Es war ein lila Wunder für die Kleinstpartei Volt. In der Europawahl im Juni fuhr sie ein überraschend gutes Ergebnis ein – gerade unter den Jungwähler:innen. Die proeuropäische Partei bekam in allen Altersgruppen zusammen ungefähr 2,6 Prozent – bei unter 30-Jährigen jedoch ganze 9 Prozent.
Volt versteht sich als erste paneuropäische Partei und hat Verbände in mehreren Ländern. Im Wahlkampf fiel sie mit einem Mix aus ernsten Botschaften und Spaß-Content auf. Unter AfD-Plakaten hängten die Volt-Mitglieder etwa Sprüche wie "Sei kein Arschloch". Mit ihrem Slogan "Für mehr Eis" machten sie auf die Klimakrise aufmerksam.
Das erfrischende, freche Auftreten der jungen Partei, die es seit 2018 gibt, kam offensichtlich gut bei jungen Menschen an. Doch von diesem Spirit spürt man derzeit kaum etwas auf Bundesebene. Während sich andere Parteien auf die Landtagswahlen in Ostdeutschland im Herbst schon einspielen, ist es auffällig ruhig um Volt.
Wir haben bei Volt in Thüringen und Sachsen angeklopft und nachgehakt, wie sie sich auf die Landtagswahlen vorbereiten. Das Ergebnis ist ernüchternd.
"Wir werden zur diesjährigen Landtagswahl leider keine Landesliste aufstellen", sagt Johanna Grenzer von Volt über die bevorstehenden Wahlen in Thüringen. Grund: die AfD.
"Aufgrund der extremen Stärke der AfD in Thüringen werden wir demokratische Kräfte bei dieser Wahl unterstützen", führt Grenzer aus. Diese Entscheidung habe Volt Thüringen sorgsam abgewogen. Derzeit ist die AfD stärkste Kraft in dem ostdeutschen Bundesland, wie Umfragen zeigen.
Grenzer führt aus:
Die Kleinstpartei in Thüringen behalte sich aber vor, eventuell Direktkandidat:innen in Wahlkreisen aufzustellen, verkündet die Volt-Politikerin. "Allerdings gibt es hierzu noch keine näheren Informationen."
In Sachsen wird ebenfalls am 1. September gewählt. Wie in Thüringen führt auch dort die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte AfD die aktuellen Umfragen an (Stand 18. Juli). Die Partei kommt auf mehr als 30 Prozent, knapp gefolgt von der CDU mit 29,5 Prozent.
Volt Sachsen hat nach eigener Angabe noch gar keinen Schlachtplan ausgetüftelt, ob und wie die Partei die Landtagswahl antreten wird. "Leider können wir noch keine konkreten Informationen geben", teilt Volt-Politiker und Schatzmeister der Kleinstpartei in Sachsen, Kay Schomburg, auf watson-Anfrage mit.
Nach der Kommunal- und Europawahl sei noch einiges zu klären, führt er aus. Kann Volt seinen Erfolg bei der EU-Wahl also nicht auf die bundespolitische Ebene übertragen?
Laut Politikwissenschaftler Christian Krell war die Ausgangslage für Volt bei der Europawahl optimaler als etwa bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland.
"Die Fünf-Prozent-Hürde fällt bei der EU-Wahl vollständig weg und erhöht so die Chancen von kleineren Parteien", sagt Krell von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Er ist zudem Mitherausgeber der Zeitschrift "Neue Gesellschaft, Frankfurter Hefte".
Er führt aus: "Außerdem gilt die Europawahl immer noch als 'second-order-election', also als eine Wahl, die von vielen Wähler:innen als nicht so relevant betrachtet wird."
Deshalb probiere man eher etwas aus. Im Detail sei Volt laut Krell aber aus drei Gründen bei der EU-Wahl stark gewesen:
Und all das soll Volt nicht bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland gelingen?
"Die Positionen von Volt stellen mit ihrer europa-bejahenden, weltoffenen, liberalen Ausrichtung nicht in unmittelbarer Konkurrenz zur AfD, insofern sind Wähler:innen-Wanderungen von der AfD zu Volt unwahrscheinlich", sagt Krell. Sprich, Volt wird es nicht gelingen, die blaue Welle der AfD bei den ostdeutschen Wahlen auf irgendeiner Weise einzudämmen.
Aber: Gerade in den städtischen Milieus im Osten kann Volt laut ihm für diejenigen ein Angebot sein, die sich von Grünen, SPD oder Linken nicht mehr vertreten sehen.
Dennoch halte Krell einen Einzug in eines der Landesparlamente für unwahrscheinlich, aber mittelfristig sind kommunale Mandate im Bereich des Möglichen. Doch Mitgründer von Volt Europa und seit 2019 EU-Parlamentsabgeordneter, Damian Boeselager, setzt noch höhere Ziele.
Nach dem Zugewinn bei der Europawahl strebt die Partei Volt den Einzug in den Deutschen Bundestag an. "Parteien sind in einer Demokratie dafür da, um bei Wahlen anzutreten", sagt Boeselager dem Berliner "Tagesspiegel". "Das gilt auch für die nächste Bundestagswahl."
Aber auch hier erwartet die Kleinstpartei die Fünf-Prozent-Hürde, die Volt-Politikerin Johanna Grenzer bereits in Thüringen als Hindernis ansieht.
Krell zufolge ist in Deutschland ein Trend zu erkennen, der sich in vielen anderen europäischen Ländern schon vollzogen hat: Eine Ausdifferenzierung des Parteienspektrums. "Durch die – historisch gut begründetet – Fünf-Prozent-Hürde ist dieser Prozess in Deutschland verzögert und weniger umfassend als in anderen Ländern."
Aber: Volt sei Teil dieses Prozesses und bietet ein Angebot, das so im deutschen Parteienspektrum gerade nicht ausreichend bedient werde.
"Deshalb glaube ich, dass sich Volt auch mittelfristig etablieren kann, vor allem auf kommunaler und europäischer Ebene", prognostiziert Krell. Aber ob es bei der Bundestagswahl klappt, sehen Parteiforscher und Politikwissenschaftler pessimistisch.
Dazu müsste die paneuropäische Partei Volt mehr bundesdeutsche Themen ansprechen und demnach auch ihren Wahlkampf umsatteln, was nicht über Nacht gelingt, lautet die Kritik.