Johanna Börgermann beschwert sich bei "Markus Lanz" darüber, dass Schüler von der Politik nicht gehört werden. ZDF/Screenshot
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Schülerin beklagt bei "Markus Lanz": "Querdenker bekommen mehr Aufmerksamkeit als Schüler"
11.02.2022, 06:43
Deana Mrkaja
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Die einrichtungsbezogene Impfpflicht wurde bereits im vergangenen Jahr beschlossen. Nun droht sie doch gekippt zu werden, obwohl es sich um ein Gesetz handelt. Bei "Markus Lanz" am Donnerstagabend möchte der Moderator wissen, wie Politik-Profis ein solcher Fehler passieren kann. Zudem zieht eine 19 Jahre alte Schülerin die Aufmerksamkeit auf sich – und macht deutlich, was Schüler in Deutschland von der Regierung erwarten.
"Was ist eigentlich los in ihrer Partei?", fragt Lanz die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Karin Prien. "Wir sind gut drauf", antwortet die CDU-Politikerin. "Aber irgendwie geht bei Ihnen alles drunter und drüber", wirft der Moderator ihr vor und bezieht sich auf den 10. Dezember 2021, den Tag, an dem die einrichtungsbezogene Impfpflicht für bestimmte Berufe beschlossen wurde. Ein Gesetz, dass von der CDU einstimmig befürwortet wurde.
"Und jetzt sagt Markus Söder beispielsweise einfach 'Nö'. Wie finden Sie das?" Sie versucht die Frage sachlich zu beantworten: "In der Umsetzung zeigen sich die wahren Probleme." Für manche Bundesländer sei dies schwierig umzusetzen, weil ihnen ein Notstand bei den Pflegekräften droht, erklärt die Politikerin. Und dies könne sie nachvollziehen.
Lanz drängt CDU-Politikerin in die Ecke
"Aber das sind doch Profis! Wie kann denen so etwas passieren?", hakt Lanz nach. Prien versucht abzulenken, indem sie darauf verweist, dass sie auch auf eine allgemeine Impfpflicht gehofft habe, die es jedoch noch nicht gebe. "Alles nicht das Thema", erwidert der Moderator und möchte nicht lockerlassen. "Sie sind eine exzellente Volljuristin und jetzt sagt man zu einem Gesetz, man möchte sich nicht dran halten." Schließlich muss sie zugeben, dass kein Weg an einem Gesetz vorbeiführe. Trotzdem betont sie, dass manchmal die Dinge nicht funktionierten, weil die Voraussetzungen nicht gegeben seien.
Karin Prien verteidigt das Verhalten ihrer Partei.ZDF/Screenshot
Eva Hummers, Ärztin und Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko), hat eine deutliche Meinung zum Verhalten Söders, wenngleich noch weitere Politiker seinen Kurs unterstützen: "Ich staune auch über Herrn Söder. Ich staune da des Öfteren. Einerseits ruft er nach radikaleren Maßnahmen, gleichzeitig kriegt er es in Bayern nicht hin." Sie fügt hinzu: "Schade, dass solche Dinge nicht vorher bedacht werden."
Stiko-Mitglied spricht von gesellschaftlichem Impfdruck bei Jugendlichen
Der Moderator beschwert sich darüber, dass er während der Pandemie schon so häufig über das Thema der Kommunikation und die schwindende Glaubwürdigkeit von Politikern gesprochen habe und nun käme das nächste Beispiel. "Wir müssen uns jetzt zusammensetzen und das machen wir auch. Ich verstehe den Unmut", gibt Prien zu und muss sich dann doch eingestehen, dass man dies auch "hätte schon vorher machen sollen".
Hummers macht deutlich, dass die Stiko sich stets gegen eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen habe. Sie persönlich hätte jedoch vor sechs Wochen noch dafür gestimmt, jetzt sei sich nicht mehr so sicher, weil eine Impfpflicht nicht mehr gegen die Omikron-Welle helfen würde. Auch wenn es um Kinder geht, spricht Kommission keine Impfempfehlung aus. "Ärgert Sie das nicht?", richtet Lanz das Wort an die Ärztin, "dass sie als ausgewiesene Experten keine Empfehlung aussprechen, aber manche Politiker dennoch vorpreschen und sagen: 'Macht das mal mit der Impfung'?"
Eva Hummers lehnt Impfempfehlungen bei Kindern ab. ZDF/Screenshot
Hummers ist davon überzeugt, dass es einen gesellschaftlichen Impfdruck bei Jugendlichen gibt. Insbesondere an weiterführenden Schulen sei dies deutlich. So berichtet sie davon, dass ihre Nachfolger beim Impfzentrum, das sie bis vor Kurzen geleitet hat, von Politikern gehört haben, sie sollten Kinder einfach impfen. Ebenso soll zu manchen Kindern gesagt worden sein, sie sollen so tun, als seien sie chronisch krank, um geimpft zu werden. Auch die 19 Jahre alte Johanna Börgermann ist davon überzeugt, dass es diesen Druck gibt.
"Hatten Sie manchmal das Gefühl, Sie müssen den Kopf hinhalten, um impfunwillige Erwachsene zu schützen?", fragt Lanz bei der Schülerin nach. "Warum sollte sich eine 17-Jährige impfen lassen, um einen impfunwilligen 70-Jährigen zu schützen? "Darauf gibt es keine gute Antwort", sagt Börgermann. Die "Generation Corona", wie sie ihre eigene Generation nennt, habe häufig den Kopf hinhalten müssen. Während von ihnen Solidarität gefordert wurde, wurde ihnen keine Solidarität gezeigt. Sie nennt nicht nur die körperlichen Leiden, die durch eine Infektion entstehen können, sondern vor allem die psychischen Herausforderungen.
"Wir leiden! Die Jugendlichen leiden unter der Pandemie."
Johanna Börgermann
Beistand bekommt die junge Abiturientin von dem Soziologen Aladin El-Mafaalani. Er bringt seine Analyse auf den Punkt: "Die, die am wenigsten vom Virus betroffen sind, sind am allerstärksten von den Maßnahmen betroffen."
Aladin El-Mafaalani ist der Meinung, dass die Kinder und Jugendlichen am meisten unter der Pandemie zu leiden haben. ZDF/Screenshot
Der Soziologe erklärt, dass es für Kinder kaum etwas Schlimmeres gebe, als die ganze Zeit nur mit Erwachsenen zusammen zu sein. Vor allem, wenn die im Home Office oder total gestresst sind. Er beklagt sich darüber, dass es zu den Auswirkungen der Pandemie an Schulen immer noch zu wenig Daten gebe. Doch er ist sich sicher: "Je jünger die Kinder sind, desto drastischer werden die Folgen für sie sein." Und je benachteiligter Kinder seien, desto schwerer würde die Situation noch. Gerade Kinder von eingewanderten Eltern hätten es schwer, weil sie häufig erst in der Schule Deutsch lernen. Durch den vielen Ausfall sei dies ins Schwanken geraten.
El-Mafaalani verdeutlich seine Beispiele mit einem Veranschaulichung. Er sagt, wenn jemand 50 Jahre alt sei und eine Pandemie ein Jahr dauere, würde das 1/50 des Lebens ausmachen. Wenn jemand jedoch erst fünf Jahre alt ist, ergebe sich darauf 1/5 des Lebens. Und so würden Kinder auch diese zeit wahrnehmen. Die Versäumnisse in wichtigen Bereichen wie Rechnen und Lesen würden nur mit sehr viel Mühe nachgeholt werden können – gerade, weil in diesen jungen Jahren am meisten dazugelernt wird.
Kinder haben Angst vor Corona-Tests
Um auf diese drastischen Gegebenheiten aufmerksam zu machen, hat Börgermann gemeinsam mit andere Schülervertretern einen offenen Brief an die Regierung geschrieben. Unter dem Motto #WirWerdenLaut machen die Jugendlichen ihren Standpunkt klar und preschen mit Forderungen vor. Die junge Schülerin engagiert sich schon lange – auch politisch. Doch sie kommt zu einem ernüchternden Ergebnis.
"Ich bin corona-müde. Seit 20 Monaten sage ich das Gleiche. Und nichts kommt an."
Johanna Börgermann
Die jungen Menschen fordern einen gemeinsamen Austausch mit Politikern. Börgermann beschreibt Situationen an Schulen, wo Kinder aus Angst vor einem positiven Corona-Test vor der Durchführung weinen. "Die Kinder haben unglaublich Angst!" Trotzdem ist sie weiterhin für eine Testpflicht, nur möchte sie den Schülern ermöglichen, deren Angst zu groß ist, auch von zu Hause aus am Unterricht teilnehmen zu können – in einem hybriden Modell. "Es muss unser Anspruch sein, dass jeder Schüler sich wohlfühlt, während er sein Recht auf Bildung auslebt."
Die 19-Jährige trifft ein vernichtendes Urteil: "Die Querdenker bekommen mehr Aufmerksamkeit als wir!" Es wird darüber diskutiert, ob Testen an Schulen überhaupt noch sinnvoll ist. Während die drei anwesenden Erwachsenen sagen, sie seien nicht sicher, ob das wirklich noch etwas bringe, spricht sich Börgermann für weitere Tests aus. Schließlich habe niemand Lust auf eine Infektion. Und auch hier gehe es nicht nur darum, sondern auch um die psychischen Folgen. Die Forderungen der Schüler gehen jedoch noch weiter. Sie wünschen sich deutlich mehr Sozialarbeiter und Psychologen. Auf 6000 Schüler käme nur ein solcher Experte.
Börgermann ist der Meinung, dass Querdenker mehr Aufmerksamkeit erhalten als Schüler in Deutschland. ZDF/Screenshot
Für El-Mafaalani ist eines der größten Versäumnisse, dass Grundschulen und Kitas geschlossen wurden. In diesem Alter würden Kinder Dinge lernen, die sie kaum nachholen können. "Das wird uns noch nachhängen. Da hätte man mehr Engagement zeigen müssen", sagt der Soziologe. Er ergänzt, viele der Probleme lägen auch am "abgerockten System" – und meint damit das gesamte Bildungssystem.
Immer mehr Menschen würden Abitur machen, was dazu führe, dass der Abschluss immer weniger wert ist. Gleichzeitig bedeutet das, und er spricht von 20 bis 25 Prozent der Menschen in Deutschland, dass Personen mit Hauptschulabschluss noch stärker abgehängt würden. Die Erwachsenen in diesen Milieus glauben nicht mehr daran, dass sie etwas gestalten können und Kinder wachsen in solch einem System auf.
Zudem würde der demografische Wandel Schulen besonders treffen, weil die Baby-Boomer in nur wenigen Jahren in Rente gehen und somit sehr viele Lehrkräfte fehlen. 45.000 bis 2025, sagt Lanz. Zustimmen tut er dieser Zahl nicht ganz, aber es seien auf jeden Fall sehr viele. Schulen müssen vernetzter werden – Sport- und Musikvereine müssen an die Schulen. Ebenso müssen Schüler stärker gefördert werden, die zu Hause keine Unterstützung bekommen.
Prien gibt zu, dass die CDU in der Vergangenheit beim Thema Bildung wenig Verantwortung übernommen habe und lieber den Koalitionspartner hat machen lassen. Doch sie stimme El-Mafaalani zu. Dies alles sei bekannt und würde auch schon umgesetzt werden – zumindest in ihrem Bundesland, Schleswig-Holstein. Börgermann jedoch sieht das in ihrem Schlusswort anders: "Ich habe nicht das Gefühl, dass das wahrgenommen wird. Schule ist ein Nebenfach für Politik. Aber es muss ein Hauptfach werden!"
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