 800 weitere ukrainische Staatsbürger:innen betroffen sein – viele davon ebenfalls ehemalige Strafgefangene ohne Dokumente. Die Ukraine versucht, sich zu wehren. Doch solange Russland Menschen wie Schachfiguren verschiebt, bleibt der Preis dafür hoch.