Die Lage der Grünen ist ernst: Viele ihrer Mitglieder stellen sich gegen ihre Asylpolitik in der Ampel.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Exklusiv
Es hätte ein Abend mit weitreichenden Folgen werden können.
Die Grünen haben am Donnerstag in Karlsruhe, ihrer Gründungsstadt, zum Parteitag gerufen. Gefolgt sind ihrem Ruf rund 5000 Mitglieder und 1700 Gäste. Einer der größten und längsten Parteitage ihrer 43-jährigen Gründungsgeschichte.
Denn beschlossen werden sollte nicht nur ihr Europawahlprogramm, sondern es wurde auch ein neuer Parteivorstand gewählt (Ricarda Lang und Omid Nouripour wurden in ihrem Amt bestätigt) und es sollte Raum für Debatten zu aktuellen Themen geben.
Sprich: Der vermasselte Nachtragshaushalt 2021 der Ampel und die derzeitige Asyldebatte.
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Während sich die Grünen in Sachen Karlsruher Haushaltsurteil in Einigkeit übten und sich auf einen gemeinsamen Hauptfeind, CDU-Chef Friedrich Merz, einschossen, drohte das Thema Asyl und Migration die Partei zu entzweien.
Die Lage der Grünen ist ernst: Viele stellen sich gegen ihre Asylpolitik
Denn: Die Grünen-nahe Jugendorganisation Grüne Jugend übte am Samstagabend scharfe Kritik an der Asylpolitik der Ampel.
Co-Vorsitzende der Grünen Jugend, Katharina Stolla, etwa warnte unter tosendem Applaus: "Wer Rechten hinterherläuft, der gerät ins Stolpern." Sie fordern die Grünen-Minister:innen deshalb in einem Antrag auf, "keinen weiteren Asylrechtsverschärfungen zuzustimmen".
Wirtschaftsminister Robert Habeck machte die Schwere der Debatte deutlich: Sollte dem Antrag der Grünen Jugend zugestimmt werden, bedeutet das auch, dass die Grünen die Regierung verlassen müssten. Denn, dürften die Grünen bei keinen Asylrechtsfragen mehr mitreden, ließe sich dies nicht mehr mit einer Regierungsarbeit vereinbaren.
Die Lage für die Grünen ist ernst: Robert Habeck versuchte mit eindringlichen Worten den Antrag der Grünen Jugend abzuwenden.Bild: imago images /dts Nachrichtenagentur
Er betonte, der Antrag der Grünen Jugend käme einem Misstrauensvotum gleich. Die Wahrheit sei, "dass dieser Antrag auffordert, die Regierung zu verlassen".
"Ein Antrag auf einem Bundesparteitag ist kein Ort, um Frust rauszulassen", versuchte es die alte und neue Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, mit diplomatischen Worten. "Das Signal, dass ihr uns kämpfen sehen wollt, ist angekommen."
Auch Außenministerin Annalena Baerbock betonte außer sich: Bei Annahme des Antrags der Grünen Jugend "können wir nicht verhandeln", weder auf EU-Ebene, noch in der Ministerpräsidentenkonferenz, noch im Bundeskabinett. Das würde dann bedeuten, dass andere Parteien die Verhandlungen führen würden und das wiederum würde rein gar nichts an der aktuellen Asylpolitik der Ampel ändern.
Am Donnerstag soll der Bundestag in erster Lesung über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung beraten, mit dem Ziel, dass "gesetzliche Regelungen, die Abschiebungsmaßnahmen verhindern oder zumindest erschweren, angepasst werden sollen".
Annalena Baerbock wurde am Ende ihrer Rede zum Änderungsantrag der Grünen Jugend laut.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Für viele Grüne passt diese Position ihrer Partei nicht mehr dazu, weshalb sie einmal bei den Grünen eintraten. Wie erbittert die Debatte innerhalb ihrer Partei geführt wird, zeigt sich auch daran, dass es allein sechs unterschiedliche Anträge dazu gab, die vom Bundesvorstand vorgeschlagene Überschrift des Beschlusses zu ändern: "Humanität und Ordnung: für eine anpackende, pragmatische und menschenrechtsbasierte Asyl- und Migrationspolitik".
An dem Begriff "Ordnung" störten sich viele der Mitglieder. Ein Änderungsantrag enthielt etwa den Satz "Kein Mensch ist illegal".
130 Änderungsanträge gab es insgesamt zum Dringlichkeitsantrag des Bundesvorstandes der Grünen. Einer davon, der der Grünen Jugend – mit weitreichenden Folgen.
Doch die konnte die Parteispitze mit ihren eindringlichen Worten am Samstagabend gerade noch abwenden. Vorerst zumindest. Der Antrag wurde abgelehnt.
Grüne Jugend mit klarer Ansage an Grüne
Nach der Niederlage richtet die Grüne Jugend deutliche Worte an die Grünen-Parteispitze.
Katharina Stolla sagt gegenüber watson:
"Von diesem Parteitag geht ein klares Zeichen aus: Die Partei ist unzufrieden über den asylpolitischen Kurs der Ampel, den die Grünen mitverantworten. Trotzdem sind wir natürlich enttäuscht, dass sich ein Großteil der Delegierten nicht grundsätzlich gegen weitere Asylrechtsverschärfungen gestellt hat."
Dass Robert Habeck den Antrag erst zur Vertrauensfrage für die Ampel-Koalition machen musste, spräche Bände. "Unser Punkt steht: Es braucht ein Ende der Scheinlösungen und endlich eine Politik, die Geflüchtete schützt."
Sorgenvolle Blicke: die beiden Vorsitzenden der Grünen Jugend, Katharina Stolla und Svenja Appuhn.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Die Debatte hätte die Parteispitze deutlich unter Druck gesetzt. "Wenn Robert Habeck darauf erwidert, dass vom Parteitag ein klarer Auftrag ausgegangen sei und dass auch Kompromisse Grenzen haben, muss er sich jetzt beweisen."
Die Grüne Jugend mache es sich nun zur Aufgabe, die gesellschaftliche Stimmung in der Asyldebatte zu drehen. "Wir werden in den nächsten Wochen mit vielen Verbündeten auf die Straßen gehen und laut gegen den Rechtsruck sein – für Solidarität mit Geflüchteten und eine soziale Politik."
Rolf Mützenich ist der Fraktionschef der SPD. In zahlreichen Debatten spricht er für seine Partei im Bundestag. Mützenich ist bekannt für seine Friedenspolitik, gleichzeitig half er aber auch bei der Durchsetzung des Sondervermögens für die Bundeswehr.