2022 hatten etwa 37.400 Menschen in Deutschland keine eigene Wohnung. Viele Wohnungslose kommen bei Bekannten oder Familie unter, einige landen aber auch auf der Straße.Bild: imago images / Rolf Kremming
Analyse
Matratzenlager unter S-Bahn-Brücken. Menschen, die in ihrem provisorischen Schlafgemach sitzen, den Laptop auf den Beinen. Gruppen, die schnacken und Bier trinken. Berlin ist die Hauptstadt der Obdachlosen. Aber nicht nur in Großstädten gibt es zahlreiche Menschen, die ihr Leben ohne eigene vier Wände, im schlimmsten Fall sogar auf der Straße, bestreiten müssen.
Wohnungslosigkeit ist ein Problem, das 2022 laut des ersten Berichts zur Obdach- und Wohnungslosigkeit 262.600 Menschen betroffen hat. Die meisten davon kommen freilich bei Bekannten oder in Aufnahmestationen und Frauenhäusern unter. 38.500 von ihnen haben aber auch weniger Glück und landen dann auf der Straße. Und dort sind sie nicht nur der Brutalität ihrer Mitmenschen oder Diebstählen ausgesetzt, sondern auch Kälte und Hitze.
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Auch für jene, die auf der Straße landen, gibt es Rückzugsorte. Notunterkünfte, in denen sie übernachten können. Immer wieder laufen Obdachlose durch Bahnen oder sitzen in Fußgängerzonen und fragen nach Kleingeld, um ihr Bett für die Nacht zahlen zu können – wie im Hostel. Müssen jene, die ohnehin schon nichts haben, tatsächlich ihre Übernachtungsmöglichkeit bezahlen?
Obdachlose haben ein Recht auf eine Notunterkunft
Zunächst einmal ist klar: Es gibt Notübernachtungsmöglichkeiten, die kostenlos und ganzjährig geöffnet sind. Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) haben Wohnungslose auch das Recht, in einer solchen Notaufnahmestation unterzukommen.
Das Problem: Wie BAG W in einem Positionspapier feststellt, kommt eine Vielzahl an Kommunen der Aufgabe nicht nach, ausreichend Angebote zur Notunterbringung vorzuhalten.
In vielen Teilen von Städten gibt es Obdachlosencamps, wie hier im Berliner Prenzlauer Berg.Bild: imago images / snapshot-photography/ T.Seeliger
Daraus folgt: Die Notübernachtungsstellen sind oft überfüllt, Betroffene berichten außerdem immer wieder von Diebstählen und Hunde sind in den meisten Fällen nicht willkommen. Aber nur diese Unterkünfte sind kostenlos, zumindest dann, wenn Wohnungslose keine Einkünfte haben.
Denn Menschen ohne Wohnung haben die gleichen Ansprüche auf Sozialleistungen, wie Menschen mit Wohnung. Voraussetzung dafür ist laut einem Urteil des Bundessozialgerichts in Kassel, dass die Wohnungslosen die Jobcenter werktäglich aufsuchen müssen. In dem Fall wird das Geld in Tagessätzen ausgezahlt. Notunterkünfte können dann laut eines Faktenchecks der Plattform "Mimikama.org" Gebühren erheben. Dafür bekommen die Wohnungslosen ein Bett und üblicherweise Verpflegung.
Obdachlosenunterkünfte kosten Kommunen teils horrende Summen
Den Großteil der Kosten für die Unterbringung zahlen allerdings Stadt und Bund, also indirekt die Steuerzahler:innen. Die Kosten für reguläre Obdachlosenunterkünfte sind zum Teil noch teurer. Wie RTL berichtet, zahlt etwa die Stadt München 1500 Euro für ein Bett im Dreibettzimmer. Der Grund für die horrenden Summen: Der Markt regelt den Preis.
Wie RTL unter Berufung auf die Stadt München berichtet, hatte die Stadt die Vergabe für den Bau und Betrieb solcher Anlagen ausgeschrieben. Das Problem: Die Situation am Münchner Mietmarkt ist katastrophal. Wenige Anbieter hatten sich daher auf die Ausschreibung beworben. Weil die Stadt aber verpflichtet ist, Unterkünfte zu schaffen, musste sie bei den überteuerten Angeboten zuschlagen.
Anders sieht das bei sogenannten Selbstzahler:innen aus, also Menschen, die einer Arbeit nachgehen, sich aber keine eigene Wohnung leisten können. Die Kosten für ihre Betten übernimmt weder die Stadt, noch das Jobcenter. Mit den angespannten Mietmärkten in der gesamten Republik steigt die Zahl dieser Menschen an. Susanne Hahmann, Vorsitzende der BAG W, sagt dazu:
"Zu wenig bezahlbarer Wohnraum bleibt weiterhin das größte Problem, auch für die Hilfsangebote, die die Klient:innen nicht in Wohnraum vermitteln können. Die große Gefahr besteht in der Verstetigung der Wohnungslosigkeit."
Es müsse dringend gehandelt werden, andernfalls würden noch mehr Menschen in prekäre Lebenslagen geraten. Immer wieder verlieren Menschen trotz Arbeit ihre Wohnung. Die Gründe können vielfältig sein: Eigenbedarfskündigungen, Zwangsräumungen oder Sanierungsbedarf.
In angespannten Wohnmärkten kann das dann dazu führen, dass eine neue Bleibe entweder nicht zu finden, oder nicht bezahlbar ist. Können die Betroffenen nicht übergangsweise bei Freunden oder Verwandten unterkommen, treibt sie ihr Weg nicht selten in Obdachlosenheime. Da auch die teilweise überfüllt sind, ist die letzte Anlaufstelle die Notunterkunft.
Die "Bild" berichtete von dem Berliner Gebäudereiniger Elmar D., er ist einer der Selbstzahler:innen. Seine Wohnung verlor er wegen Schimmelbefall. Mit einem 1200 Euro Netto-Einkommen im Monat findet er in Berlin keinen Ersatz. Deshalb wohnt er nun in einer Notunterkunft. Jeden Abend nach der Arbeit muss er sich neu anstellen, um ein Bett zugewiesen zu bekommen. Für das Bett im Dreierzimmer zahlt er 24,80 Euro pro Nacht. Im Monat also bis zu 768,80 Euro. Und wie Elmar D. geht es wohl immer mehr Menschen.
Bundesregierung will Obdachlosigkeit bis 2030 eindämmen
Aus Sicht der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe könnten die hohen Kosten für die Kommunen, den Bund, die Jobcenter und letztlich die Wohnungslosen vermieden werden, indem schon vor Verlust der Wohnung Hilfsmechanismen greifen. Priorität müsse außerdem sein, dass wohnungslose Menschen zeitnah wieder ihre eigenen vier Wände finden.
Bis dieses Ziel erreicht wird, sei es zudem wichtig, Standards für die Unterbringung Wohnungsloser zu formulieren. Denn zu häufig, meint BAG W, seien die Unterkünfte menschenunwürdig. Die Bundesregierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, bis 2030 Wohnungslosigkeit konkret anzugehen.
Einen Plan, den auch die Diakonie befürwortet. Allerdings fehlen bis heute die konkreten Schritte, wie das passieren soll, meinte ein Sprecher in einem früheren Gespräch mit watson. "Es muss endlich losgelegt werden", sagt er. "Und es braucht vor allem eins: Wohnungen."
Bauministerin Klara Geywitz (SPD) will die Schaffung von bezahlbaren Wohnraum zur Priorität machen.Bild: imago images / Bernd Elmenthaler
Das Bauministerium erklärte auf eine frühere watson-Anfrage, erste Schritte bereits angestoßen zu haben. Beispielsweise hätten diverse Akteur:innen aus Bund, Ländern, kommunalen Spitzenverbänden, Betroffenenverbänden, Zivilgesellschaft, Immobilienwirtschaft, sowie Wissenschaft gemeinsam bei der Zukunftskonferenz erste Ansätze entwickelt. Ein Sprecher des Ministeriums erklärt:
"Nächste Schritte im Diskussions- und Beteiligungsprozess sehen unter anderem eine öffentliche Beteiligung sowie weitere Veranstaltungs- und Diskussionsformate mit Stakeholdern der Zivilgesellschaft vor."
Für kurzfristige Lösungen, hieß es außerdem, seien die Länder und Kommunen zuständig. Aus Sicht der BAG W liegt das Hauptproblem, warum überhaupt so viele Menschen ohne Wohnung sind, darin, dass Wohnungspolitik nicht als soziale Daseinsvorsorge begriffen werde. Meint: Solange der Markt regelt, wird es zu wenig bezahlbaren Wohnraum geben.
"Es bedarf dringend einer Politik zur Schaffung von großen öffentlichen Wohnungsbeständen, die beispielsweise den Kommunen Handlungsmöglichkeiten zur Versorgung von Haushalten gibt, die auf dem sogenannten freien Wohnungsmarkt schon lange nicht mehr mithalten können", erklärte Susanne Hahmann, Vorsitzende der BAG Wohnungslosenhilfe, in einer Mitteilung. Das Ziel der 100.000 Sozialwohnungen jährlich müsse endlich erreicht werden.
Bislang kommt die von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) ausgerufene Bauoffensive allerdings nicht aus dem Knick.