Plane 2025 ein Kind zu bekommen, haben Sie einen Platz? So absurd ist die Kitasuche
07.07.2018, 08:1312.07.2018, 13:01
benedict wermter
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Als Inga Dehl sich auf die Warteliste einer Berliner Kita setzen ließ, war ihr Kind noch gar nicht geboren. Schon zwei Monate vorher fing die 37-Jährige an, eine Tabelle mit Kitas in ihrer Nähe aufzustellen. Genutzt hat es nichts. "Die Kitas sagten oder schrieben, sie nehmen die Kinder erst nach der Geburt auf die Warteliste." Viel zu spät, um einen Platz zu bekommen.
Ein Grund: Kitaplätze können nicht besetzt werden wegen Fachkräftemangel. In Berlin kommen auf eine Erziehungskraft sogar sechs statt drei Kinder wie von der Bertelsmann-Stiftung empfohlen.
Heute stehen etwa
zwei Dutzend Einrichtungen in ihrer Tabelle, einige hat sie aufgesucht, andere
nur versucht, anzurufen und anzuschreiben.
Manche Kitas
stellen online einen Vordruck für die Anmeldung bereit, der nach dem Ausfüllen
einen Platz auf der Warteliste garantiere. "Und dann hört man nie wieder was",
sagt Inga. Das Problem: Einige Kitas schreiben auf ihrer Internetseite, man
solle von telefonischen und schriftlichen Nachfragen absehen. Folglich bliebe beides
dann auch unbeantwortet, sagt Inga, "ich kann verstehen, dass die keinen
Telefonterror wollen, aber man muss doch nachfragen können." Andere Kitas
schicken automatisierte Absagen oder verkünden online, dass sie bis in das Jahr
2020 voll sind.
Also: hingehen!
"Und dann stehen da beim Tag der offenen Tür dutzende Eltern in den
Spielräumen, aus ganz Berlin. Auf dem Tisch ein Marmeladenglas mit Stiften –
und jeder trägt sich mal ein." Immerhin steht sie jetzt in ein paar Kitas sicher
auf der Liste, hat Ansprechpartner.
"Nun wurde ich gebeten, mich immer wieder zu melden und nachzufragen. Offenbar zählen die, wie oft ich mich gemeldet habe und führen eine Strichliste."
Hier finden
Eltern Unterstützung
In Städten mit chronischem Kitaplatzmangel wie in Berlin und Hamburg haben sich Elternausschüsse gebildet, die über die Rechte von Eltern auf Kitaplätze informieren. http://www.leak-berlin.de/ https://www.lea-hamburg.de/ Mittlerweile gehen einige Eltern auf die Straße, um auf das Problem fehlender Plätze aufmerksam zu machen. Sie fordern vor allem ein höheres Gehalt für Erzieherinnen, um mehr Arbeitskräfte in den Fachmangel zu locken. In Berlin koordiniert das Team https://kitakriseberlin.org/ von Kitakrise Demonstrationen, das Team vernetzt auch Eltern untereinander.
Inga führt ebenfalls eine Strichliste in ihrer Tabelle, mit Erinnerungen, welche Kita sie wann
wieder anrufen oder anmailen muss. Das Ergebnis nach mehr als einem halben Jahr
Suche: Die eine Hälfte der Kitas ist nicht erreichbar, die andere vertröstet
sie. Vielleicht hätten sie Ende 2019 einen Platz.
Andere Eltern berichten uns von ähnlichen Erlebnissen: Beim Tag
der offenen Tür würden bis zu 50 Eltern die Kitas aufsuchen, für zwei bis drei
freie Plätze. Die Kitas lassen sich teils absurde Selektionsmechanismen
einfallen – die berüchtigten
Kita-Castings. Mittlerweile seien Bewerbungen mit Motivationsschreiben, die die
Dringlichkeit begründen sollen, ebenso an der Tagesordnung wie
Charakterisierungen der Kinder. "Wir hätten unser Kind im fünften Monat vor der Geburt anmelden sollen, als noch nicht einmal das
Geschlecht feststand", sagt uns ein Vater.
Bitte langfristig Kinder planen!
2. Was es
wirklich bedeutet, keinen Kitaplatz zu bekommen
Während für die
Eltern auf der einen Seite die Suche nach einem Kitaplatz andauert, läuft für
sie auf der anderen Seite die Zeit ab. Meisten sind es die Mütter, die Anspruch
von den 24 Monaten Elternzeit bzw. 12 Monaten Elterngeld geltend machen. Das
bedeutet: Sie sind in dieser Zeit für die Kinderbetreuung freigestellt von der
Arbeit, erhalten Kündigungsschutz und ein Jahr lang 65 Prozent ihres
Nettogehalts. Die meisten Frauen gehen schon in der Schwangerschaft in die
Elternzeit, häufig nehmen die Väter nach der Geburt des Kindes nur zwei Monate
dieser Zeit und des Elterngeldes in Anspruch.
Jeder Kitaplatz = ein Gefühlsausbruch
So haben es auch
Inga und ihr Partner gemacht. "Das bedeutet für uns, wenn Frida im Januar ein
Jahr alt wird, geht uns das Geld aus", sagt Inga. Ihr Einkommen würde ohne
Kitaplatz gänzlich wegfallen, mal abgesehen davon, dass sie um ihren Job
fürchtet, wenn sie weiterhin in der Werbefirma fehlt, für die sie arbeitet.
"Mein Partner kann unsere Familie nicht alleine finanzieren, und wir haben ja nicht einmal einen Platz für Ende 2019 in Sicht."
Also doch den
Radius ausweiten, eine Kita am anderen Ende der Stadt? Eine Kita irgendwo auf
dem Weg zur Arbeit? Irgendwie über das Jugendamt eine Betreuung zu Hause
erwirken? "Sieht auch scheiße aus", sagt Inga, "meine gesamte Mutterzeit ist
überschattet von diesen Auseinandersetzungen.“
3. Welche
Alternativen gibt es?
Eltern, die
keinen Kitaplatz finden, versuchen oft, bei den Großeltern oder anderen
Verwandten Betreuungshilfe zu bekommen. Das gestaltet sich in Großstädten wie
Hamburg, Leipzig oder Berlin im alltäglichen Ablauf schwierig, wo Angehörige
manchmal weit entfernt oder gar nicht in der selben Stadt leben.
Wir können diesen Tweet nicht verifizieren, aber symbolisch ist er allemal:
Eine Alternative zu Kindertagesstätten ist die
Kindertagespflege, die Betreuung bei Tagesmüttern oder -vätern also, und es
gibt kita-ähnliche Großtagespflegeeinrichtungen, die bis zu 10 Kinder betreuen.
In Eltern-Kind-Einrichtungen finden Kleinkinder zumindest die für die
Entwicklung so wichtigen Spielfreunde – aber arbeiten kann der
begleitende Elternteil währenddessen immer noch nicht.
So versuchen
immer mehr Eltern, ihr Recht auf den Kitaplatz beim Jugendamt einzufordern oder
sogar gerichtlich einzuklagen. In den vergangenen Jahren haben sich sogar
Kanzleien darauf spezialisiert, gegen ein Honorar beim Jugendamt Bedarf
anzumelden und Fristen zu setzen. Aber: "Wir kennen die Sachbearbeiterin beim
Jugendamt mittlerweile persönlich, sie betreut über 200 Familien. Nicht nur die
Kitas, auch das Jugendamt ist unterbesetzt", sagt Victoria Rau, die so wie Inga
Dehl einen Platz in Berlin-Pankow sucht. Das bedeutet, viele Eltern kommen auch
hier erst einmal nicht weiter.
Das Oberverwaltungsgericht kassierte hier ein Urteil des Verwaltungsgerichts, das zunächst zwei Eilanträge ablehnte. Das Urteil gilt als Signalurteil für Verfahren in ähnlichen Fällen in anderen Ländern.
Der nächste
Schritt: Einen bestimmten Platz in einer Kita im Eilverfahren einklagen. Auch
hier heißt es gerade bei überforderten Verwaltungsgerichten wie in Berlin:
Abwarten!
Ein Vater sagt:
"Wir haben 250 Euro an eine Kanzlei gezahlt und wochenlang nichts gehört. In der Zeit dürfen wir auch keinen anderen Platz annehmen, weil sonst die Prozesskosten verfallen, von der die Kanzlei übrigens gut lebt."
Außerdem findet dieser Vater, sei das Eilverfahren zwar eine Überlegung im
absoluten Notfall, jedoch keine dauerhafte Lösung: "Unsere Tochter wäre dann
tatsächlich ein Kind zu viel in der Kita. Die Erzieher hassen einen, weil es
noch mehr unbezahlte Mehrarbeit für sie bedeuten würde. Und ein zusätzlicher Garderobenhaken
fehlt ohnehin schon.“
Er versuche es lieber weiter mit Blumen und Kuchen bei
den Kitas.
4. Die Lösung: ein
Kinderladen
Während Inga
einen Kitaplatz in Berlin-Pankow suchte, sah sie im März dieses Jahres einen
Aushang am Gemeindehaus in ihrer Nähe, eine Mutter suchte Gleichgesinnte, die
mit ihr gemeinsam einen Kinderladen gründen wollte. Kinderläden sind von Eltern
selbstverwaltete Kitas.
Kinderläden
Offiziell heißen Kinderläden "Eltern-Initiativ-Kindertagesstätten". Zuständig für die Unterstützung bei der Gründung und die Kontrolle sind die bei den Jugendämtern ansässigen Kita-Aufsichten.
Auf Landesebene unterstützt der Verein "Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden" die Arbeit der Kinderläden und unterstützt Gründungen, etwa in Form von Gründerseminaren. Kinderläden haben seit den 1968ern eine Tradition in Berlin, zu Zeiten als kleine Ladengeschäfte großen Supermärkten weichen mussten, und in ebenjene Läden die selbstverwalteten Kindergruppen einzogen. Daher der Name Kinderladen.
Manchmal waren die Elterninitiativen politisch motiviert – als pädagogisches Gegenkonzept zu autoritären Erziehungsformen. Heute entstehen sie überwiegend aus Platzmangel.
Inga sah den
Aufruf noch einmal online bei Kleinanzeigen, erzählt sie, danach schrieb sie
die Mutter an, die den Aufruf startete. Wenig später fand sie sich in einem
Familienzentrum, einem Nachbarschaftstreff für Eltern, mit 15 anderen Eltern
zum Erfahrungsaustausch wieder, eine bunte Mischung verzweifelter
Kitaplatz-Suchenden. Neben Berlinern sind Eltern aus Peru oder den Niederlanden
dabei, sie alle vereint die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust, weil sie ohne
Kitaplatz nicht wieder in den Job einsteigen können. Besonders die Frauen der
Gruppe fühlten sich als Mütter und Arbeitnehmerinnen diskriminiert, sagen sie.
"Unsere Treffen
liefen direkt gut an, wir beschlossen, uns ab sofort jede Woche freitags zu
treffen.“
Mit Erfolg: Seit Anfang Mai steht der gemeinnützige Verein Panaka –
das Wort steht für Gemeinschaft – in den
Büchern der Stadt.
"Aber es steht noch jede Menge Bürokram an. Wir müssen ein Konzept für die Kita-Aufsichtsbehörde schreiben, unseren Bedarf nachweisen und das pädagogische Ringsherum erklären."
Genau handelt es sich dabei um das
Trägerkonzept für eine Betriebserlaubnis, die von der Kita-Aufsicht erteilt
wird. Auf etwa 45 Seiten muss Panaka seine pädagogischen Kernpunkte festlegen,
das Konzept muss mit Hilfe von Kinderpsychologen und Pädagogen ausgearbeitet
werden.
Der größte Knackpunkt für den Verein Panaka ist jedoch
die Suche nach einer geeigneten Immobilie, in der die maximal 25 Kinder einmal
betreut werden sollen. Auch wenn in Berlin Pankow einiges an Gewerbe leer
steht, bekommt die Gruppe Absagen: "Eigentümer wollen das Gewerbe wohl in
Eigentumswohnungen umwandeln. Oder sie wollen schlicht keinen Kinderladen darin
haben", sagt Inga.
Hundert
Eigentümer von Immobilien hätten sie bis jetzt kontaktiert – einige hätten
ihnen schon abgesagt. Von geschätzt 80 Prozent der Eigentümer hätten sie bisher gar keine
Reaktion auf die Anfrage erhalten, sagt die Sprecherin des Vereins, Celestine
Hassenfratz.
Hinzu kommt das
knappe Budget des Vereins und der Stadt Berlin, die den Kinderladen
bezuschussen soll. "Mit einem Budget von 10 Euro pro Quadratmeter für die Miete
ist es unmöglich, etwas zu finden." Außerdem müsse der Laden auch noch
kindergerecht umgebaut werden, sagt Inga, etwa Kindertoiletten müssten
eingebaut werden. Gerade sucht die Gruppe Unterstützung bei Lokalpolitikern von
SPD und Grünen.
Der Verein Panaka
gibt lange nicht auf. "Am Ende werde ich Frida in einen Spielraum bringen, den
ich selbst mitgestrichen habe. Die Romantik kommt aber nur nebenbei auf. Nach
wie vor ist die Sache aus der Not heraus gewachsen", sagt Inga Dehl.