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Warum die Impfquote bei Menschen mit Migrationshintergrund niedriger ist

Impfzentrum in München (Februar 2022)
Auf dem Weg: Menschen in einem Impfzentrum in München. Das Bild stammt aus diesen Tagen. Bild: imago / sven simon
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Warum die Impfquote bei Menschen mit Migrationshintergrund niedriger ist

03.02.2022, 19:1804.02.2022, 11:13
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Wer lässt sich in Deutschland gegen das Coronavirus impfen – und wer nicht? Die Frage beschäftigt die Regierenden und die Gesundheitsbehörden seit Monaten – und sie ist politisch heikel. Gerade, wenn es um Menschen mit Migrationsgeschichte geht.

Franziska Giffey, seit Dezember Regierende Bürgermeisterin von Berlin, hat es nach der ersten Sitzung ihrer Landesregierung Anfang Januar so ausgedrückt: "Die Frage der Inanspruchnahme des Impfens ist auch eine integrationspolitische Frage." Manche Menschen bräuchten eine "persönliche Ansprache im direkten Umfeld", am besten durch Vertrauenspersonen. Sie schob nach: "Ich weiß genau, über welche Familien wir hier sprechen", so Giffey.

Virologe Christian Drosten sprach im Coronavirus-Podcast des NDR von "informationsfernen" Menschen, die besonders häufig ungeimpft seien und ergänzte: "Das sind Leute mit Migrationshintergrund. Das sind bildungsferne Leute, die älter sind, die müssen unbedingt geschützt werden."

An diesen pauschalisierenden Aussagen gab es Kritik. "Es gibt keine Studie, die Menschen mit Migrationsgeschichte Impfskepsis zuweist", hatte Katarina Niewiedzial, Berlins Integrationsbeauftragte, damals dem rbb gesagt. Am Donnerstag wurde nun eine Datenerhebung veröffentlicht, bei der gezielt je 1000 Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte zum Thema Impfen befragt wurden.

Die Untersuchung des Robert-Koch-Instituts (RKI) stützt nun zwar die These, dass unter Menschen mit Migrationsgeschichte der Anteil der Geimpften niedriger ist. Doch die Daten legen auch nahe, dass im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich viele Ungeimpfte bereit sind, sich impfen zu lassen.

Wie passt das zusammen? Und was lässt sich tun, um mehr Menschen mit Migrationsgeschichte zur Impfung zu bewegen?

Gibt es Unterschiede bei Impfquote und Impfbereitschaft?

Ja. Eine Erkenntnis der Erhebung ist, dass die Impfquote der befragten Personen mit Migrationsgeschichte mit 84 Prozent etwas niedriger war als bei denen ohne Migrationsgeschichte (92 Prozent).

Höhere Impfquoten in der Studie
Die in der Studie errechneten Impfquoten dürften etwas über dem tatsächlichen Anteil in der Bevölkerung liegen, das erklärte Studienleiterin Elisa Wulkotte am Donnerstag bei einem Pressegespräch. An Befragungen wie dieser nähmen tendenziell überdurchschnittlich viele Menschen teil, die ein positives Verhältnis zur Institution RKI und zum Impfen hätten. Für einen Vergleich zwischen Menschen ohne und Menschen mit Migrationsgeschichte seien die Daten aber geeignet.

Gleichzeitig ist bei ungeimpften Menschen mit Migrationsgeschichte die grundsätzliche Bereitschaft zu einer Impfung größer als bei denen ohne: Sie liegt laut der Erhebung 16 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Bei Menschen ohne Migrationsgeschichte liegt die Impfbereitschaft bei bislang Ungeimpften dagegen 20 Punkte unter dem Durchschnitt.

Daraus lässt sich folgern, dass unter den Menschen mit nicht-deutschen Wurzeln noch ein höherer Anteil dazu bewegt werden kann, sich impfen zu lassen.

Woran liegen diese Unterschiede?

Studienleiterin Elisa Wulkotte nannte mehrere mögliche Gründe dafür, dass Menschen mit Migrationsgeschichte sich bisher nicht zu einer Covid-19-Impfung entschlossen haben:

  • Deutschkenntnisse: 92 Prozent der Befragten mit Migrationsgeschichte, die ihre Deutschkenntnisse als gut oder sehr gut einschätzen, sind geimpft. Bei den Menschen mit (nach eigener Einschätzung) schlechten oder sehr schlechten Deutschkenntnissen liegt die Impfquote nur bei 75 Prozent.
  • Wohlstand und sozialer Status: Je höher Einkommen und Bildung, desto wahrscheinlicher ist es, dass Menschen geimpft sind.
  • Diskriminierungserfahrungen: Menschen mit Migrationsgeschichte, die nach eigenen Angaben von Ärzten, Gesundheits- oder Pflegepersonal wegen ihrer Herkunft in der Vergangenheit einen schlechteren Service erhalten oder respektlos behandelt wurden, sind mit größerer Wahrscheinlichkeit ungeimpft.
Die Beauftragte der Bundesregierung fuer Migration, Fluechtlinge und Integration Reem Alabali-Radovan R besucht eine Impfaktion in den Neukoelln Arkaden in Berlin am 29. Januar 2022. Impfaktion in den ...
Die Beauftragte der Bundesregierung fuer Migration, Flüchtlinge und Integration Reem Alabali-Radovan (rechts) besucht eine Impfaktion im Berliner Bezirk Neukölln. Bild: www.imago-images.de / Emmanuele Contini

Die Erhebung widerlegt damit das Vorurteil, dass sich Menschen mit Migrationsgeschichte aus kulturellen Gründen seltener impfen ließen. Studienleiterin Wulkotte sagte dazu am Donnerstag:

"Wir sollten nicht so sehr die Herkunft adressieren, sondern andere Faktoren."
Die COVIMO-Studie
Die Erhebung zu Impfquoten und Impfbereitschaft bei Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte ist Teil der COVIMO-Studie. Mit ihr misst das RKI seit Januar 2021 die Impfbereitschaft und -akzeptanz in der deutschen Bevölkerung. Für die Erhebung wurden jeweils rund 1000 Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte befragt.

Unterscheidet sich die Impfbereitschaft zwischen jüngeren und älteren Menschen?

Junge Erwachsene sind laut der RKI-Erhebung besonders häufig geimpft: Unter den jüngsten Erwachsenen zwischen 18 und 29 ist die Quote relativ hoch, bei 93 Prozent, mit fast gleich hohen Werten unabhängig von der Migrationsgeschichte.

Bei den anderen Altersgruppen gilt laut Studienleiterin Wulkotte: Je älter die Person ist, desto eher ist die Person geimpft. Bei den 30- bis 39-Jährigen sei die Impfquote besonders niedrig, danach steige sie im Zusammenhang mit dem Alter.

Damit widersprechen die Erkenntnisse der Erhebung auch der Aussage Christian Drostens, dass ältere Menschen häufiger ungeschützt seien.

Was müsste getan werden, um die Impfquote bei Menschen mit Migrationsgeschichte zu erhöhen?

Bremen gilt in Deutschland als Vorbild der Impfkampagne. 89,4 Prozent der Bevölkerung hat im kleinsten Bundesland mindestens eine Dosis erhalten. In Sachsen, dem Land mit der niedrigsten Quote, sind es nur 64,8 Prozent. Bremen ist das Land mit dem höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund (36,5 Prozent). Der Stadtstaat hat also offensichtlich auch viele Menschen mit nicht-deutschen Wurzeln von der Impfung überzeugt.

Das Bremer Corona-Impfzentrum in der Messehalle 7 am Rande der Bürgerweide. *** The Bremen Corona Vaccination Centre in exhibition hall 7 on the edge of Bürgerweide
Mehrsprachige Information an einem Impfzentrum in Bremen. Bild: www.imago-images.de / Eckhard Stengel

Der Arzt Kay Bultmann, der seit Januar 2021 an der Bremer Impfkampagne beteiligt ist und mehrere Monate lang ein Impfzentrum im Stadtteil Vegesack geleitet hat, beschrieb beim Pressegespräch, was das Land Bremen getan habe, um Menschen mit Migrationsgeschichte anzusprechen.

Bultmann sagte, man sei von Beginn der Impfkampagne an mit mobilen Impfteams zu den Menschen gekommen und sei "gerade auch in die Stadtteile gefahren, die hier als sozial benachteiligt gelten". Unter anderem seien Impfteams zu den Tafeln gegangen, wo sich bedürftige Menschen mit Lebensmitteln versorgen. Man habe Vertreter von christlichen wie muslimischen Glaubensgemeinschaften angesprochen. Es habe eine Infoveranstaltung in einem großen Jugendzentrum gegeben, in der Stadt sei Infomaterial in zwölf verschiedenen Sprachen verteilt worden. Und man sei gezielt auf Falschmeldungen eingegangen, die in unterschiedlichen Communities kursiert seien: etwa die, dass die Impfung unfruchtbar mache oder die männliche Potenz bedrohe.

Bremen, das scheint aus Bultmanns Schilderung hervorzugehen, hat genau die Probleme ins Visier genommen, die laut der RKI-Erhebung die Impfbereitschaft bei Menschen mit Migrationsgeschichte senken können: fehlende Deutschkenntnisse, niedriger sozialer Status, mangelndes Vertrauen in Institutionen und die Medizin.

Zu diesem Ansatz passt auch, was Moskjan Ehrari bei der Vorstellung der Studie sagte. Die Journalistin ist Projektleiterin beim Informationsportal "Handbook Germany", das auf Deutsch und in acht anderen Sprachen von Persisch bis Französisch Informationen über das Leben in Deutschland bereitstellt – unter anderem zum Coronavirus. Menschen mit Migrationsgeschichte seien eine "ganz heterogene Gruppe". Man müsse es bei der Impfkampagne schaffen, Menschen unterschiedlicher Herkunft "bei ihren Ängsten abzuholen", meinte Ehrari.

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