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Dragqueen Gloria Viagra erklärt, warum sie die Autobahn-Proteste gut findet

Gloria Viagra
Gloria Viagra beteiligt sich als Mitglied der Bundesversammlung an der Bundespräsidentenwahl. bild: CHIPI
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Dragqueen Gloria Viagra erklärt, warum sie die Autobahn-Proteste gut findet

13.02.2022, 11:11
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Berlins berühmteste Dragqueen Gloria Viagra ist am Sonntag bei der Wahl des Bundespräsidenten dabei. Die Polit-Aktivistin und Entertainerin wurde im Dezember von der Berliner Linken für die Aufgabe nominiert.

Sie ist damit Teil der Bundesversammlung, welche die Wahl durchführt. Die Wiederwahl von Frank-Walter Steinmeier gilt als sicher, die Linke hat dennoch einen eigenen Kandidaten aufgestellt.

Im Interview mit watson spricht Gloria Viagra über den Sinn des höchsten Amtes im Staat, die Ampel-Koalition und die Radikalität der Jugend.

Ihr Spitzname: Mama Moustache.
Spitzname: Mama Moustache.bild: CHIPI

watson: Wie ist es zu der Nominierung durch die Linke gekommen?

Gloria Viagra: Ich war schon Kandidatin auf der Landesliste der Linken für die Abgeordnetenhauswahl im September. Ein Jahr zuvor habe ich mich bei der Partei vorgestellt und gefragt, wie sie es fänden, wenn ich mich bei ihnen engagieren würde.

Das fanden sie gut, haben mir aber gesagt, dass ich für die Wahl in Berlin zu spät komme. Ich wurde dann doch noch auf die Landesliste gesetzt, aber wegen der späten Meldung relativ weit hinten.

Im November kam dann die Anfrage, ob ich als Delegierte für Berlin Mitglied der Bundesversammlung werden möchte.

Die Linke schickt den Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert ins Rennen. Sein großes Thema ist Wohnungslosigkeit. Womit überzeugt er dich?

Ich werde Gerhard Trabert wählen, weil er ein anderes Licht auf die sozialen Zustände in diesem Land wirft. Er engagiert sich in vielen sozialen Bereichen und gilt als „Arzt der Obdachlosen“. Das finde ich gut.

Gerade die Pandemie hat gezeigt, was hier alles schiefläuft. Das wäre so eine große Chance gewesen, Dinge zu ändern. Die neue Regierung hat da leider nicht ansatzweise geliefert.

Ich bin parteilos und der Linken nicht verpflichtet, aber ich finde die Kandidatur von Gerhard Trabert ein gutes und wichtiges Zeichen.

"Das Gute an der Jugend ist die Radikalität, das Gute am Alter ist die Kompromissfähigkeit."

Kritiker spötteln über das Amt als "Grüßaugust" ohne wirkliche politische Macht. Wofür brauchen wir einen Bundespräsidenten?

Ob wir den wirklich brauchen, ist eine gute Frage. Aber der Bundespräsident ist schon eine moralische Instanz, auch Frank-Walter Steinmeier hat gute Reden gehalten. Und dann muss der Bundespräsident natürlich noch die Bundesgesetze unterzeichnen.

Du engagierst dich bei den Linken, die im Bundestag in der Opposition sitzen. Was hälst du von der Ampel-Koalition?

Nicht viel. Weil ich meine Probleme mit den Grünen habe. Das war immer eine Partei, die ihre Ideale sehr schnell verraten hat, um an der Macht zu sein. Immer die Oppositionsrolle einzunehmen und nur zu kritisieren, ist natürlich auch nicht der richtige Weg. Aber es braucht beides.

Ich sage immer: Das Gute an der Jugend ist die Radikalität, das Gute am Alter ist die Kompromissfähigkeit. Mich stört auch die FDP, die für einen ganz schlimmen neoliberalen Kurs steht. Wenn man sich mit denen einigen kann, werde ich skeptisch. Bei aller Liebe zu Kompromissen.

Der Arzt Gerhard Trabert in seinem Arztmobil Dr. Gerhard Trabert, DieLinke *** The doctor Gerhard Trabert in his doctor mobile Dr Gerhard Trabert, DieLinke
Gerhard Trabert soll nach dem Willen der Linken neuer Bundespräsident werden.Bild: imago images / Christof Mattes

Du glaubst den Versprechen der Grünen also nicht?

Nein, im Gegenteil. Das ist wieder ein Hoffnungsträger, der enttäuschen wird. Weil sie keine grundsätzlichen Sachen ändern, sondern nur die bestehenden Verhältnisse besser machen wollen.

Fridays For Future ist eine ganz wichtige Bewegung, oder auch die "Letzte Generation", die sich auf den Autobahnen festkleben…

…die Klimaschutz-Gruppe wird dafür ja gerade viel kritisiert. Du findest ihre Aktionen gut?

Ich würde mich auch ärgern, wenn ich im Stau stehe und irgendwo hinmuss. Aber wir stehen in Sachen Klimapolitik an einem Scheitelpunkt, wo sich jeder so langsam mal entscheiden muss, wo es hingehen soll mit der Welt.

Weil wir im Grunde alle mitmachen und Teil der Mühle sind. Wir müssen Dinge ganz schnell und ganz radikal ändern. Das ist für viele aus Gründen der Gewohnheit oder des Luxus‘ schwer. Aber so kann es nicht weitergehen, sonst geht es den Bach runter. Ich finde die Proteste richtig.

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Die Gruppe "Letzte Generation" greift zu radikalen Mitteln.Bild: dpa / Carsten Koall

Wirst du dich künftig weiter politisch engagieren?

Das tue ich schon, seit ich sechs Jahre alt bin. Nur dieser Profi-Politikbetrieb ist für mich neu. Ich werde da weiterhin reingucken und möchte meine Erfahrungen dabei in Zukunft viel öffentlicher machen.

Das ist schon eine andere Welt, und ich weiß noch nicht, ob das meine Welt ist. Es ist auf jeden Fall spannend, aber man muss einen starken Charakter haben.

Das gilt auch bezogen auf die Bundespräsidentenwahl. Da will ich den Spagat schaffen dazwischen, als bunter Vogel ein Zeichen für Vielfalt zu setzen, und trotzdem ernst genommen zu werden.

Bei der vergangenen Wahl war deine Drag-Queen-Kollegin Olivia Jones aus Hamburg Teil der Bundesversammlung. Hat sie diesen Spagat geschafft?

Ja, das hat sie gut hinbekommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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